
"Wiese saß gern in der Regenjacke in der Sauna"
"Vor dem Training saß Tim Wiese gern in Regenjacke in der Sauna"

Berlin - Man darf es sich als als großen Spaß vorstellen, mit Peter Niemeyer über Bremen und den SV Werder der Jahre 2007 bis 2010 zu sprechen. Oft schwelgt er in "Vergangenheitsoptimismus". Meint: rückblickend kann das Bremer Gras ein bisschen grüner wirken als es tatsächlich war.
Wieviel dieser Erinnerung wahrheitsgetreu und wieviel überhöht ist, hat er oft mit dem anderen Ex-Bremer Sandro Wagner diskutiert – bis heute ohne endgültiges Ergebnis. Fakt ist: seine Bremer Zeit wirkt bei Peter Niemeyer bis heute nach. Mit Kapitän Clemens Fritz, Sebastian Prödl oder auch Torsten Frings und Christian Vander, heute Co-Trainer des SV Werder, hat er noch zusammengespielt.
herthabsc.de: Peter, um welches Tier müsste man die Bremer Stadtmusikanten ergänzen?
Peter Niemeyer: Mmh ... den Fisch! Der passt doch ganz gut in den norddeutschen Raum.
herthabsc.de: Und welchen der Stadtmusikanten würdest du Berlin als Wappentier angedeihen lassen?
Niemeyer: Was war da noch dabei? Esel, Hund, Katze, Hahn? Och, ich finde, wir sind mit unserem Berliner Bären schon am besten aufgestellt.
herthabsc.de: Du hast drei Jahre in Bremen gelebt. Wie hast du die Stadt empfunden?
Niemeyer: Vielleicht ist das immer auch die Verklärung der Vergangenheit, aber ich fand Bremen immer cool. Obwohl wir öfter nach Hamburg gefahren sind. (lacht) Was man gerade als Fußballer auch sagen muss: Bremen ist immer auch Werder Bremen. Da läufst du durch die Fußgängerzone und siehst alle paar Meter Grün-Weiß, du gehst abends in einen Club und die Leute tragen Trikots von Werder...
herthabsc.de: Wie ging der Stadtwechsel vonstatten? Bremen und Berlin sind ja nicht nur durch die Distanz, sondern auch durch verschiedene Mentalitäten getrennt.
Niemeyer: Für mich war das ganz lustig. Als meine Freundin und ich in Berlin angekommen waren, sagte sie nach dem ersten Tag: "Die Leute hier sind unfreundlich!" Ich meinte, sie solle sich beruhigen und dachte sie stellt sich nur an, weil das nicht stimmt kann.
herthabsc.de: Aber es stimmt eben doch!
Niemeyer: Ja. Am nächsten Tag kam sie wieder: "Die sind unfreundlich, die hupen mich im Straßenverkehr an und an der Kasse geht es denen nie schnell genug." Irgendwann erkennt man, dass der Berliner eben direkt ist. Wir haben uns dran gewöhnt.
herthabsc.de: Dein Wechsel ist ja auch schon wieder fünf Jahre her. Inwiefern war der Fußball 2007 bis 2010 ein anderer?
Niemeyer: Da ist mächtig Tempo dazugekommen. Damals gab es mehr von diesen Ballzauberern, die das Laufen nicht allzu wichtig genommen haben. Besonders in Bremen, mit Diego oder Micoud. Das ist ja heute eher eine aussterbenede Spezies.
herthabsc.de: Wie sehr schmerzt es, Ailton nicht mehr erlebt zu haben?
Niemeyer: Ich habe auch so genug Paradiesvögel kennengelernt, in deren Riege sich Ailton super eingefügt hätte.
herthabsc.de: Namen, Peter! Namen bitte...
Niemeyer: Zuallererst fällt mir da der Brasilianer Carlos Alberto ein, der sich irgendwann während des Trainings auf den Ball gesetzt hat und in seinem gebrochenen Deutsch sagte: "Ich bin müde!" Da wussten wir natürlich, dass er den Abend davor bis 6 Uhr feiern war.
herthabsc.de: Die Bremer Profis von damals scheinen im Schnitt ein wenig speziellere gewesen zu sein.
Niemeyer: Das muss man sagen: da hab ich echt spezielle Leute kennengelernt. Vielleicht ist das aber auch eine Voraussetzung, um es im Fußball weit zu bringen.
herthabsc.de: Einmal noch Krafttraining mit Tim Wiese?
Niemeyer: (Lacht.) Muss nicht sein. Tim war immer ein Highlight, ein lustiger Vogel. Vor dem Training saß er gern in der Sauna. Am liebsten in Regenjacke. Aber im Ernst: man weiß erst, wer Tim Wiese ist, wenn man ihn kennengelernt hat. Er sicher einer, zu dem alle eine Meinung haben. Oft ist die aber falsch, Tim ist ein guter Typ.
herthabsc.de: In Viktor Skripnik steht an anderer Ex-Profi an der Seitenlinie. Wäre das auch für dich denkbar?
Niemeyer: Es ist immer müßig, die Jahre vorauszublicken, die es bis dahin dauern würde. Aber prinzipiell kann ich mir das nicht vorstellen. Obwohl es in Bremen gut klappt. Da muss man dem Verein ein stückweit gratulieren.
herthabsc.de: Auch, weil dort nach den Jahren in der Champions League ein Umdenken stattgefunden hat?
Niemeyer: Mannschaftlich sind die Bremer nicht perfekt aufgestellt, aber vor allem die Fans haben den Schalter umlegen können. Früher war Bremen immer Spektakel, alle wollten unterhalten werden. Aber seit ungefähr zwei Jahren stehen die Stadt und die Fans wieder wie eine Wand hinter der Mannschaft. Der Gedanke der "Werder-Familie" kam mit Skripnik, Vander und Co zurück. So wie einst unter Rehhagel oder Schaaf. Das ist ein extremes Faustpfand und macht Werder gefährlich.
herthabsc.de: Ist Werder mit seinen jungen Spielern wie Selke, Busch oder Lorenzen für dich als potentiellen Gegenspieler sympathisch?
Niemeyer: Das ist unabhängig von den Namen. Ich hatte eine gute, eine unvergessliche Zeit bei Werder und habe Dinge erlebt, die ich mir auf die Fahne schreiben kann. Ich habe ein UEFA-Cup-Finale und Champions League gespielt, in Berlin den DFB-Pokal hochgehalten. Also kann Werder gern 32 Spiele der Saison punkten, da freue ich mich.
herthabsc.de: Habt ihr nach dem unnötigen Remis im Hinspiel noch was gut zu machen?
Niemeyer: An verlorene Punkte denke ich nicht. Vielmehr ist der Start in eine Serie elementar: im ersten Saisonspiel hätten wir ein Fundament legen können wie bei dem 6:1 gegen Frankfurt in der Saison davor. Dann weiß man, dass es läuft. Besonders wichtig ist das angesichts der jetzigen Tabellenkonstellation: wenn wir gewinnen, bekommen wir vor der englischen Woche mit der Topmannschaft Leverkusen Auftrieb – und hätten einen Tabellennachbarn ruhig gestellt.
(ph/citypress)