"Die Mannschaft muss als Einheit funktionieren"
Profis | 4. August 2017, 20:39 Uhr

"Die Mannschaft muss als Einheit funktionieren"

"Die Mannschaft muss als Einheit funktionieren"

Rainer Widmayer gilt als großer 'Taktifuchs': Im Interview spricht der Co-Trainer über Herthas Spielidee, Führungsspieler und Fußball in der Bezirksliga.

Schladming - Die Saison 2017/18 wird für Hertha BSC eine Herausforderung - da sind sich alle sicher, die es mit Hauptstadtclub halten. Das erste Mal seit 2009 gehen die Blau-Weißen in der bevorstehenden Runde in drei Wettbewerben an den Start. Zu dem Alltagsgeschäft Bundesliga und dem DFB-Pokal, in dem das Erreichen des Finales nach wie vor ein großer Traum ist, kommt die Europa League hinzu. Aber Herausforderungen sind da, um sie zu meistern. Die Vorfreude auf die sportlichen Höhepunkte der neuen Spielzeit ist im ganzen Verein auf jeden Fall spürbar. Dennoch gibt es vor Saisonauftakt immer wieder Entwicklungen, die so nicht vorhersehbar sind. Wer weiß schon im August, wie sich beispielsweise Verletzungen auf die sportlichen Ergebnisse auswirken?

Pál Dárdai und sein Trainerteam bereiten die Herthaner in der Vorbereitung aktuell bestmöglich auf die Dreifachbelastung vor - unabhängig von möglichen Eventualitäten. Nach dem konditionellen Schwerpunkt mit den Einheiten in Berlin und dem Trainingslager in Bad Saarow stehen nun neben der Spritzigkeit vor allem taktische Dinge auf dem Programm. Ein Bereich, in dem Rainer Widmayer sich bestens auskennt. Der Co-Trainer genießt einen Ruf als 'Taktikfuchs'. Dárdai schätzt die Raffinesse seines Assistenten, mit dem er zusammen mit Admir Hamazgic und Torwarttrainer Zsolt Petry ein Team bildet. Nach der Vormittagseinheit am Freitag (04.08.17) hat sich Widmayer die Zeit genommen, mit herthabsc.de über Spielsysteme, taktische Intelligenz und Trainingssteuerung gesprochen.

herthabsc.de: Rainer, in Bad Saarow habt ihr an der Grundlagenausdauer gearbeitet, in Schladming geht es vor allem um taktische Inhalte - so zumindest die Wahrnehmung von außen. Wie steuert ihr die Trainingsinhalte?
Rainer Widmayer: Das zweite Trainingslager baut natürlich auf dem ersten auf. Deswegen sagen wir nicht, dass wir in Bad Saarow ausschließlich Kondition gebolzt haben und in Schladming nur Taktik machen. Wir verfeinern hier konditionelle Inhalte und setzen in den Bereichen Kraft- und Schnelligkeitsausdauer sowie im Sprintbereich andere Akzente. Aber natürlich sind wir in einer Phase, in der wir vermehrt an unserer Taktik feilen. Dazu gehört die Arbeit an der Spieleröffnung, das Kreieren von Torchancen, aber auch Inhalte im Spiel gegen den Ball.

herthabsc.de: Wie gelingt es dem Trainerteam, der Mannschaft taktische Aspekte zu vermitteln? 
Widmayer: Wir erklären unsere taktischen Vorstellungen visuell und auf dem Platz. Eine Powerpoint-Präsentation alleine bildet logischerweise die Räume auf dem Spielfeld nicht exakt ab. Daher ist es umso wichtiger, das taktische Training auf dem Spielfeld umzusetzen, um Gefühle für Abstände, Schnittstellen und Raume zu bekommen.

herthabsc.de: Inwiefern bezieht ihr die Spieler in eure Planspiele mit ein?
Widmayer: Die Spieler sind gefragt, wenn es darum geht, Absprache und Singale zu treffen, beispielsweise zu entscheiden, wann wir im Spiel das Pressing starten, vorne zustellen oder uns fallen lassen. Ich tausche mich vor den Partien mit den Führungsspielern aus, ob der Plan, den wir ausgearbeitet haben, umsetzbar ist. Wenn die Spieler aber nicht den Mut oder die Überzeugung haben, diesen Plan umsetzen zu können, dann funktioniert es nicht. Darum bemühe ich mich, die Jungs mit ins Boot zu nehmen.

herthabsc.de: Es gibt Profis, die das Spiel besser lesen können als andere. Glaubst du, dass Spielintelligenz anzutrainieren ist?

Widmayer: Durch das regelmäßige Training verinnerlichen die Spieler, wie wir als Hertha BSC spielen möchten. Dadurch wissen sie ganz genau, was sie für Aufgaben haben. Sie wissen, auch in Hinblick auf den Gegner, was sie zu tun haben. Klar ist: Jede Mannschaft braucht Akteure, die das Team steuern. Aber natürlich gibt es auch Jungs, die ein wenig geführt werden müssen. Dafür sind die Führungsspieler da. Sie organisieren das Spiel in den verschiedenen Mannschaftsteilen. Sie wissen genau, wie sie in der Achse auf dem Feld agieren und wann sie Kommandos geben müssen. Entscheidend ist am Ende immer, dass die Mannschaft als Einheit funktioniert.

herthabsc.de: Nicht nur in Schladming erkennt man, dass du dich sehr oft und intensiv mit Pál Dárdai, Admir Hamzagic und Torwarttrainer Zsolt Petry austauscht. Wie harmonisch läuft eure Zusammenarbeit?
Widmayer: Wir haben ein sehr, sehr gutes Trainerteam. Die Aufgaben sind gut verteilt und jeder in seinem Bereich macht einen guten Job, hat gute Ideen. Am Ende des Tages, und das ist ganz entscheidend, ist Pál Dárdai der Chef, der die Entscheidungen trifft und sagt: "So machen wir es". Man braucht einen, der vorneweg geht – und das ist Pál. Dadurch, dass wir uns gut verstehen, kommen immer wieder neue Gedanken und Überlegungen ins Spiel.

herthabsc.de: Hertha BSC möchte in der kommenden Saison noch variabler spielen als in den vergangenen Spielzeiten, je nach Gegner auch das System flexibel gestalten. Kannst du die Überlegungen einmal skizzieren?
Widmayer: Wir haben eine sehr variable Mannschaft, die sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren gut entwickelt hat. Unseren Kader haben wir in dieser Zeit Stück für Stück auf unsere Spielphilosophie abgestimmt. Jeder Spieler ist sehr wichtig für das Gesamtkonstrukt, das wir weiter verbessern wollen. Unsere Spieleröffnung von hinten, ob über eine Dreier- oder Viererkette, Vertikalspiel oder das schiefe Dreieck, ist schon auf einem guten Weg. Was jetzt noch besser werden muss ist, in der entscheidenden Zone torgefährlicher zu werden. Wir wollen mehr als nur zwei, drei Spieler in die Position bringen, um Tore zu erzielen. Wir wollen aber auch das Spiel gegen den Ball, das uns in der Vergangenheit extrem ausgezeichnet hat, weiter auf einem hohen Niveau halten. Sei es im Abwehr-, Mittelfeld- oder im Angriffspressing.

herthabsc.de: Der Fußball hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter entwickelt - nicht nur im athletischen, sondern auch im taktischen Bereich. Wie bildest du dich weiter und entwickelst neue Ideen?

Widmayer: Ich bleibe im Austausch mit anderen Trainern, um auf Situationen mit speziellen Spielformen Antworten zu finden. Außerdem schaue ich natürlich auch in meiner Freizeit viel Fußball und orientiere mich da gerne an Mannschaften aus der Champions League. Aus dem Auftreten anderer Teams kann ich mir einiges abschauen und im Idealfall auf unsere eigene Mannschaft übertragen.

herthabsc.de: Schaust du dir Fußballspiele nur noch unter taktischen Aspekten an oder kannst du sie auch hin und wieder mal als Fan genießen?
Widmayer: Nach mehr als 17 Jahren im Trainergeschäft fällt es mir schon schwer, ein Spiel einfach nur als Fan zu beobachten. Ich habe gemerkt, dass es mir manchmal gut tut, meinen Söhnen beim Spielen in der Bezirks- oder Landesliga zuzuschauen. Das ist natürlich ein ganz anderes Niveau. In der Spielbeurteilung halte ich mich dann so gut wie möglich zurück, sonst kann es schon ab und an mal Ärger untereinander geben (lacht).

herthabsc.de: Abschließend noch eine Frage: Oft hört man über Trainer, die aktiv Fußball gespielt haben, dass sie schon als Profi wie ein Coach gedacht haben. Gibt es solche Typen auch im aktuellen Kader von Hertha BSC?
Widmayer: Ich denke schon, dass es in unserer Mannschaft Spieler gibt, die später in der Lage wären, selbst mal eine Mannschaft zu trainieren. Aber wie und wer genau das sein wird, ist schwierig zu sagen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der eine oder andere später mal irgendwo im Management auftauchen wird.

(fw/City-Press)

von Hertha BSC