
In Steglitz-Zehlendorf kannst du alles sein. Auch Herthaner.
In Steglitz-Zehlendorf kannst du alles sein. Auch Herthaner.

Berlin - Jeder Fan hat diesen Moment gehabt. Diesen Moment, in dem es um einen geschehen war. Diesen Moment, wenn der Fußball einen in seinen Bann gezogen hat. Oft sind es verschwommene und hochstilisierte Kindheitserinnerungen, aber es sind Erinnerungen, die auch nach Jahren und Jahrzehnten klar vor dem inneren Auge auftauchen. Es sind Erinnerungen, die schlicht und ergreifend nichts weniger sind als der Ursprung einer Geschichte. Einer Verbindung, die oft ein Leben lang hält.
Objektiv und rational ist dieser Vorgang nicht zu erklären: Das erste Spiel im atmosphärischen Stadion an der Seite eines Familienmitglieds, ein Spieler, der durch eine Aktion zum persönlichen Helden wird, herausragende Siege, aber auch bittere Niederlagen - alles Szenarien, die Klein und Groß, Jung und Alt zum Fan gemacht haben. Alles Stoff, der gleiches auch in der Gegenwart noch bewirkt. Fußballromantik par exellence – und ein Phänomen, das natürlich auch bei Hertha BSC und seinen Anhängern vorkommt.
Als Bernd Ebner 1993 aus Österreich nach Berlin kam, hatte er mit Fußball nichts am Hut. "Ich hatte einfach keinen Bezug zu diesem Sport und war lieber beim Eishockey. Aber als Neu-Berliner habe ich mir in der Anfangszeit viel angeschaut. Hier bin ich dann süchtig nach Hertha geworden", sagte der Bauleiter aus der Nähe von Salzburg, der erstmals beim 3:0-Sieg gegen Tennis Borussia Berlin im Oktober 1993 im Olympiastadion war. "Ich erinnere mich aber auch noch an ein Spiel gegen Lübeck im Herbst 1997 vor 5.000 Zuschauern. Ich kam mir vor wie jemand, der sich selbst quält", sagt der 64-Jährige. Die richtige Initialzündung folgte kurz darauf: "Über berufliche Kontakte habe ich Wolfgang Holst kennengelernt, so bin ich in richtige Hertha-Kreise gerutscht", berichtet Ebner, der vor elf Jahren aus Friedenau nach Steglitz-Zehlendorf gezogen ist.
Mit dem Ex-Präsidenten freundete sich der Österreicher mit der Zeit an, gemeinsam schauten sie sich Spiele des Hauptstadtclubs an – zu Hause und auswärts. "Wir sind oft zu den Auswärtsspielen mitgereist, das war ein Traum", erinnert sich Ebner, der nach all den Jahren als Blau-Weißer noch immer eine Traumelf hat. "Die Mannschaft mit Gábor Király, Eyjólfur 'Jolly' Sverrisson und Marcelinho – das war schon ein überragendes Team, an das ich immer gerne denke." Während die Zeiten des Brasilianers und seiner alten Mitspieler schon über 20 Jahre zurückliegen, hält Ebner der Hertha-Familie nach wie vor seine Treue. "Ich bin Hertha-infiziert", sagt er grinsend.

Wie ein Londoner Herthaner wurde
Im selben Jahr wie Bernd Ebner kam auch Steve Carter in die Hauptstadt - der Liebe wegen. In London geboren, lernte der heute 47-Jährige seine Frau Katja in seiner Geburtsstadt kennen und zog ihretwegen 1993 nach Berlin. Der Fußball und Hertha BSC waren zu diesem Zeitpunkt im Leben von Carter noch nicht allzu präsent. Doch das änderte sich. "Eines Tages hat mich ein Kumpel mit ins Olympiastadion genommen. Zu Gast war ausgerechnet der FC Bayern München. Durch ein Tor von Michael Preetz konnte Hertha das Spiel gewinnen", erinnert sich Carter an den 21. November 1998 zurück. Dieser Tag war rückblickend die Geburtsstunde der Liebe zu den Blau-Weißen. Und es folgten in der Kürze der Zeit weitere Highlights. "Dadurch dass Hertha in der Champions League gespielt und Partien gegen Chelsea, den AC Mailand oder den FC Barcelona bestritten hat, war ich sehr schnell gefesselt", erklärt Carter mit einem Grinsen.
Diese positiven Erlebnisse zu Beginn führten dann dazu, "dass man auch in den nicht so schönen Momenten, wie beispielweise bei einem Abstieg, seinem Verein die Treue hält", wie Carter beschreibt. Die Liebe zum Hauptstadtclub versuchte der langjährige Dauerkarteninhaber auch an seine Kinder weiterzugeben. "Ich habe vier Kinder und alle waren schon mal mit. Auch weitere Familienmitglieder aus England sind schon mit im Stadion gewesen", betont der vierfache Familienvater stolz. Besonders zwei seiner drei Söhne wurden vom blau-weißen Virus infiziert. "Mein jüngster Sohn Leo ist absoluter Hertha-Fan. Mit ihm gehe ich zu den Heimspielen, wir fahren auch mal mit zu Auswärtspartien und sind zusammen in einem Fanclub", berichtet Carter. Mit seinem heute 19-jährigen Sohnemann Max verbindet Carter-Senior ein besonderes Erlebnis. "In einem Spiel gegen Nürnberg durfte Max an der Hand von Raffael auflaufen und ausgerechnet er erzielte den 1:0-Siegtreffer. Da war Max sehr stolz", blickt Carter zurück. In Berlin hat Carter also nicht nur sein Familienglück gefunden, sondern auch seinen Fußballverein des Herzens, den er auch am Samstag (06.04.19) gegen Fortuna Düsseldorf im Stadion unterstützen wird.
Für ein Spiel aus Moskau nach Berlin
Als die beiden Zugezogenen ihre Leidenschaft für Hertha BSC entdeckt haben, war es um Dagmar Schilli längst geschehen – natürlich im positiven Sinne. "Hertha ist meine große Liebe", sagt die 59-Jährige. Vor etwa 50 Jahren war die gebürtige Berlinerin das erste Mal im Olympiastadion. "Mein Vater ist damals gerne zu Hertha gegangen und wollte dabei Gesellschaft haben. Da mein Bruder nicht so fußballbegeistert war, hat er mich irgendwann mitgenommen. Ich fand die Atmosphäre von Anfang an toll, es war sofort um mich geschehen. Ich erinnere mich noch, dass ich danach meinen Vater immer gefragt habe, ob wir wieder ins Stadion gehen", schildert die Erzieherin, die bis auf eine kurze Unterbrechung ihr ganzes Leben in Steglitz-Zehlendorf gewohnt hat. "Ende der 90er Jahre habe ich in Moskau gelebt. Am meisten hat mir dort meine Hertha gefehlt, für ein Champions League-Spiel bin ich dann sogar mal nach Berlin geflogen!", erzählt Schilli, die selbst Tennis spielt, um sich fit zu halten. Weder die temporäre Distanz, noch sportlicher Misserfolg hat die Mutter eines Kindes davon abgehalten, mit den Blau-Weißen mitzufiebern. "Es ist faszinierend, wie verrückt wir Fans nach dem Verein sind, obwohl er uns – trotz vieler schöner Momente - über all die Jahre auch viel Leid zugefügt hat. Aber nicht umsonst spricht man von Leidenschaft", sagt die Herthanerin und ergänzt: "Über ein Tor in der 2. Bundesliga habe ich mich genauso sehr gefreut wie in der Bundesliga oder Champions League."
Die Begeisterung für die Blau-Weißen hat Dagmar Schilli früh versucht, mit ihrem Sohn zu teilen. Dabei griff sie tief in die Trickkiste. "Mein Sohn hat sich nicht für Fußball interessiert. Ich glaube, er fand mich als Fan auch eher abschreckend. Ich habe ihm dann gesagt, dass er jedes Mal eine Tafel Schokolade bekommt, wenn Hertha gewinnt. So hat er sich auch immer über einen Sieg gefreut", berichtet sie lachend. Auch die ersten beiden Enkelkinder teilen die Sympathie zum Sport mit dem runden Leder nicht, dafür setzt die Berlinerin ihre ganze Hoffnung in den Letztgeborenen. "Mein dritter Enkel ist jetzt vier Jahre alt. Ich bringe ihm immer Sachen von Hertha mit, die gefallen ihm alle. Bald werde ich ihn mit ins Stadion nehmen", sagt die Dauerkarteninhaberin, die natürlich auch am Samstag zum Bezirks-Spieltag gegen Düsseldorf im Stadion sein wird. "Mit dem Gegner haben wir noch eine Rechnung offen, die wir auf dem Rasen begleichen wollen", sagt Schilli schmunzelnd und fasst damit die Gefühlslage aller Blau-Weißen treffend zusammen.
(fw,sj/City-Press)