"Ich muss gierig bleiben"
Profis | 28. Juli 2019, 13:55 Uhr

"Ich muss gierig bleiben"

"Ich muss gierig bleiben"

Er gehört zu den dienstältesten Herthanern: Per Skjelbred. Im Trainingslager spricht der Mittelfeldspieler zwischen zwei Einheiten über Vereinstreue, Vorbildfunktion und das besondere Miteinander in der Kabine.

Berlin - Bald 2.222 Tage trägt Per Skjelbred - abgesehen von dem kurzen Rückkehr-Intermezzo zum Hamburger SV - das Trikot von Hertha BSC nun schon. Bereits 2013 wechselte der Mittelfeldspieler auf Leihbasis zum Hauptstadtclub, ein Jahr später schloss er sich den Berlinern fest an. Nach Thomas Kraft und Peter Pekarik ist der Norweger damit der dienstälteste Akteur im Kader der Blau-Weißen. Nach bald 2.222 Tagen lässt sich sagen: Dieser Transfer war für beide Seiten ein absoluter Glücksgriff. In nunmehr sechs Jahren hat sich der Blondschopf wie kaum ein anderer seiner Weggefährten so sehr als ehrlicher Malocher verdient gemacht, wie der inzwischen 32-Jährige. Fallen Attribute wie Fleiß, Motivation und Ehrgeiz - der Name von Kämpferherz Skjelbred taucht stets auf. Auch im Trainingslager in Stegersbach geht der Norweger - gepaart mit der nötigen Lockerheit - mit gutem Beispiel voran. Zwischen den Doppelschichten am Sonntag (28.07.19) hat herthabsc.de mit dem 'Wikinger' über Vereinstreue, Vorbildfunktion und das Miteinander in der Kabine gesprochen.

herthabsc.de: Per, seit 2013 bist du eines der prägenden Gesichter von Hertha BSC. Nur Thomas Kraft und Peter Pekarik spielen länger im Verein. Läuft es gut, bestreitest du in dieser Saison dein 200. Pflichtspiel für die Blau-Weißen. Was bedeuten dir diese Zahlen?
Per Skjelbred: Ich habe echt Glück gehabt, dass ich bislang schon so lange bei Hertha bleiben durfte. Dafür bin ich dankbar. Ich hatte hier gute Trainer, habe viele gute Typen kennengelernt. Aber es ist schon ein wenig verrückt: Gefühlt war ich in meiner ganzen Karriere immer einer der jüngsten Spieler, dann war ich plötzlich Mitte 20, dann plötzlich Ende 20 und jetzt bin ich 32 und gehöre im Regal zu den alten Spielern. Im Kopf fühle ich mich immer noch wie Anfang 20, nur die Beine sind ab und an ein bisschen schwerer. Dafür habe ich jetzt mehr Erfahrung (schmunzelt).

herthabsc.de: Eine Erfahrung, die du als Routinier und 'alter Hase' auch an die jungen Spieler weitergibst. Wie gelingt dir das?
Per Skjelbred:
Erst einmal muss ich auf mich achten, um fit zu bleiben und der Mannschaft helfen zu können. Es dauert in der Vorbereitung inzwischen tatsächlich ein bisschen länger, bis wir älteren Spieler in bester Verfassung sind. Oft arbeiten wir mit Auge (grinst). Wir müssen da sein, wenn es um Punkte geht. Ich muss gierig bleiben, sonst springen die Jüngeren bald zwei Schritte vor einem rum. Was die jungen Spieler dann lernen und annehmen wollen, liegt an ihnen. Ich versuche immer das zu zeigen, was die älteren Spieler mir am Anfang meiner Karriere beigebracht haben: Professionalität, Seriosität und Bodenständigkeit.

herthabsc.de: Das ist vermutlich leichter gesagt als getan...
Per Skjelbred: ... klar kannst du mal quatschen und den Affen machen, aber wenn es im Training oder Spiel drauf ankommt, musst du mental und körperlich da sein. Ich versuche nach all den Jahren noch immer, ein gutes Vorbild zu sein. Ich kann mich ohnehin nicht ändern, möchte aber auch keine falsche Person sein und meine Persönlichkeit ändern. Ich bin Per und Per ist seriös, wenn er seriös sein muss - und sonst gerne mal ein Quatschkopf (lacht).

herthabsc.de: Nun ordnest du dich also im Regal der älteren Spieler ein. Schleicht sich manchmal ein bisschen Wehmut ein oder denkst du, dass du gerne noch einmal als junger Spieler deine Karriere starten würdest?
Per Skjelbred: Nein! Ich habe bislang schon eine geile Zeit gehabt. Mit 16 war ich Profi bei Rosenborg Trondheim, ich kam als Grünschnabel ins Team und habe um die Meisterschaft und in der Champions League gespielt. Die Älteren haben mir damals viel beigebracht, ich hatte eine super Zeit, die ich gegen nichts tauschen würde. Mit 18 habe ich mich dann verletzt (Komplizierter Fußbruch; Anm. d. Red.). Wer weiß, wie es gelaufen wäre, wenn ich diese Verletzung nicht gehabt hätte. Aber so habe ich meine Frau kennengelernt, zwei wunderbare Kinder bekommen und bin den Weg über den Hamburger SV zu Hertha BSC gegangen.

herthabsc.de: Im schnelllebigen Fußball-Geschäft kommen solche Werte manchmal zu kurz. Dass Spieler streiken, um den Verein zu wechseln, ist keine Ausnahme mehr. Wie betrachtest du nach inzwischen auch schon 16 Jahren als Profi diese Branche?
Per Skjelbred:
Wenn ich auf die vergangenen Jahre zurückschaue, unterscheide ich immer. Auf der einen Seite stehen die sportlichen Zahlen mit Tabellenplätzen und Punkten. Auf der anderen Seite der menschliche Aspekt - und der wird mir irgendwann am meisten bedeuten. Die Zeit in der Kabine, das gemeinsame Gefühl nach einem verrückten Spiel oder einfach der tägliche Quatsch. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt. Ganz verschiedene Typen mit unterschiedlichen Kulturen, Hautfarben und Religionen. Als Fußballer bist du in der tollen Situation, dass du in der Kabine Menschen aus der ganzen Welt in einer Kabine haben kannst. Das ist ein echter Zusammenstoß der Kulturen, aber das klappt und ist etwas Besonderes.

herthabsc.de: Und die Entwicklung des Spiels?
Per Skjelbred: Es ist alles professioneller geworden. Der Fußball entwickelt sich weiter, ist schneller und technisch und taktisch anspruchsvoller geworden. Auch das Drumherum: Kabinen mit Schlafplätzen, Betreuung in den Pausen oder auch spezifische Einheiten im Kraftraum. Neu ist es zwar nicht, aber auch das Medieninteresse ist nochmal größer geworden. Wir haben eine immer größer werdende Kommunikationsabteilung, die uns stets begleitet und auf immer mehr Kanälen aktiv ist. Die Fragen sind aber: Wann hört diese Entwicklung auf? Wo geht es mit dem Fußball hin? Wie weit kann man einen Körper pushen, bis man ihn überlastet?

herthabsc.de: Eine ordentliche Belastung für eure Körper ist das Trainingslager in Stegersbach auch. Es ist aber auch die Möglichkeit, als Team näher zusammenzurücken. Dabei müsst ihr zwei Neuzugänge integrieren. Welchen Eindruck hast du von Dedryck Boyata und Eduard Löwen?
Per Skjelbred: 'Dedo' und Edu sind gute Jungs, sie werden uns weiterhelfen! Sie integrieren sich gut und zeigen schon, was sie drauf haben. Aber manchmal ist es schon komisch im Fußball.

herthabsc.de: Wie meinst du das?
Per Skjelbred: Du arbeitest jeden Tag mit deinen Mitspielern zusammen, verbringst Tag für Tag miteinander und dann (schnipst mit der Hand): Sagst du nach der Saison 'Tschüss' und wenn wir wieder zusammenkommen, fehlen drei, vier Leute aus der vergangenen Saison. Dort sitzen dann neue Gesichter in der Kabine. Mit manchen Jungs hat man so viel erlebt und irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, dass gar nicht genug Zeit war, sich zu bedanken und sich richtig zu verabschieden. Das geht alles so schnell, aber nach ein paar Jahren habe ich mich an diese Situation gewöhnt. Sie ist Teil des Geschäfts.

Gesagt...

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Ich versuche immer das zu zeigen, was die älteren Spieler mir beigebracht haben: Professionalität, Seriosität und Bodenständigkeit.
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-Per Skjelbred

herthabsc.de: Hast du denn noch zu so manchen alten Herthanern Kontakt?
Per Skjelbred: Ich habe vorhin noch eine Sprachnachricht von 'Lusti' bekommen. Auch zu Sami Allagui und Peter Niemeyer habe ich ab und zu noch Kontakt, unsere Wege kreuzen sich immer wieder mal. Wir haben zusammen Blut, Schweiß und Tränen vergossen. Als Fußballer hast du eine ähnliche Chemie, den gleichen Humor. Tolga Ciğerci habe ich vor dem Test gegen Fenerbahçe das letzte Mal vor zwei Jahren gesehen, als wir gegen Galatasaray getestet haben. Aber nach drei Minuten Gespräch merkst du, dass alles noch passt. Fußballer ticken oft ähnlich und haben den gleichen Humor.

herthabsc.de: Teil des Geschäfts sind auch schwierige Entscheidungen. Anfang 2017 bist du aus der norwegischen Nationalmannschaft zurückgetreten. Hast du diesen Schritt in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren je bereut?
Per Skjelbred: Nein, in keinem Moment. Wenn die Leute mich fragen, ob ich noch für die Nationalmannschaft spielen könnte, würde ich immer ja sagen. Aber ich habe die Entscheidung damals nicht ohne Grund getroffen. Ich wollte mehr Zeit zu Hause für die Familie, mehr Zeit für mich haben und nicht mehr diese zusätzlichen Reisen und Spiele. Klar, ich vermisse die Jungs, ich vermisse die Trainingseinheiten und die gemeinsamen Abende, aber es hat am Ende gereicht. Ich habe seitdem das Gefühl, dass ich ohne die Länderspiele auch mal ein wenig runterkommen kann. Außerdem war der Zeitpunkt für den Rücktritt gut, Lars Lagerbäck ist neuer Trainer geworden, viele junge Spieler sind nachgerückt. Und diese jungen Spieler müssen den Raum bekommen, um sich zu entwickeln. Die Entwicklung der Mannschaft ist gut, hoffentlich schaffen wir es bald, uns für ein großes Turnier zu qualifizieren.

herthabsc.de: Länderspielpausen sind in der Hinrunde der Spielzeit 2019/20 im September, Oktober und November. Wenn wir uns in Anschluss daran unterhalten, wo steht Hertha BSC dann?
Per Skjelbred:
Das werden wir sehen, noch sind wir in der Vorbereitung. Wenn der Druck dazukommt, zeigt sich, wie gut wir sind. Aber ein bisschen Bock auf die neue Saison habe ich schon (lacht). Ich freue mich auf die neuen Aufgaben mit einem neuen Trainer. Von Ante Čović habe ich bisher einen positiven Eindruck, er hat ein großes Fußballerherz.

(fw/City-Press)

von Hertha BSC