Wo, bitte, geht's zum Olympiastadion?
Fans | 7. Februar 2013, 18:07 Uhr

Wo, bitte, geht's zum Olympiastadion?

Wo, bitte, geht’s zum Olympiastadion?

Die Antwort gaben die Anhänger: Immer den Massen nach. Andreas Baingo war 1990 beim ersten Spiel von Hertha gegen Union nach der Wiedervereinigung dabei.

Berlin - Kalt war's, um ehrlich zu sein saukalt, an diesem 27. Januar 1990. Trotzdem bin ich hingerannt wie über 50.000 andere auch. Begeistert waren sie über die Austragung eines Spiels, von dem sie drei Monate zuvor nicht einmal in ihren kühnsten Vorstellungen zu träumen gewagt hätten. Hertha BSC gegen den 1. FC Union – so hieß der Renner. Union war mal wieder zweitklassig, Hertha auch, wenn auch auf dem Weg nach oben. Aber gespannt war ich doch. Ein Derby zwischen einer Mannschaft aus dem Osten und einer aus dem Westen, das war das, wonach sich die Berliner Fans Jahrzehnte gesehnt hatten.
Gespannt war ich nicht nur aus fachlicher Sicht als Fußballjournalist, sondern auch aus emotionaler Sicht als ehemaliger Spieler des 1. FC Union. Mit Karsten Heine hatte ich in einer Mannschaft gestanden, dem Trainer der Eisernen. Zu Hause bei ihm war ich gewesen, ich kannte seine Familie – und nun stand er da unten in dieser riesigen Schüssel. Das gab es doch nicht, irgendwie erinnerte es mich an ein Märchen. Ich kannte sie alle, den kantigen Mario Maek und den filigranen Axel Wittke, den zupackenden Torhüter Hendryk Lihsa und den flinken Thomas Grether, den wendigen Andre Sirocks und den forschen Olaf Seier.

Knapp 30 Jahre später wieder im Olympiastadion

Aber die Herthaner kannte ich kaum, auch wenn ich schon 15 Jahre als Sportjournalist tätig war. Lediglich aus TV-Berichten und Konferenzschaltungen im Rundfunk waren sie mir geläufig. Walter Junghans, der gute Schlussmann, war mir natürlich ein Begriff. Auch Theo Gries und Dirk Greiser, natürlich Axel Kruse und René Unglaube. Kruse kannte ich noch als ehemaligen Spieler der DDR-Juniorenauswahl, den wir nach seiner Flucht in den Westen (so hieß das damals) nicht mehr kennen sollten, und Unglaube war ja mal in Köpenick zu Hause und erst seit ein paar Wochen bei Hertha.
Aber da gab es noch eine logistische Frage zu klären: Wie sollte ich am besten zum Olympiastadion kommen? Das war mir nicht sonderlich klar. Es gab da eine U-Bahn-Station, das schon, aber sonst? 30 Jahre war es schließlich her, dass ich als damals knapp Zehnjähriger im Sommer 1960 bei einem Berlin-Besuch mit meinem Vater auf dem Olympischen Platz gestanden und über die Olympischen Ringe gestaunt hatte. Einen Stadtplan von Berlin-West hatte ich nie in der Hand gehalten. Auf den Plänen, die es im Osten gab, war an der Grenze nichts mehr, nur noch weiße Flecken, kein Straßenname, nicht einmal der Vermerk, um welchen Stadtbezirk es sich handeln könnte. Ich wusste nur, dass das Stadion ziemlich weit weg war, Richtung Spandau, denn dort wohnte die Bekanntschaft, bei der ich mit meinem Vater war. Und von dort war es nicht so weit.


Immer den Massen nach

Aber jetzt, gerade am Bahnhof Friedrichstraße, die Frage: Wo, bitte, geht’s zum Olympiastadion? Stellen musste ich diese Frage dann nicht. Denn es war alles ganz einfach. Die Antwort gaben die Anhänger. Immer den Leuten hinterher. Verrückt, dachte ich, die wollen alle das sehen, wohin es auch mich zog: Endlich im Stadion und nicht nur vor der Glotze den Sport sehen, der den bis dahin zweimaligen Welt- und zweimaligen Europameister als Fußball-Weltmacht auszeichnet. Mindestens 30.000, vielleicht auch 35.000 waren als Union-Fans auszumachen. Naja, das Spiel selbst hat mich, ehrlich, nicht vom Hocker gehauen. Außerdem wurde es von Minute zu Minute kälter. Aber die Atmosphäre, das Drumherum, der Aufbruch in eine neue Zeit, das Wissen um eine gemeinsame Zukunft haben auch mich gefesselt.

Dass ich aufgrund meines Berufes die Spieler von Hertha BSC auch durch die Entwicklung der beiden Vereine durch die Teilnahme an der Champions League hier und den kurzzeitigen Absturz in die Viertklassigkeit da viel besser kannte als jene von Union – das habe auch ich nicht geahnt. Aber ein Andenken an ein einmaliges Fußballspiel wird immer einen besonderen Platz behalten: jener Wimpel, bei dem oben BERLIN 1990 steht, darunter die blau-weiße Hertha-Fahne und das rote Union-Emblem abgebildet sind sowie wiederum darunter das Olympiastadion zu sehen ist. Eigentlich ist diese Gedankenstütze nicht nötig, denn es gibt diese Tage, die sich von ganz allein in das Gedächtnis brennen. Dieser 27. Januar 1990 ist bei mir einer von ihnen.

von Hertha BSC