
Der Königstransfer
Der Königstransfer

Berlin - Manchmal verändert ein einziger Anruf alles. So ging es Michael Preetz vor einem knappen Jahr, als er die Nummer von Jos Luhukay wählte. Der Manager von Hertha BSC war auf der Suche nach einem neuen Trainer. Dabei war die Mannschaft noch gar nicht abgestiegen, aber Otto Rehhagel hatte seine blau-weiße Mission nur bis zum Saisonende terminiert. Und plötzlich ergab sich die Chance, den Niederländer zu verpflichten. Der überlegte nicht lange, erbat sich lediglich eine Bedenkzeit von einem Tag – und sagte zu. Ein Glücksfall.
Rund elf Monate und 30 Zweitligaspiele später glauben inzwischen viele, dass kein Spieler der Königstransfer für die Berliner auf dem Weg zurück in die Bundesliga war, sondern der Trainer. Dabei gab der Holländer, der bereits mit Borussia Mönchengladbach (2008) und dem FC Augsburg (2011) in die Beletage des deutschen Fußballs aufgestiegen ist, nach dem ersten Anruf von Michael Preetz zu: „Ich war überrascht, weil ich über Hertha zuvor keine Sekunde nachgedacht hatte.“ Vielleicht war ein klein wenig Überrumplung dabei. Eitelkeiten zumindest spielten keinerlei Rolle. „Die Aufmerksamkeit ist groß in Berlin“, sagt Luhukay, „aber ich habe das nicht gemacht, um mich zu profilieren. Was mich reizte und die größte Herausforderung war: Ich wollte mit Hertha erfolgreich sein.“ Das glauben sie ihm nicht nur rund ums Olympiastadion inzwischen aufs Wort, zumal er dieses Wort unglaublich schnell und seriös eingehalten hat.
Bestellt war das Feld nur in geringem Maße nach dem neuerlichen Abstieg im Sommer 2012. Mit Raffael, Andre Mijatovic, Christian Lell, Andreas Ottl, Tunay Torun und Eigengewächs Patrick Ebert verließ einige Prominenz den Verein. Weil aber andere hochtalentierte und erfolgreiche Spieler (Torhüter Thomas Kraft, Stürmer Adrian Ramos, Zauberfuß Ronny, Kämpfer Peter Niemeyer, Allrounder Fabian Lustenberger, Wirbelwind Änis Ben-Hatira) blieben, erfahrene Akteure (Peer Kluge, Sami Allagui, Sandro Wagner, Marcel Ndjeng) kamen und junge Hüpfer (die Abwehrspieler John Anthony Brooks und Fabian Holland sowie nach auskuriertem Kreuzbandriss auch Angreifer Pierre-Michel Lasogga) durchstarteten, fand Hertha BSC nach einem leicht holprigen Start schnell in die Spur. Wie erstaunlich richtig der neue Trainer mit seinen Personalentscheidungen lag, zeigte sich im Januar, als Hertha keinen weiteren Spieler verpflichteten musste und sich Preetz sogar leisten konnte, bei einem Fünf-Millionen-Euro-Angebot des VfB Stuttgart für Lasogga abzuwinken.
Längst war da aus einem anfangs verunsicherten und unsortierten Häufchen eine Gruppe voller Leidenschaft geworden, die nicht nur dem Trainer Spaß machte, sondern auch ihren Anhängern und sogar sich selbst. „Wir haben eine Mannschaft, die ich so noch nicht erlebt habe“, sagt Kapitän Peter Niemeyer, „sie ist viel geschlossener und gefestigter als die vor einem Jahr.“ Nicht einmal von einer langen Verletztenliste ließ sie sich aus dem Rhythmus bringen. Niemeyer: „Welcher Spieler auch ausfällt, der Trainer hat immer eine Lösung.“ Zumal immer eine nahezu perfekte. Man glaubt, manchmal habe Hans Klock seine Hände im Spiel, der Landsmann Luhukays. Dann ist es aber doch der Trainer, der seine Männer wie ein Magier durch die Liga führt.
Ein herrlich normaler Trainer
Der Trainer, der Trainer, immer wieder Luhukay. Dabei hatte ein guter Freund ihn fast für verrückt erklärt, als er den Job in Berlin annahm. „Bist du bekloppt?“, hat er ihn mehr angeraunzt als gefragt. Doch Luhukay blieb die Ruhe in Person. „Da bin ich auch ein bisschen eigensinnig“, sagt er, „ich bin vom ersten Tag mit vollem Tempo vorwärts gegangen, ich habe nicht mehr nach rückwärts geschaut.“ Schnell haben sie ihn in der Hauptstadt den sanften Diktator genannt: stets eloquent, immer ausgeglichen, aber in der Sache knallhart. „Manche Entscheidungen, die ich als Trainer treffe, tun mir als Mensch weh. Aber dann sehe ich die sportliche Situation und entscheide mich für schwierige Lösungen.“
Seit Jos Luhukay in Berlin ist, kann Michael Preetz wieder viel besser schlafen. „Jos ist so herrlich normal, er hat ganz klare Wertevorstellungen und Prinzipien und lebt die jeden Tag: eloquent, unaufgeregt, geradeheraus, sehr ehrlich und vertrauensvoll“, hat Preetz erkannt. Bei ihm (und nicht nur bei ihm) genießt der smarte Holländer vollstes Vertrauen: „Es ist nicht normal, dass man in unserer Ausgangslage, mit einer neuen Mannschaft und mit einem neuen Trainerteam, so durch die Liga marschiert.“ Dabei ist es ein völlig unkompliziertes System, das Luhukay vertritt, es ist ein allzu menschliches. „Ich habe meinen Job immer mit sehr viel Herz ausgeübt“, versichert er, „und meine Stärke ist, dass ich 100 Prozent Jos Luhukay bin, als Mensch und als Trainer, sehr beständig, sehr ausgeglichen. So möchte ich auch bleiben.“
Niemeyer: "Für so einen Trainer gehst du durchs Feuer"
Unglaubliche 21 Spiele blieben die Männer mit ihrem Trainer hintereinander ungeschlagen und legten einen vereinsinternen Rekord hin, auch weil der Coach den Spielern das Selbstvertrauen zurückgab und der Konkurrenz gleich zu Beginn signalisierte: Ab Oktober werden wir schwer zu schlagen sein. Weil sich die Prophezeiung bereits einen Monat vorher bewahrheitete, war Luhukay längst unumstritten. Auch und gerade bei den Spielern. „Wenn dir ein Trainer sagt, es wird so und so kommen, und es kommt letztlich noch besser, dann hängst du ihm natürlich an den Lippen und gehst für ihn durchs Feuer“, beschreibt Peter Niemeyer die Stimmung in der Kabine und auf dem Platz.
Mittlerweile ist die Saat zum großen Teil aufgegangen, die Rückkehr in die Bundesliga ist in Rekordzeit gelungen, der von Franz Beckenbauer einst als 'schlafender Riese' gepriesene Hauptstadtverein hat sich wieder emporgerappelt. Die erste Ernte ist eingefahren. Das ist vor allem für den Trainer die Bestätigung, eine neue Erfolgsgeschichte geschrieben zu haben, zumindest das erste Kapitel. Denn am Ende ist die Geschichte noch lange nicht. Luhukay hat, nicht wie einst Giovanni Trapattoni, noch lange "nicht fertig". Eigentlich befindet er sich nach einem knappen Jahr erst am Anfang seines Weges. Das hat auch Michael Preetz erkannt. Deshalb möchte er den bis 2014 laufenden Vertrag mit dem Trainer schnellstmöglich verlängern. Der hat es noch nicht so eilig. Er will einen Schritt nach dem anderen gehen. „Erst müssen wir aufsteigen“, sagte Luhukay immer, bevor er an eine Unterschrift dachte.
Es scheint (zwinker, zwinker), als ob er nach dem Aufstieg nun keine Ausrede mehr hat.