"Du grünst nicht nur zur Sommerszeit" - Teil 1
Club | 2. Januar 2015, 01:21 Uhr

"Du grünst nicht nur zur Sommerszeit" - Teil 1

"Du grünst nicht nur zur Sommerszeit" - Teil 1

Auch während der Winterpause kümmert sich Alan Cairncross täglich um das Geläuf im Olympiastadion.

Berlin - Schiedsrichter Peter Sippel pfeift das Bundesligaspiel zwischen Hertha BSC und der TSG Hoffenheim ab, das Berliner Team verabschiedet sich mit einem bitteren 0:5 in die Winterpause. Wenige Minuten später sind die Spieler in den Katakomben verschwunden und auch die letzten Fans packen ihre Fahnen und Schals ein und machen sich auf den Heimweg. Die Netze werden hochgeklappt, Tore und Eckfahnen abgebaut. Die Werbebanden quittieren den Dienst und das Flutlicht wird auf Notbeleuchtung heruntergeschaltet. Spieler und Zuschauer verabschieden sich in den Weihnachtsurlaub, das Stadion und der Rasen des Olympiastadions gehen in den Winterschlaf. Könnte man denken.
Doch gefehlt. Für Greenkeeper Alan Cairncross und sein Team geht die Arbeit in der Winterpause weiter. "Der Rasen ist immer aktiv, bei uns gibt es keinen Winterschlaf", sagt der 58-Jährige, "gleich am nächsten Tag geht es weiter." Bevor er seinen Mitarbeitern zumindest über die Weihnachtstage frei gibt, ist noch einiges zu tun. Beschädigte und herausgerissene Rasenstücke müssen ersetzt werden, der Platz wird gründlich gereinigt und schließlich komplett gewalzt. "Eine richtige Regeneration ist im Winter leider nicht möglich", bedauert Cairncross, fügt aber gleich an: "der Platz ist aber noch in verhältnismäßig gutem Zustand. Das liegt vor allem an dem milden Temperaturen bis in den Dezember hinein, die gab es früher hier nicht so häufig."

Winter hat er schon viele erlebt, seit Alan Cairncross in Berlin ist. Im Jahr 1985 kam er mit dem britischen Militär nach West-Berlin und genauso lange kennt er auch schon die Plätze auf dem Olympiagelände. Die tägliche Arbeit mit dem Grün ist für den Mann mit dem sympathischen britischen Dialekt eine Herzensangelegenheit. Wenn er erzählt, vermischt er englische und deutsche Begriffe, doch jeder der ihn reden hört versteht: Alan Cairncross liebt und lebt seinen Job. "Das Schönste ist, dass man den ganzen Tag mit der Natur arbeitet. Man bekommt ein sehr gutes Gespür für sie und doch wird man immer wieder überrascht."

"Das Olympiastadion ist der Keller und der Trainingsplatz das Penthouse"

Gerade der Platz im Olympiastadion ist für den Greenkeeper eine echte Herausforderung. Nach dem Umbau des Stadions bis 2004 liegt der Rasen um weitere zwei Meter tiefer als zuvor, zusätzlich lässt das Dach, das nun die kompletten Ränge bedeckt, nur wenig Licht herein. "Die Südseite des Platzes, also vor der VIP-Tribüne, macht uns ständig Sorgen. Durch das Dach hat der Rasen dort ein halbes Jahr lang kaum Sonne. Deshalb gibt es einen großen Unterschied zwischen Nord- und Südseite", erklärt Cairncross. Er und sein Team sind ständig darum bemüht, diesen Unterschied auszugleichen und für eine einheitliche Qualität zu sorgen. Dazu greifen sie nicht selten in die Trickkiste. "Natürlich haben wir unsere Methoden und probieren auch immer viel aus. Manchmal düngen wir beispielsweise auf der einen Seite mehr oder wässern auf der anderen Seite weniger. Es ist ein ewiger Kampf, denn wenig Licht befördert auch das Moos- oder Schwarzalgen-Wachstum" Auf künstliche Beleuchtung, wie sie in anderen Stadien normal ist, möchte er allerdings nicht zurückgreifen. "Wir versuchen, die Natur möglichst so zu belassen, wie sie ist. Und auch ohne diese Hilfen bekommen wir meist einen super Rasen hin", sagt er stolz. Eine weitere Schwierigkeit ist die tiefe Lage des Geläufs. "Das Olympiastadion ist der Keller und der Trainingsplatz das Penthouse" lautet der Lieblingsvergleich des Engländers, in Hinblick auf die jeweilige Platzhöhe. "An kalten Tagen merkt man richtig, wie die Luft auf den Rasen absinkt."

Eine technische Hilfe, auf die heute aber kein Profi-Verein mehr verzichten kann, ist die Rasenheizung. Sie ist so etwas wie die Lebensversicherung für den Winter. Die Heizung hält vor allem die Wurzeln warm, sodass diese auch bei Minusgraden nicht erfrieren. Der Unterschied zur Lufttemperatur darf allerdings nicht zu hoch sein. Außerdem muss auch im Winter der Rasen weiterhin gewässert werden, weil die Heizung diesen sonst austrocknet. "Ich bin auch schon im tiefsten Winter mit Schlauch und Sprenger auf den geräumten Platz gegangen, da haben mich die Leute für verrückt erklärt. Aber die Pflanzen brauchen das Wasser, das wissen viele nicht", erzählt Cairncross. Wer denkt, dass die Heizung den kompletten Schnee wegtauen kann, liegt falsch. Sie liegt in etwa 25 cm Tiefe und soll vor allem die Wurzeln wärmen. Gegen richtigen Schneefall hat sie keine Chance. Auch dazu weiß der 58-Jährige eine Anekdote zu erzählen: "Einmal hatte ich Rasen gesät, als es anfing zu schneien. Wegen der Heizung taute der Schnee unten an und gefror wieder. Dadurch entstand unter dem Eis eine Art Treibhaus- oder Iglu-Effekt und die Samen trieben aus. Als der Schnee das schmolz, entdeckte ich darunter das frische Gras. Das war wirklich bemerkenswert."

"Jeder Greenkeeper hat seine eigenen kleinen Probleme"

Durch solche Geschichten wird deutlich: Die Arbeit mit der Natur ist auch für einen erfahrenen Greenkeeper nur zu einem gewissen Grad planbar, immer wieder passieren unvorhergesehene Dinge. "Man muss sich immer den Veränderungen anpassen, was im letzten Jahr richtig war, kann in diesem Jahr, bei anderem Wetter, schon wieder falsch sein." Alan Cairncross weiß aber, dass dies seinen gesamten Berufsstand betrifft. "Jeder Greenkeeper hat seine eigenen kleinen Probleme. Ein Rasenplatz mitten in einem Betonstadion ist eben eine riesige Herausforderung und jeder muss mit bestimmten Bedingungen vor Ort zurechtkommen."

Schließlich stellt man sich dann die Frage: Können die Engländer diesen Job am besten? Immerhin ist die die britische Insel für ihre perfekten Rasenflächen bekannt und auch Alan Cairncross ist nicht der einzige Brite, der auf den Plätzen der Bundesliga unterwegs ist. Ganz verneinen kann er das nicht. "Auf der Insel gibt es schon die besten Fußballplätze der Welt, das muss man sagen." Natürlich hat er auch einen persönlichen Favoriten. "Der Platz von Arsenal London ist für mich sehr beeindruckend. Da ist das Grün so saftig und die Kreide so weiß, wie nirgendwo anders. Ich würde mich gern mal mit dem Greenkeeper dort unterhalten." Persönlich war er zwar noch nicht auf dem Rasen des Emirates Stadium, doch er ist sich sicher: "Auch der beste Greenkeeper hat seine Sorgen mit dem grünen Teppich"

(jk/jk)

von Hertha BSC