
"Belastung bewältigt und trotzdem gelacht"
"Belastung bewältigt und trotzdem gelacht"

Neuruppin - Der Lauteste auf dem Platz war dieser vergangenen Tage nicht selten Rainer Widmayer. Wenn die Jungs auf dem Trainingsgelände des MSV Neuruppin ackerten und keuchten, schallte nicht selten des Co-Trainers Stimme über den Platz. Taktische Anweisungen hier, motivierende "Stellt euch vor, ihr lauft im ausverkauften Olympiastadion auf's Tor zu"-Worte da - der Assistent von Pál Dárdai hatte im Trainingslager einiges zu sagen. Das ist recht ungewohnt für das erste der beiden Sommertrainingslager, steht doch normalerweise vor allem die Grundlagenkondition ganz oben auf dem Programm. Dieses Mal war alles etwas anders, die Trainingsinhalte haben sich ein wenig verschoben. Warum das so war, wie sich die Nachwuchsspieler geschlagen haben und die Trainingssteuerung ausgesehen hat, verrät der 'Taktikfuchs' im Interview.
herthabsc.de: Rainer, erstmals fand das erste Trainingslager in Neuruppin statt, wie zufrieden bist du mit der Arbeit, die ihr dort geleistet habt?
Widmayer: Die Rahmenbedingungen waren hervorragend. Wir hatten ein sehr schönes Hotel, in dem man auch einen entspannten Wellnessurlaub machen könnte. Zeit dafür war aber natürlich nicht – für uns ging es darum, hart zu arbeiten, damit wir fit für die bevorstehende Bundesliga-Saison werden. Für die Wellnessoase hatte ich leider auch keine Zeit (lacht). Die Jungs haben die hohe Belastung sehr ordentlich bewältigt und waren am Schluss trotzdem immer auch mit der nötigen Portion Spaß bei der Sache. Das ist ein Zeichen dafür, dass es hart, aber herzlich zugeht. Es ist alles sehr gut abgelaufen, wir sind absolut zufrieden.
herthabsc.de: Generell hat man den Eindruck, dass die Stimmung unter den Spielern sehr gut ist…
Widmayer: Die Jungs sind eine gute Gruppe, die zielorientiert arbeitet. Der Konkurrenzkampf sollte hart, aber fair sein – und das ist er auch. Dabei muss jeder an seine Grenze gehen, damit er bereit ist, wenn es losgeht.
herthabsc.de: Normalerweise liegt der Schwerpunkt des ersten der beiden Sommertrainingslager eher im Bereich der Grundlagenausdauer, im zweiten geht es dann vorrangig um taktische Inhalte. Pál Dárdai und Henrik Kuchno haben gesagt, dass die Schwerpunkte nun etwas verschoben wurden. Kannst du erklären, warum?
Widmayer: Wir haben den Zeitpunkt des Trainingslagers etwas nach hinten verschoben, weil die Vorbereitung sehr lang ist. Deswegen haben wir schon in Berlin im Bereich Grundlagenkondition gearbeitet, um ein Fundament zu legen. Die Spieler sind jetzt schon fitter als sie es normalerweise im ersten Trainingslager sind. Hier in Neuruppin konnten wir deshalb - vor allem aber auch aufgrund der guten Bedingungen - teilweise schon andere Schwerpunkte in Richtung Ballbesitz legen.
herthabsc.de: Für euer Trainerteam ist es mittlerweile die vierte Sommervorbereitung. Was hat sich im Laufe der Zeit verändert und was ist gleich geblieben?
Widmayer: Genau, erstmal sind die Personen weitgehend gleichgeblieben (lacht). Das Umfeld um die Mannschaft herum ist aber insgesamt noch breiter aufgestellt. Wichtig sind Spezialisten, die uns mit ihrer Expertise weiterhelfen. Natürlich hat sich auch der Kader verändert – viele sind gegangen, viele sind gekommen. Es sind auch wieder viele junge Spieler dabei und das macht es interessant. Wir wollen die Jungs auf ein neues Niveau bringen, damit sie in der Bundesliga erfolgreich spielen können. Dazu braucht man sicher auch etwas Glück. Aber es geht immer nur als Team. Und dass wir das sind – darauf legen wir heute wie vor vier Jahren sehr viel Wert.
herthabsc.de: Du sagst es, ihr hattet stets einige Nachwuchsspieler dabei – so war es auch in Neuruppin. Was bringen sie mit an Qualitäten und wie haben sie sich geschlagen?
Widmayer: Die Jungs haben es sich verdient und erarbeitet, dass sie dabei sind – es ist quasi eine Belohnung für sie. Sie sind talentiert und motiviert. Klar ist aber auch, dass das Fußballgeschäft ein Verdrängungswettbewerb ist. Der Weg zum Bundesliga-Spieler ist ein langer und alles andere als leichter – die Jungen müssen individuell arbeiten oder in der U23 Praxis sammeln, auch private Dinge hintenanstellen und stets taktische Disziplin einbringen. Diese Entwicklung ist nicht mit 18 oder 19 abgeschlossen. Es gibt auch Ausnahmen, wie beispielsweise Arne Maier, die es schaffen, zügig fester Bestandteil der Profimannschaft zu werden. Aber das geht nur über sehr harte Arbeit. Die jungen Spieler kommen durch solche Trainingslager durch die hohen Anforderungen im körperlichen Bereich auf die nächste Stufe. Und das bringt sie weiter in der Saison und in ihrem Werdegang. Deswegen haben wir das wieder bewusst entschieden, so viele Nachwuchsspieler mitzunehmen.
herthabsc.de: Ihr seid während des Trainingslagers immer wieder in verschiedenen Arbeitsgruppen mit Spielern und Staff zusammengekommen. Was hat es damit auf sich?
Widmayer: Wir wollen Regeln aufstellen, wo sich jeder Spieler mit Ideen, Lösungen und Vorschlägen einbringen kann und jeder einzelne Verantwortung übernimmt. So kann man die Gruppen- und Teamfähigkeit fördern. Zudem sollte sich dann jeder noch mehr an die 'Regeln' halten, weil er sie selbst mitbeschlossen hat. Themen dieser Arbeitsgruppen sind zum Beispiel Kabinenordnung, Trainingszeiten, Vor- und Nachbereitung, Regeneration, Mannschaftskasse, Strafen oder Teamevents.
herthabsc.de: In der kommenden Saison möchte Hertha BSC noch variabler spielen als in den vergangenen Spielzeiten. Wie erarbeitet ihr solche taktischen Systeme mit den Spielern?
Widmayer: Es wird kein neues taktisches System sein. Wir haben schon gezeigt, dass wir variabel auftreten können – die Fünferkette kommt jetzt vielleicht noch mit dazu. Entscheidend ist immer, für den jeweiligen Gegner das richtige System auszuwählen. Wir sind schon sehr gut aufgestellt, darüber hinaus wollen wir noch flexibler sein und uns weiterentwickeln. Viele Mannschaften haben es bei der WM in Russland mit einem 3-5-2 oder einem 3-4-3 vorgemacht. Man muss flexibel vom Kopf her sein und darauf werden wir die Spieler vorbereiten – anhand von Videoszenen und Abläufen, die wir trocken auf dem Platz vorstellen werden. Dabei geht es darum, wie wir den Gegner anlaufen wollen und was wir vorgeben. Danach richten wir die Spielformen aus.
herthabsc.de: Für Davie Selke lief das Trainingslager alles andere als gut. Nach seiner OP am Pneumothorax wird er den Rest der Vorbereitung und den Saisonstart verpassen – so wie auch im vergangenen Jahr. Wie bitter ist das für ihn und welche Chancen tun sich dadurch aber für andere Spieler auf?
Widmayer: Jeder Spieler hat eine Chance zu spielen. Davie fällt nun erst einmal weg, das ist sehr ärgerlich für ihn und für uns. So eine Verletzung habe ich im Fußball noch gar nicht erlebt. Aber er kommt wieder zurück – Hauptsache, er wird wieder richtig gesund. In der Phase, in der er nicht da ist, gibt es neue Möglichkeiten – es können sich einige Spieler für die Position anbieten. So bitter wie es für Davie ist, kann es auch eine Chance für einen anderen sein. Wichtig ist, dass wir dadurch keinen Leistungsabfall bekommen.
herthabsc.de: Nun steht als nächstes am Samstag (21.07.18, 20:30 Uhr) der Test in Bergamo an, dann gibt es erstmal einige freie Tage, bevor es ins zweite Trainingslager geht. Wie sieht die weitere Trainingssteuerung bis dahin aus?
Widmayer: Ich hatte schon einmal so eine lange Vorbereitung, da haben wir keine Pause gemacht und sind anschließend im Pokal sang- und klanglos ausgeschieden. Von der Pause erhoffen wir uns, dass die Jungs mal durchschnaufen können und mit Freude wieder zurückkommen. Wir wollen uns dann in der Folge wieder auf hohem Niveau auf den Pokal vorbereiten. Die Spieler werden für die freien Tage aber auch von unserem Athletiktrainer Henrik Kuchno Trainingspläne mitbekommen - richtig frei haben sie also gar nicht (lacht).
(lb/City-Press)
Gesagt...
[>]So bitter wie die Verletzung für Davie ist, kann sie auch eine Chance für einen anderen sein.[<]