
„Ich stand vor einem Berg“
"Ich stand vor einem Berg"

Herthas Kapitän im Jahresrückblick über eigene Kriege, rote Fäden und seine Wünsche für 2013.

Berlin - Zwischen Gerichtsverhandlung und 17-Spiele-Serie: Das 2012 des Peter Niemeyer bestand aus zwei vollkommen verschiedenen Halbjahren, die er im Gespräch mit herthabsc.de beleuchtete.
herthabsc.de: Peter, war der Sieg gegen den FSV Frankfurt als letzte Mannschaft, die euch in der aktuellen Saison bezwungen hat, ein perfekter Jahresausklang?
Peter Niemeyer: Dieser Gegner kam am Ende einer langen, kräftezehrenden Saison zur rechten Zeit, da unsere Sinne aufgrund der Erlebnisse des Hinspiels besonders geschärft waren. Vorher wurde natürlich viel über die Hinrunden-Niederlage gesprochen, da es nunmal unser letztes Spiel ohne Punktgewinn gewesen ist. Ich hatte aber nicht das Gefühl, in irgendeiner Bringschuld zu stehen. Es waren alle wie immer diese Saison sehr fokussiert und wir freuen uns über den erfolgreichen Jahresabschluss.
herthabsc.de: Warum unterliefen der Mannschaft solche Spiele wie in Frankfurt nicht noch einmal?
Peter Niemeyer (lacht): Ich gehe schon davon aus, dass wir eventuell mal noch ein Spiel verlieren. Aber auf diese Art und Weise passiert uns das nicht mehr, weil wir einfach gefestigter sind. Es kommen immer wieder neue Jungs aufs Feld, trotzdem steht ein spielerisch wie mental sattelfestes Gebilde, dass auch jungen Spielern Halt gibt. Bestes Beispiel ist da für mich John Anthony Brooks: Durch die Stabilität seiner Nebenleute ist er ungemein gewachsen und spielt wirklich überzeugend.
herthabsc.de: Wie erklärst du dir diese positive Reise durch die Hinrunde?
Peter Niemeyer: Einerseits ist Fußball eine absolute Kopfsache und mit zunehmendem Erfolg kamen Selbstvertrauen und Selbstverständnis zurück. Gerade in Paderborn haben wir gemerkt: Gegenhalten, gegenhalten und irgendwann kommen wir durch unsere individuelle Klasse zum Erfolg. Andererseits liegt ein Schlüssel zum Erfolg in der täglichen Trainingsarbeit. Wir verfolgen akribisch die Linie, die der Trainer vorgibt und können uns daran auch festhalten.
herthabsc.de: Tat euch der neue Cheftrainer Jos Luhukay nach dem dramatischen Abschluss der Vorsaison gut?
Peter Niemeyer: Auf jeden Fall. Ich persönlich stand vor einem Berg und wusste nicht wie ich drüber kommen soll, ich hatte meinen eigenen Krieg ohne Ausweg. Da wünscht man sich Jemandem mit einem stabilen Plan, dem man folgen kann. Den hatte Jos Luhukay. Man hat gemerkt, dass seine Mechanismen greifen, dass es Hand und Fuß hat, was er vorgibt. Das tat mir unheimlich gut und hat mir die Sicherheit zurückgegeben.
herthabsc.de: Das Ende der letzten Saison fiel mit der verlorenen Relegation, den Ereignissen von Düsseldorf und deren gerichtlichem Nachspiel turbulent aus. Wie hast du diese Zeit erlebt und was hast du daraus mitgenommen?
Peter Niemeyer: Das war eine Extremsituation, da ich mich mit dem, was ich tue, voll identifiziere und das nicht als Job abtue, den ich dann im Feierabend ausblende. Ich habe die ganzen Probleme also mit nach Hause genommen und durfte mich aber auch deshalb darin bestätigt fühlen, auf eine überragende Familie zählen zu können, die immer hinter mir steht.
herthabsc.de: Manche der Personen, die euch jetzt auf Aufstiegskurs zujubeln, haben euch im Sommer 2012 zum Teufel gewünscht. Nervt dich die Kurzlebigkeit des Fußballgeschäfts?
Peter Niemeyer: Total! Das finde ich ganz extrem, aber so ist Fußball. Ich würde mir nur wünschen, dass die Leute Peter Niemeyer sehen. Ob ich nun am Samstag sechs Stück vom FC Bayern kassiere oder bei Union 2:1 gewinne: Ich bin kein anderer Mensch! Es bleibt derselbe Peter, der auch in einer Abstiegssaison ruhigen Gewissens in den Spiegel schauen kann, weil er immer alles gibt. In sportlich negativen Zeiten bin ich allerdings in der Außendarstellung dann ein schlechterer Mensch und das ist schade.
herthabsc.de: Spürst du in solchen Phasen Angst, zu versagen?
Peter Niemeyer: Versagensängste hat meines Erachtens Jeder, ob er nun 90 Minuten auf dem Fußballfeld sein Bestes geben muss oder anderswo. Bei uns schauen eben mehr Leute hin, da entsteht der eigentliche Druck.
herthabsc.de: Leidet unter sportlichem Misserfolg auch das Privatleben?
Peter Niemeyer: In den eigenen vier Wänden eigentlich nicht, aber ich gehe in solchen Zeiten beispielsweise nicht ins Restaurant. Ich hätte immer das Gefühl, alle schauen mich an und fragen sich: Was macht der hier? Warum sitzt der nicht traurig zuhause? Tanken musste ich ab und an mal, aber zum Supermarkt gehen war schon schwierig.
herthabsc.de: Nimmt man sich mit solchen Erlebnissen im Rücken bestimmte Dinge für den weiteren Werdegang vor?
Peter Niemeyer: Ich habe mir vorgenommen, voranzugehen und mich immer zu stellen. Obwohl es meist einfacher wäre, sich rauszuhalten. Sonst waren die Erkenntnisse eher privater Natur. Ich habe gelernt, wer mich unterstützt und zu mir hält und wer nicht.
herthabsc.de: Nach dem Abstieg wurde über einen Vereinswechsel deiner Person spekuliert. Warum fiel die Entscheidung, den Weg durch die zweite Liga mit Hertha BSC zu gehen?
Peter Niemeyer: Ich habe darüber in Ruhe nachgedacht. Es war ein riesiges Durcheinander, aber ich wollte nicht wegrennen, sondern mich stellen. „Das Gras ist woanders immer grüner“, sagt man in Holland. Das kann man denken, aber ich hab mich auf das besonnen, was ich Berlin habe: Einen Namen. Den wollte ich nicht wegwerfen, weil ich es in Bremen als einer von vielen auch schon anders erlebt habe.
herthabsc.de: Merkt man momentan medial, was Erfolg bedeutet?
Peter Niemeyer: Hast du Erfolg, lachen dich alle an. Ich versuche deswegen, den jetzigen Lauf zu relativieren. Vor der Saison hatte ich eine Aussprache mit einigen Berliner Journalisten. Dann hatten wir einen holprigen Start, dessen Gründe ja auf der Hand lagen. Trotzdem wurde wieder extrem auf die Mannschaft eingehauen. Jetzt hat sich das Blatt gewendet und die gleichen Journalisten bemängeln, dass manche Spieler nicht zu Interviews bereit seien. Sicherlich nicht respektvoll, aber verständlich.
herthabsc.de: Welcher war dein Moment des Jahres 2012?
Peter Niemeyer: Negativ unvergesslich ist auf jeden Fall der Tag in Frankfurt als ich vor Gericht stand. Das war der schlimmste Moment meiner Karriere und ich wünsche diese Situation wirklich niemandem. Der schönste Moment ist eigentlich die komplette Zeit momentan: Ich fühle mich mit diesen 19 Saisonspielen im Rücken einfach unglaublich wohl und gut.
herthabsc.de: Wenn du die Gegensätze des Jahres 2012 abwägst: Was wünschst du dir fürs nächste Jahr?
Peter Niemeyer: Das liegt auf der Hand: Privat möchte ich einen gesunden Sohn auf die Welt bekommen. Sportlich geht es nur um den Aufstieg. Wir haben eine große Chance und ein gutes Fundament gelegt, 2013 wollen wir die Früchte ernten. Hertha gehört in die Bundesliga!
Dieses Interview wurde von der Berliner Morgenpost/Jörn Meyn geführt. herthabsc.de bedankt sich herzlich, es auf die Vereinsseite stellen zu dürfen!