
"Jos ist der Superstar!"
"Jos ist der Superstar!"

Lange Zeit hatte Änis Ben-Hatira mit Verletzungen zu kämpfen, die ihn nach einem starken ersten Saisondrittel aus dem Tritt brachten. Langsam kämpfte sich Herthas Nummer zehn wieder an die Mannschaft heran und stand in den vergangenen drei Spielen zweimal in der Startelf. Insgesamt vier Tore schoss der Flügelflitzer in der aktuellen Saison und legte zu zwei Treffern auf. Vor dem Heimspiel gegen Erzgebirge Aue sprach Herthas tunesischer Nationalspieler unter anderem über soziales Engagement, die Vorbildfunktion von Bayern München und die Vorfreude auf die 1. Bundesliga.
herthabsc.de: Änis, was war das am vergangenen Spieltag gegen den FC St. Pauli für eine unglaubliche Partie. Welche Gefühlswelten hast du an diesem Nachmittag durchlebt?
Änis Ben-Hatira: Das war Fußball pur und es hatte Riesenspaß gemacht, am Millerntor zu spielen. Das Beste war natürlich, dass wir das Happy End auf unserer Seite hatten. Ich finde, das war unser bestes Auswärtsspiel in dieser Saison. Es steckte so viel drin in dieser Begegnung, es war alles dabei und ein wirklich berauschendes Gefühl für mich als Spieler.
herthabsc.de: Was hattest du gedacht, als Daniel Ginczek in der 85. Spielminute per Foulelfmeter das Spiel zugunsten der Paulianer drehte?
Änis Ben-Hatira: Als erstes hatte ich auf die Uhr gesehen. Da dachte ich mir, okay es sind noch knapp zehn Minuten – das Unentschieden können wir auf jeden Fall noch packen. Dass wir dann aber innerhalb von zwei Minuten noch zwei Tore machen, war auch für mich überraschend. Aber das zeigt auch die Moral unserer Mannschaft, die immer an sich glaubt und auch gegen Pauli wusste, dass sie noch etwas bewegen kann.

Änis Ben-Hatira: Wir haben uns im Verlauf dieser Saison unglaublich viel Selbstbewusstsein erarbeitet und erspielt, was uns in kritischen Momenten stärkt. Der Glaube daran, dass wir gewinnen, ist bei uns immer da. Da nehmen wir uns auch an Teams wie dem FC Bayern München oder Borussia Dortmund ein Beispiel, die auch immer bis zum Ende auf Sieg spielen und nie aufstecken. Auf diese Qualität wollen wir hinaus und werden so weitermachen.
herthabsc.de: Welchen Anteil hat euer Trainer Jos Luhukay an dieser mentalen Stärke?
Änis Ben-Hatira: Jos Luhukay ist der eigentliche Superstar bei Hertha BSC, denn er kam zu uns, als wir alle in einem psychisch schwachen Zustand waren. Wir waren nach der letzten Saison schlichtweg betrübt und dank ihm haben wir uns aus diesem Loch wieder herausgearbeitet. Er hat uns immer den Rücken gestärkt und so unser Selbstbewusstsein wieder instandgesetzt. Mit unserem Trainer kamen der Erfolg und die Ergebnisse zurück und wenn es dann so ein Lauf wird, kennt das keine Grenzen.
herthabsc.de: Wenn man dich beim Training beobachtet, sieht man dich viel mit dem Coach scherzen. Aber auch fußballspezifisch pflegt ihr einen sehr intensiven Dialog. Wie würdest du euer Verhältnis beschreiben?
Änis Ben-Hatira: Wir verstehen uns sehr gut und tauschen uns viel aus. Zwischen uns beiden hat es ab dem ersten Tag an gepasst, und der Trainer hat auch in den schwierigen Situationen voll hinter mir gestanden. Es ist natürlich ein schönes Gefühl, wenn der Coach einen so unterstützt und dann kommt man auch aus einer Durststrecke gestärkt heraus. Ich bin froh, unter seiner Regie trainieren und spielen zu dürfen und ich freue mich darauf, im kommenden Jahr das "Abenteuer Bundesliga" mit Jos Luhukay anzugehen.
herthabsc.de: Gegen St. Pauli standest du zum zweiten Mal seit Oktober in der Startelf. In den letzten Wochen konnte man gut beobachten, wie du nach deiner Verletzungs- und Krankheitspause immer besser zu deinem Spiel gefunden hast. Wie schätzt du deine persönliche Entwicklungskurve ein?
Änis Ben-Hatira: Ich würde sagen, die ging steil bergauf. Vor allem am Anfang, im ersten Drittel der Saison war ich gut drauf und dann kamen meine Knöchelverletzung und die anschließenden Probleme dazwischen. Ich musste immer wieder Fouls einstecken, wurde immer wieder an dieser Stelle getreten. Aber jetzt bin ich aus diesem Tal heraus und meine Leistungskurve zeigt erneut nach oben. So soll es jetzt auch weitergehen in den verbleibenden drei Ligaspielen. Wir möchten als Team erfolgreich bleiben und ich persönlich habe mir auch noch einiges vorgenommen, möchte zum Beispiel noch das eine oder andere Tor schießen.
herthabsc.de: Ende März warst du im Kader der tunesischen Nationalelf beim WM-Qualifikationsspiel gegen Sierra Leone, bist aber leider nicht eingesetzt worden. Trotzdem meinte Jos Luhukay bereits damals, man müsse abwarten, ob dieser Trip nicht dennoch positive Auswirkungen auf dich hat. Welche gab es denn?
Änis Ben-Hatira: Eine Länderspielreise tut mir persönlich immer gut, weil mir die Atmosphäre, die Mannschaft, der Nationaltrainer und auch unsere Art und Weise, wie wir dort Fußball spielen, sehr helfen. Auch wenn ich nicht zum Einsatz komme, bin ich im Team eine feste Größe und fühle mich im Kreis der Nationalelf Tunesiens wohl. Außerdem war es nach dieser langen Winterphase hier in Deutschland eine Wohltat, mal wieder in der Sonne gewesen zu sein. Das Essen, das Klima: Alles war top. Daher habe ich die Zeit sehr genossen und bin gestärkt zurück nach Berlin gekommen.
herthabsc.de: Bei den öffentlichen Trainingseinheiten eurer Mannschaft fällt auf, dass du hier in Berlin zu einem richtigen Star gereift bist. Von jung bis alt wirst du bewundert und giltst als Berliner Idol. Wie fühlt sich das an?
Änis Ben-Hatira: Das Wort "Star" mag ich überhaupt nicht. Ich bin mit Leib und Seele Herthaner, lebe für diesen Verein und habe hier meine Ausbildung in der Jugend genossen. Ich kann mich noch an die Zeit damals erinnern, als ich als Ballhohler am Spielfeldrand stand und meinen Idolen zugesehen habe. Ich lebe jetzt meinen Traum und möchte diese erfolgreiche Zeit, die wir im Moment erleben und mit Jos Luhukay gestartet haben, weiter fortführen. In der Ersten Liga werden wir den Ball erst einmal ein bisschen flacher halten müssen. Aber ich denke, wir können auch dort für Furore sorgen.
Änis Ben-Hatira: Bei dem Projekt geht es darum, der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen entgegenzuwirken. Bevor die Jugendlichen nachts draußen auf der Straße unterwegs sind, gibt unsere Initiative die Chance, sich sportlich zu betätigen und öffnet die Türen von Sporteinrichtungen. Wir vermitteln Werte wie Respekt, Toleranz und Fairplay und kämpfen gegen Frustration, Langeweile und Perspektivlosigkeit an. Aber es geht dabei nicht nur um den Sport, sondern wir schenken den Jugendlichen ein Ohr und versuchen sie im sozialen Bereich zu unterstützen. Schulprobleme werden ebenso angegangen wie auch die Vermittlung von Ausbildungs- und Praktikumsplätzen sowie Konfliktschlichtungen. Als "Großer Bruder" fungiere ich als Vorbild und halte intensiven Kontakt zu allen Leuten des Projekts. Es ist eine Herzensangelegenheit für mich.
herthabsc.de: Den Aufstieg habt ihr bei Hertha BSC in der Tasche und das Spiel gegen Pauli hat gezeigt, dass ihr diese Saison nicht einfach nur herunterspielen möchtet. Wie lautet eure Marschroute für die noch ausstehenden drei Partien?
Änis Ben-Hatira: Ganz klar: Wir wollen alle drei Spiele gewinnen und somit auch unseren Fans einen schönen Abschluss bereiten, denn ihnen gilt unser großer Dank. Außerdem haben wir noch die Möglichkeit, den Punkterekord und weitere Bestmarken in der 2. Bundesliga zu brechen, was auch einen besonderen Reiz darstellt. In dieser Saison hat bisher einfach alles gepasst. Daher wollen wir auch gar nicht damit aufhören und uns lediglich mit dem Aufstieg begnügen. Und auch in dieser Hinsicht können wir Bayern München als Vorbild betrachten, die stets Gas geben, erfolgshungrig sind und keine Grenzen kennen. Ihnen wollen wir nacheifern und unsere starke Saison krönen, denn ich kann es kaum erwarten, die Felge in der Hand zu halten.
herthabsc.de: Im kommenden Jahr spielt ihr endlich wieder in der 1. Bundesliga. In einem Zeitungsinterview hast du erklärt, dass du dich schuldig für den Abstieg in der letzten Saison fühlst. Wie war das gemeint?
Änis Ben-Hatira: Ich habe immer alles für den Verein gegeben, sowohl auf dem Platz als auch abseits des Rasens. Mich hat der Abstieg im letzten Jahr hart getroffen, denn ich ticke als gebürtiger Berliner vielleicht etwas anders im Vergleich zu Spielern, die nicht mit Hertha groß geworden sind. Was ich damit vor allem meinte, war das Relegationsrückspiel gegen Fortuna Düsseldorf, als ich zwar ein Tor geschossen hatte, aber eben auch eine Gelb-Rote Karte bekam, was unsere Situation ungemein schwieriger machte. Ich glaube, dass wir mit elf Mann auf dem Platz das Spiel noch gedreht hätten. Diesen Vorwurf mache ich mir, habe daher auch diese Gewissensbisse und fühle mich auch zum Teil mitverantwortlich.
herthabsc.de: Die Hertha-Fans und ganz Berlin sind glücklich, dass ihr die Rückkehr geschafft habt. Warum wird es im nächsten Jahr besser klappen als in der letzten Spielzeit?
Änis Ben-Hatira: Ich denke, dass wir gerade mit unseren starken Männern – Manager Michael Preetz und Trainer Jos Luhukay – ein gutes Umfeld geschaffen haben. Wir sind vor zwei Jahren aufgestiegen, haben dann dieses Erstligajahr erlebt und Erfahrungen gesammelt. Daraus haben wir gelernt und werden diese Fehler nicht mehr machen. Wir sind als Verein noch einmal näher zusammengerückt in dieser Saison, die uns richtig zusammengeschweißt hat. Wir sind gut gerüstet für die 1. Bundesliga und gehen da Hand in Hand auch mit den Fans durch. Unseren Anhängern muss man Respekt zollen, denn es ist immer wieder fantastisch, wie sie uns unterstützen. Gemeinsam werden wir auch in der Ersten Liga bestehen, davon bin ich überzeugt. Wir haben überhaupt keine Angst vor den anstehenden Aufgaben. Im Gegenteil, wir freuen uns alle darauf. Vom Manager bis zur Putzfrau sind alle heiß auf die 1. Bundesliga.

Änis Ben-Hatira: Ein Trainerwechsel kann positive, aber auch negative Auswirkungen haben. Nach einem Wechsel auf der Trainerbank herrscht immer zunächst ein frischer Wind, denn die Spieler, die vorher nicht so sehr im Fokus standen, sehen eine neue Chance und hängen sich noch mehr rein. Das bringt neue Reizpunkte in der Mannschaft. Allerdings wird die Vorbereitungszeit auf das Spiel gegen uns zu kurz sein, was auch den nächsten wichtigen Aspekt beinhaltet: Aue trifft jetzt ausgerechnet auf uns und wir werden ihnen mit Sicherheit nichts schenken. Ansonsten wünsche ich dem neuen Coach von Aue Falko Götz alles Gute. Ich kenne ihn ja noch gut, als er zu meiner Nachwuchszeit bei Hertha Nachwuchskoordinator war. Aber er trifft mit Erzgebirge Aue zum falschen Zeitpunkt auf Hertha BSC.
herthabsc.de: Aue steckt mitten im Abstiegskampf. Was erwartest du für ein Spiel?
Änis Ben-Hatira: Das wird wohl wie jede Heimpartie für uns laufen. Der Gegner wird sich zunächst hinten reinstellen und über den Kampf ins Spiel kommen wollen. Qualitativ sind wir die bessere Mannschaft und müssen wie schon in der gesamten Saison entschlossen in die Zweikämpfe gehen. Ich habe vor dieser Partie überhaupt keinen Bammel, denn wir müssen einfach wieder einhundert Prozent von unserer Leistungsfähigkeit abrufen und nicht ein Prozent locker lassen. Gelingt uns das, werden wir auch das Spiel gegen Aue gewinnen.
herthabsc.de: Nach dem Aufstiegsspiel gegen Sandhausen hast du dem Trainer eine herrliche Bierdusche geschenkt. Wie wird Änis Ben-Hatira feiern, wenn am letzten Spieltag gegen Energie Cottbus die Meisterfelge der Zweiten Liga an Hertha BSC geht?
Änis Ben-Hatira (lacht): Das habe ich mir noch nicht überlegt, denn ich bin ja eher der spontane Typ. Erst einmal müssen wir die drei Spiele noch erfolgreich absolvieren, darauf liegt mein Fokus. Danach werde ich gucken, was mir einfällt, wenn wir die Felge vor unseren eigenen Fans erhalten sollten, was etwas ganz Besonderes sein würde. Aber keine Sorge, mir wird schon etwas einfallen.