
Das Gehirn
Das Gehirn

Herthas Trainer und Rückkehrer Rainer Widmayer: Fußballfachmann, Fleißbündel, Synonym für einen „feinen Kerl“ und ideale Ergänzung zu Pál Dárdai.

Dieser Satz ist sehr Widmayer: geradlinig, gesagt wie gedacht. Vertraute sagen, Widmayer, feingliedrig, 48-jährig sei ein Synonym für einen 'feinen Kerl'. Sein Satz wird Herthas neuem 'zweiten Trainer', wie sein Kollege Pál Dárdai zu betonen nimmermüde wird, aber auch inhaltlich gerecht. Widmayer ist, ganz Schwabe, ein Fleißbündel, fokussiert, fachlich außerordentlich bewandert. Den Rasen unter den Füßen, bewaffnet mit Shorts und Hütchen fühlt er sich am wohlsten. Man darf davon ausgehen, dass der Begriff 'Mastermind' für Kräfte wie Rainer Widmayer erfunden wurde. Einen, der sich nächstens Fußballspiel um Fußballspiel ansieht, der an freien Tagen durch die umliegende Provinz tingelt, um kein Oberligaspiel zu verpassen. Einer, der jeden Kicker kennt, jede Stärke, jede Schwäche vermitteln kann. Einer auch, der jedes Spiel als spannende Taktikaufgabe begreift. Einen, der sich berufsspezifisch nichts zu Schulden kommen lassen würde. Was einiges erfordert, wenn man betreffs Trainingssteuerung und Videoanalyse eine Aufgabenfülle Widmayerschen Ausmaßes hat.
Rückkehr nach einem "außergewöhnlichen Ende"
Das alles hat er in Berlin schonmal geschultert. Auch in der Spielzeit 2010/11 war er wesentlich mehr als ein Co des Trainers, der seinerzeit und schon zuvor beim VfB Stuttgart Markus Babbel hieß. Als Zentrum, als Gehirn des Ganzen wahrgenommen und ob seiner Kompetenz und Aufrichtigkeit stand Widmayer innerhalb weniger Wochen hoch im Kurs bei Mannschaft, Offiziellen und Medien. Nach der Demission Babbels, als sein Nachfolger Michael Skibbe bereits benannt war, übernahm Widmayer für das richtungsweisenden Pokalachtelfinale gegen Kaiserslautern.
Die Pressekonferenz vor dem Spiel zählt heute zu den Klassikern der jüngeren Vereinsgeschichte. Sie lebt natürlich von Widmayers Charisma, aber auch von seiner Aufregung, der Aufmerksamkeitsabneigung eines Mannes, der Geltungsdrang befreit scheint. Diese Tage sind ein Clou in der Laufbahn des Widmayer. Die gebeutelte Mannschaft spielte begeisternd, zog mit 3:1 ins Pokalviertelfinale ein. "Da waren ein Team und Substanz dahinter", sagt er heute. "Für mich war es schön, zu sehen, dass anderthalb Jahre Arbeit nicht für die Katz waren." Nach Abpfiff skandierte die Ostkurve Widmayers Namen. Nach einigem Zögern stand er ihr schließlich gegenüber - und genoss den Moment, sein "außergewöhnliches Ende" sichtlich.
Gern hätten sie ihn damals in Berlin behalten, Widmayer jedoch folgte seinem Intimus Babbel zur TSG Hoffenheim. Die Konstellation hielt zehn Monate. Die Tage danach waren schwere für Rainer Widmayer, die Jahre danach vertrieb er sich in den Stadien der Republik. So auch am Abend des Anrufes von Michael Preetz. Widmayer war spät vom Spiel des 1. FC Köln gegen den VfB Stuttgart zurückgekehrt und vollkommen überrascht, das man ihn als Dárdai-Ergänzung in Erwägung zog.
Dem Vernehmen nach hat es nicht lang gedauert, bis Widmayer zusagte. "Wenn Hertha fragt, geht man dahin", sagt er heute. Vor fünf Jahren bezog er innerhalb kürzester Zeit eine Wohnung in Heiligensee. Nicht unbedingt blau-weißes Einzugsgebiet, aber Widmayer, dessen Söhne mit 18 und 15 Jahren sehr aufgehoben wären in der Metropole Berlin, mag das Grün des Nordwestberliner Randes, braucht dessen Ruhe.
Der Auftritt in Mainz schien schon ein bisschen Widmayer

Heiligensee stünde ihm wieder zu Gesicht. Weniger Druck als beim ersten Engagement hat er nicht - als Widmayer zurückkehrte, stand Hertha BSC auf dem vorletzten Tabellenrang. Ein erster Brustlöser gelang mit dem 2:0 in Mainz. Man bildete sich zumindest ein, bereits ein bisschen Widmayer, seine Idee vom Fußball im Kollektiv, wiederzukennen in diesen Jungs. Mit den Herren Kraft, Lustenberger, Ben-Hatira, Niemeyer, Schulz und Ronny hat er beim ersten Berliner Engagement zusammengearbeitet.
Widmayer, geboren im südlich Stuttgarts gelegenen Sindelfingen, das bekannt ist für tausendjährige Kirchen und kurzweiliges Bier, freut sich aber auf alle Spieler "und die, die drumherum arbeiten". Jene, mit denen er jetzt, Höhe Tipi am Kanzleramt, zusammen im Auto sitzt und die Umgebung plötzlich wiedererkennt. "Hier waren wir nach der Niederlage gegen den Berliner AK!" Es war eine sengende: August 2012, erste Pokalrunde, 0:4 gegen einen Regionalligisten, der drei Nummern zu groß für den hochgerüsteten Bundesligisten und sein neues Trainerteam war.
"Tim Wiese hat nur auf dem Boden gelegen", sagt Widmayer. "Eigentlich hätten wir damals acht Buden bekommen müssen." Auch das ist, von wem wir sprechen, wenn wir von Rainer Widmayer sprechen. Der steht jetzt mit Pál Dárdai für Hertha gerade. Gut so.
(ph/dpa/citypress)