Taktikschulung mit Jos Luhukay
Teams | 12. März 2013, 01:58 Uhr

Taktikschulung mit Jos Luhukay

Taktikschulung mit Jos Luhukay

Vor dem 4:2-Heimsieg gegen Duisburg erläuterte Herthas Cheftrainer seine Spielidee.
Berlin - Und urplötzlich war er in seinem Element. Als er auf der Pressekonferenz vor dem Heimspiel gegen den MSV Duisburg auf das Spielsystem angesprochen wurde, glühte Cheftrainer Jos Luhukay regelrecht vor Erklär-Freude. Warum habe es mit dem 4-4-2 in Dresden nicht geklappt? Wieso könne das Team besser im 4-2-3-1 spielen? Wer eine lapidare und oberflächliche Antwort vom Holländer erwartete, hatte weit gefehlt. Luhukay ist ein absoluter Fachmann, wenn es um taktische Geschicke im Fußballsport geht. Das brachte er in einer improvisierten Taktikschulung während der Pressekonferenz eindrucksvoll zum Ausdruck.

"Wir haben zu Beginn der Saison öfter mit einer Doppelspitze agiert", schilderte der Coach seinen 'Schülern'. "Aber im Verlauf des Jahres habe ich erkannt, dass es nicht das Optimum ist." Der Taktik-Fuchs steht für Engagement, für Fachwissen und vor allem für den Drang zum Perfekten. Halbherzigkeiten duldet er nicht, vielmehr befindet sich Luhukay auf einer unendlichen Reise. Auf der Suche nach der besten Spielidee, die er mit dem 4-2-3-1 gefunden zu haben scheint – und diese an einer Personalie festmacht: "Wenn wir mit einer Doppelspitze auflaufen, fällt die Position von Ronny weg. Bei den fantastischen Leistungen, die er gebracht hat, musste ich das System anpassen."
Opfergabe im Sturm

Dass Ronny spezielle Qualitäten besitzt, das wusste man in Berlin bereits vor der Saison. Aber dass der Brasilianer mit nunmehr dreizehn Toren und zwölf Vorlagen derartig explodieren würde, war selbst für seinen Trainer überraschend. Um Ronny zur Entfaltung kommen zu lassen, musste Luhukay einen Kompromiss eingehen. "Ich habe einen zentralen Stürmer geopfert", klang der 49 Jahre alte Fußballlehrer fast schon martialisch. Immer mehr zog es den Niederländer in die Tiefen der Fußballtaktik und befeuerte sogar sprachlich ein feines Vorurteil über seine Fahrrad verrückten Landsmänner, denn er sprach vom starken "Tandem", auf dem Ronny und Adrian Ramos das Hertha-Bike zum Erfolg strampelten. Diese Kombination, auf deren Kappe allein 22 von 49 Treffern des Zweitliga-Spitzenreiters gehen, sei effektiver als die doppelte Power im Sturmzentrum.

Doch bei dieser ersten Grundanalyse beließ es der Erfolgstrainer nicht. Von Sekunde zu Sekunde gab er noch tiefere Einblicke in seine Überlegungen, sodass man geradezu darauf wartete, dass er im nächsten Augenblick mit seinem sympathischen Lächeln eine vorbereitete Taktiktafel unter seinem Pult hervorzaubern würde. "Wir sind im 4-2-3-1 einfach besser aufgestellt, kompakter organisiert", sah man ihn förmlich vor der imaginären Tafel herumfuchteln. "In einem 4-4-2 verliert man die Raumaufteilung ein Stück weit, sodass auch die Balance leidet." Eine solche Dysbalance würde für Hertha BSC eine große Gefahr in der 2. Bundesliga darstellen, denn die meisten Gegner versuchen mit einer defensiven Grundordnung das Spiel der Herthaner zu blockieren. "Wenn wir dann einen Ballverlust hätten, wären wir anfälliger in der Umkehrbewegung." Dass sein Team bisher nur ein Kontergegentor hinnehmen musste, sei für ihn der Beweis für die gute Funktionsweise seines bewährten Systems.

Blick über den Tellerrand

Doch Hertha-Coach Luhukay wollte die gespannt lauschenden Journalisten nicht nur über die blau-weiße Sicht der Dinge informieren, sondern holte zur großen Betrachtung aus. "Gucken Sie in die 1. Bundesliga", mimte er einen Lehrer, der mit aller Leidenschaft seinen Schülern den neuen Unterrichtsstoff vermitteln will. "Ich glaube, dass eine Aufstellung mit zwei Stürmern nicht mehr so funktional und effizient ist", lautete sein Fazit, "ansonsten würden doch viel mehr Klubs so spielen." Die Tendenz der letzten Jahre sei eindeutig und lässt bei Luhukay keine Zweifel aufkommen: "Auch in der Europa League, Champions League, bei der EM und WM spielt kaum eine erfolgreiche Mannschaft mit einem klassischen 4-4-2."
Gezwungenermaßen musste der Coach die Startformation im Auswärtsspiel bei Dynamo Dresden umbauen und musste selbst eingestehen, dass es nicht funktionierte. "Ein System mit zwei Spitzen ist viel zu leicht zu bespielen", haderte er mit der Vorstellung bei den Sachsen. Allein die Anwesenheit eines offensiven Mittelfeldspielers wie Ronny, der aufgrund seiner Muskelprobleme die Umbaumaßnahmen erst notwendig machte, stellt die Defensivreihen vor Aufgaben. "Entweder ein Mittelfeldspieler muss Ronny übernehmen oder ein Innenverteidiger muss durchschieben", gestikulierte Luhukay wild umher. "Dadurch entstehen viele Räume und Situationen, weil man weitaus dynamischer im Angriff ist."

Erfolgreiches System gegen Duisburg

Schlussendlich rundete der Trainer seine Theoriestunde mit einer mathematischen Einlage ab. Das System mit einer nominellen Spitze könne flexibel interpretiert werden. "Man kann es 4-2-3-1 nennen oder 4-3-3. Das kommt ganz drauf an. Man kann mit einem Sechser und einer Doppelacht spielen, wir spielen mit zwei Sechsern und einem Zehner", brachte er die Stifte der mitschreibenden 'Lehrlinge' endgültig zum Glühen.

Am vergangenen Sonntag konnte Jos Luhukay gegen die 'Zebras' wieder zur Erfolgsformation zurückkehren. Natürlich war dies nicht der einzige Grund für die Niederlage bei Dynamo und den Sieg gegen den MSV, doch es war ein wichtiger Faktor im Luhukay´schen Konzept.  Seine Akteure haben auf dem Rasen das System verinnerlicht. In einer Stadt, wo der Bär das Wappentier ist, nahm sich der Coach dieser Rolle an und gab für die Interessierten den fachkundigen Erklär-Bär.

von Hertha BSC