
„Hertha ist einfach ein cooler Club“
„Hertha ist einfach ein cooler Club“

Berlin – „Wir haben am Saisonstart Kredit bei den Fans verspielt, aber jetzt viel davon zurückgeholt“, diktierte Sandro Wagner nach dem Derbysieg gegen Union in die Notizblöcke. Dass gilt nicht nur für die langsam ins Rollen kommende Hertha, auch der 24-Jährige holt sich momentan sein Ansehen zurück. Beim FC Bayern ausgebildet, galt der Mittelstürmer Ende der Nullerjahre als rechtmäßiger Erbe des arrivierten DFB-Duos Klose/Gomez. Er krönte die deutsche U21 mit einem Doppelpack im Finale gegen England zum Europameister 2009, wechselte für anderthalb Millionen Euro zu Werder Bremen, spielte dort Champions League. Nach einem Kreuzbandriss wurde es jedoch ruhig um Sandro Wagner.
Nichtsdestotrotz sei die Zeit an der Weser eine entscheidende für seinen Werdegang gewesen: „Ich hatte mit Pizarro, Almeida, Arnautovic und Avdic eine riesige Konkurrenz im Sturm und habe als junger Spieler trotzdem meine Tore gemacht.“ Auf der Suche nach mehr Einsatzzeit verschlug es ihn in der Rückrunde der letzten Saison auf Leihbasis nach Kaiserslautern. Dieser Schritt sei rückblickend ein Fehler gewesen, die drei Monate beim FCK „eine Katastrophe“, die ihn aber persönlich „weitergebracht“ habe.
„Die Bank ist nichts für mich.“
Seit dem 19. Juli trägt er nun das Hertha-Trikot. Cheftrainer Jos Luhukay wollte den 1,94-Meter-Hünen unbedingt als Ergänzung der Offensivriege, ließ ihn anfangs aufgrund des Trainingsrückstandes jedoch aus der Startelf. „Die Bank ist nichts für mich“, kündigte Wagner vollmundig an und hielt Wort. Mit drei Toren in vier Pflichtspielen hat er nicht nur die Konkurrenz im Hertha-Sturm, sondern auch die Skepsis seitens der Medien und Fans nach seiner Verpflichtung hinter sich gelassen. „Obwohl ich noch nicht ganz bei 100 Prozent bin läuft es einfach“, sagt Wagner jetzt mit einem Lächeln, „Trainer, Mannschaft, Umfeld, Mitarbeiter – die Hertha ist einfach ein cooler Club. Ich wusste immer, was ich kann, wenn die Rahmenbedingungen passen und ich Spaß habe.“
Was er kann, sehen jetzt die Hertha-Fans. Mit dem rechten Fuß traf er gegen Union, mit dem Kopf gegen Regensburg, in Worms netzte er gar mit der Brust. Wann folgt das Tor mit dem linken Fuß? „Ich hoffe natürlich bald. Viel wichtiger ist aber, dass ich der Mannschaft auch anderweitig helfe.“ Das tut Sandro Wagner. Auf dem Papier machen die Tore seinen Wert für die Berliner aus, auf dem Platz kann er weitere Qualitäten in die Waagschale werfen. Herthas Nummer 33 arbeitet viel und bissig nach hinten, scheut keinen Zweikampf - ein Prototyp für das „System Luhukay“, das auf starkem Pressing basiert. Auch, wenn ihm dann manchmal die Luft in Strafraumnähe fehle, sei es wichtig, diese Wege zu gehen. „Da muss man eine gute Mischung finden, sonst kann es schon sein, dass einem vor dem Tor mal ein paar Prozent fehlen. Aber ich werde bald die Fitness haben, 90 Minuten höchstes Tempo zu gehen.“
Turm in Herthas Schlachten
In puncto Einsatz und Willen zeigten sich die Herthaner im Derby erstmals so wie es sich Trainer Jos Luhukay vorstellt. Dass der Kombinationsfluss bei allem Potential noch nicht auf dem gewünschten Stand ist, lässt sich nicht verheimlichen. Die fehlende Sicherheit der letzten Wochen kaschieren Wagners Fähigkeiten als Wandspieler. Immer wieder suchen ihn die Mitspieler mit hohen Bällen – der Stürmer dankt es mit hervorragender Ballbehauptung und intelligenten Ablagen. Dabei stört es ihn auch nicht mehr, wenn die Gegenspieler Ellenbogen und Knie einsetzen, um den Zweikampf für sich zu entscheiden. „Viele Schiedsrichter pfeifen aufgrund meiner Körpergröße und Bulligkeit kaum Fouls für mich, aber daran habe ich mich gewöhnt. Fußball ist ein körperliches Spiel, da muss man mal einstecken können. Ich teile dann auch wieder aus.“
Vom Anwärter auf die europäischen Startplätze Werder Bremen zum Zweitligisten aus Berlin. Was viele als Rückschritt erachten würden, erweist sich für Sandro Wagner derzeit als Fortschritt: „Ich bin wieder selbstbewusst, spiele von Anfang an, zeige meine Leistung und kann mich unter Jos Luhukay weiterentwickeln. Er ist ein Trainer, der einen ständig besser macht“, lobt Wagner seinen Coach. „Es wird ein langer Weg, aber jetzt stimmen die Ergebnisse und ich hoffe, dass es so weitergeht.“ Sandro Wagner ist gemeinsam mit der Hertha auf dem Weg, sich den Kredit zurückzuholen.