
Teams | 18. Februar 2015, 11:26 Uhr
Der Mann, der nicht im Tor stand
Der Mann, der nicht im Tor stand

Thomas Krafts berühmte Vorfahren heißen Nigbur, Király, Junghans oder di Martino. Dass Hertha BSC in seiner Historie noch keinen Torhüter im Kapitänsamt hatte, ist bemerkenswert.
Berlin - Thomas Kraft bleibt eine Ausnahme. Dass ein Torhüter in Diensten von Hertha BSC - wie Kraft gegen den SC Freiburg - als Kapitän aufläuft, ist eine Anomalie. Seit dem Start der Bundesliga 1963 liefen zumeist Mittelfeldspieler oder Innenverteidiger wie der aktuelle Kapitän Fabian Lustenberger mit der Berliner Binde auf.
Das kann durchaus der Annahme geschuldet sein, ein Spieler könne auf dem Feld mehr Einfluss nehmen als an dessen Ende. Denn einflussreiche, autoritäre, charakter- und leistungsstarke Torhüter, die man mit dem Kapitänsamt nicht überfordert hätte, die gab es bei Hertha BSC zur Genüge. Eine Auswahl.
Das kann durchaus der Annahme geschuldet sein, ein Spieler könne auf dem Feld mehr Einfluss nehmen als an dessen Ende. Denn einflussreiche, autoritäre, charakter- und leistungsstarke Torhüter, die man mit dem Kapitänsamt nicht überfordert hätte, die gab es bei Hertha BSC zur Genüge. Eine Auswahl.

Es gibt ein Foto vom 22. November 1970, das die Karriere des Volkmar Groß auf den Punkt bringt. Es zeigt Groß, mit 1,92 Metern, blondem Haar und langen Koteletten eine hünenhafte Erscheinung, zwischen Franz Beckenbauer und Wolfgang Overath. Im ersten Länderspiel des damals 22-jährigen Groß hatte Deutschland die Griechen durch Tore von Netzer, Grabowski und Beckenbauer geschlagen. "Volkmar steht vor einer großen Karriere", beschied Stammtorhüter Sepp Maier.
Die ganz große Karriere hat Volkmar Groß nicht gemacht, wohl aber ein aufregendes Leben gelebt. "Ich war ganz oben und ganz unten", resümierte er einst im Tagesspiegel. "Eigentlich lief alles nach Plan. Tja, und dann kam der Bundesliga-Skandal." Er wechselte daraufhin nach Südafrika und Enschede, für das Groß 1975 in den UEFA-Cup-Endspielen gegen Borussia Mönchengladbach im Tor stand. Später wurde er zur Vorhut für den modernen Fußballpensionär – bis 1983 spielte er für die Minnesota Kicks und den San Diego Sockers in Nordamerika. Groß, noch über Jahre aktiv in der Fanszene von Hertha unterwegs, verschied Anfang Juli 2014 im Alter von gerade mal 66 Jahren.
Die ganz große Karriere hat Volkmar Groß nicht gemacht, wohl aber ein aufregendes Leben gelebt. "Ich war ganz oben und ganz unten", resümierte er einst im Tagesspiegel. "Eigentlich lief alles nach Plan. Tja, und dann kam der Bundesliga-Skandal." Er wechselte daraufhin nach Südafrika und Enschede, für das Groß 1975 in den UEFA-Cup-Endspielen gegen Borussia Mönchengladbach im Tor stand. Später wurde er zur Vorhut für den modernen Fußballpensionär – bis 1983 spielte er für die Minnesota Kicks und den San Diego Sockers in Nordamerika. Groß, noch über Jahre aktiv in der Fanszene von Hertha unterwegs, verschied Anfang Juli 2014 im Alter von gerade mal 66 Jahren.

Im März 2008 hatte Lothar Niemeyer, Sportdirektor des Landesligisten FC Rheinbach, akute Not. Torwartnot. So stand Wolfgang Kleff, aufgrund seiner optischen Parallelen zu Otto Waalkes nur "Otto" gerufen, wieder im Tor. Mit 61 Jahren. Er spielte zu Null. Was anderes kannte Kleff aus seiner aktiven Zeit bis 1992 auch nicht. Er war Torhüter und Stimmungsmacher der legendären Gladbacher Truppe der 70er Jahre, die fünfmal die Meisterschaft, den Uefa-Cup und den DFB-Pokal gewann, eine Dekade lang die Bayern zur Weißglut trieb. Laut eigener Aussage kam Kleff hinter Sepp Maier auf 200 Länderspiele, nämlich "sechs A-Länderspiele, 34 auf der Bank und 160 vor dem Fernseher". Zwischen den Pfosten von Hertha BSC absolvierte er eine Saison: 1979/80 unter den Trainern Hans "Gustav" Eder und Helmut Kronsbein. Nach überstandener schwerer Krankheit leitet der 69-Jährige heute eine Fußballschule in Mönchengladbach.

Wer einen Namen und eine Stimme solcher Klangfülle trägt, ist auch abwesend eine Bereicherung. In der Saison 1974/75, zu einem von Nigburs 393 Spielen für den Verein, vergaßen die Gelsenkirchener ihren Torhüter in den Katakomben des Bochumer Stadions. Das Spiel lief, nur stand er nicht im Tor, sondern in der leeren Kabine. "Ich stürzte raus auf den Flur in Richtung Spielfeld", erzählte Nigbur hernach.
"Da kam mir der Schokoladeneis-Verkäufer mit seinem Bauchladen entgegen. Er sagte nur: 'Jetzt müssen Sie sich aber beeilen, Herr Nigbur. Das Spiel läuft schon wieder!" Die fünf nigburlosen Minuten, das leere Tor hatte keiner bemerkt. Kein Mitspieler, nicht der Schiedsrichter. "Glücklicherweise auch nicht die Bochumer", sagte der sechsfache deutsche Nationalspieler, der zwischen seinen Abstechern nach Gelsenkirchen auch Herthas Tor hütete. Von 1976 bis 1979 durchlief er 101 Spiele. Soweit überliefert allesamt im Tor.
[>]Jetzt müssen Sie sich aber beeilen, Herr Nigbur. Das Spiel läuft schon wieder![<]

Zu einer Zeit, als Deutschland bereits von seiner weltweit unerreichten Torhüterfabrikation überzeugt war, störte ein junger Ungar den Frieden. Gabor Király erdreistete sich, dermaßen zu glänzen, dass ihn viele trotz eines Oliver Kahn für den besten Torwart der Bundesliga hielten. Der schrillste war er unbestritten. Als der Mann, der die graue Jogger salonfähig machte, blieb ihm nur ein Wunsch verwehrt: den Ball während des Spiels zum Abwurf mal an die eigene Torlatte zu werfen. Trainer Jürgen Röber intervenierte, Király verstand: "Für mein Vorbild Peter Hegedüs war das noch einfacher, zu dessen Zeiten war die Latte noch eckig." Von 1997 bis 2004 warf der Ungar in insgesamt 198 Spielen für Hertha BSC ab. "Alles, was ich kann, habe ich Berlin gelernt", sagt er, der das Gelernte noch für diverse Vereine in England, Bayer Leverkusen und 1860 München zeigte.

Junghans ist ordentlich herumgekommen. Rückläufig erzählt war er: Assistenztrainer bei Jupp Heynckes in Mönchengladbach, Torwarttrainer in Lissabon und Bilbao, Torwart in München, Gelsenkirchen, in Leverkusen, Köln - und Berlin. 1987 zum damaligen Oberligisten Hertha BSC gewechselt, stiegen die Berliner mit Junghans in die 2. Bundesliga auf. In den folgenden zwei Jahren bestritt der Europameister von 1980 alle Zweitligaspiele und feierte 1990 die Rückkehr in die Bundesliga. Nach 192 Spielen für Hertha BSC und der zweifelhaften Ehre, am Tor des Monats Juli 1993 beteiligt zu sein, verabschiedete sich Junghans in Richtung Leverkusen. Heute ist der 57-Jährige Torwarttrainer der Bayern-Amateure.

Signore Hertha ist prinzipiell zu sehr Herthaner, zu sehr Original, zu sehr wandelnder Anekdotenschrein, als dass ihm ein Absatz in dieser Auflistung gerecht würde. Trotzdem: 1971 von Inter Mailand nach Berlin gekommen, blieb er bis heute. Seit 1998 arbeitet er nicht mehr im, sondern um das Team - erst als Torwarttrainer, heute als Teamleiter. Im Verein bekannt als "Hertha an sich", schätzen Spieler und Mitarbeiter Nello als gute Seele des Vereins. In seiner Heimat haben sie ihn nicht vergessen: 2004 wurde di Martino als "vorbildlicher Repräsentant im Ausland" mit dem italienischen Verdienstkreuz ausgezeichnet, 2006 als Teamleiter des italienischen Teams Weltmeister - pikanter- oder fast schon logischerweise im Olympiastadion. "Ich bin Herthaner, kein Deutscher", sagt er.
(ph/lg/dpa/citypress)
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