Teamarbeit
Profis | 11. Dezember 2019, 11:00 Uhr

Teamarbeit

Teamarbeit

Seit zwei Wochen coacht Jürgen Klinsmann Hertha BSC. Dabei beschwört er den Mannschaftsgeist - und wird von seinem akribischen Trainerteam unterstützt.

Berlin - Seit Ende November dreht sich beim Hauptstadtclub viel um den Namen Jürgen Klinsmann. Wenig verwunderlich, wirft man einen Blick auf die Vita des ehemaligen Nationaltrainers, der so eng mit der Heim-WM 2006 verbunden ist: Welt- und Europameister, Deutscher Meister, zwei Mal UEFA Cup-Sieger und zwei Mal Fußballer des Jahres - von der Karriere des früheren Weltklassestürmers und Auswahlspielers, der in Deutschland, Italien und England Tore am Fließband lieferte, träumten Generationen junger Fußballfans. Auf allen seinen Stationen rollten die Clubanhänger dem Schwaben mit der faszinierenden und mitreißenden, gleichzeitig aber so bodenständigen Ausstrahlung, den roten Teppich aus.  

Wer jedoch den Irrglauben hat, dass Klinsmann nach dem Ende dieser beeindruckende Spielerkarriere weniger ambitioniert ist, den belehrt der 55-Jährige seit Amtsantritt an der Spree eines Besseren. Herthas neuer Coach, der an der Seitenlinie Erfahrunge bei Bayern München gesammelt hat und die amerikanische Nationalmannschaft zu Erfolgen führte, zeichnet nicht nur wie auf dem Rasen ein großer Ehrgeiz aus. Herthas neuer Coach ist vor allem ein Kommunikator, ein Teamplayer, der sich nicht in den Vordergrund stellt. Seine Botschaft: Nur zusammen schaffen wir es, Hertha BSC aus dieser Situation zu befreien! Diese Einstellung lebt der zuletzt in Kalifornien wohnhafte Fußballlehrer - im Training, im Gespräch und in seinem ganzen Wirken. Für den Coach gibt es keine Ich-Form, für ihn gibt es nur das Wir. Wer regelmäßig die Interviews und Pressekonferenzen des gebürtigen Göppingers verfolgt, weiß wovon die Rede ist. "In dieser Situation geht es um Arbeit. Als Trainerteam müssen wir der Mannschaft Selbstvertrauen geben, sie auch Fehler machen lassen, aber Dinge korrigieren, sobald wir sie sehen. Wichtig ist, dass die Jungs sich ein wenig finden und Rhythmus bekommen", erklärte er kürzlich.

Ein Rad greift in das andere

Das von Klinsmann erwähnte Trainerteam liefert in jeder Einheit auf dem Schenckendorffplatz einen Beleg für das Miteinander. Dort harmoniert ein Gespann, bei dem ein Rad in das andere greift und sich optimal ergänzt. Gemeinsam mit Hendrik Vieth und Henrik Kuchno übernimmt Werner Leuthard seit Ende November den athletischen Bereich wie zum Beispiel das Aufwärmen der Spieler oder die Einheiten in der Kabine. "Auch den Athletikbereich verstehe ich als Teamarbeit – mit der Vorgabe einer Philosophie des Cheftrainers. Diese versuchen wir zu dritt umzusetzen. Dabei möchte ich meinen Erfahrungsschatz einbringen, den ich in über 20 Jahren gesammelt habe", sagt der 57-Jährige, der Stationen bei Bayern München, Schalke oder Stuttgart und dazu Auslandsjobs in Wien, Basel oder Fulham vorzuweisen hat.

In Fachkreisen hat Leuthard, der nach der Anfrage Klinsmanns "keine Sekunde gezögert hat", den Spitznamen "Muskel-Versteher" erhalten, die Berliner Medienlandschaft bezeichnete schon als "Schleifer mit Weitsicht". Der gebürtige Niederbayer muss darüber schmunzeln. "Diese Spitznamen sind ja nichts Verwerfliches. Im Gegenteil, sie stehen für harte und ehrliche Arbeit. Wenn man umfangreich, intensiv und mit Nachdruck an der fußballspezifischen Fitness und der Physis arbeitet, entsteht der Ruf als Schleifer. Der zweite Name stammt aus vorherigen Stationen, in denen ich vor allem im präventiven und therapeutischen Bereich trainiert habe. Das sind zwei unterschiedliche Aufgabenbereiche, bei Hertha kann ich beide Komponenten vereinen", so Leuthard, den Klinsmann schon lange aufgrund seiner Fähigkeiten und seines erlernten Wissens schätzt.

Mit Alexander Nouri und Markus Feldhoff hat Leuthard bislang noch nicht zusammen gearbeitet, dennoch täuscht der Einruck nicht, dass hier Menschen aufeinandertreffen, die eine Sprache sprechen. Die beiden Assistenztrainer gehören zum Netzwerk, dass sich Klinsmann in seiner deutschen Heimat aufgebaut hat. Seine Stellenbeschreibung: Fachleute mit Berufserfahrung. "Wie Jürgen habe auch ich eine Vergangenheit in den USA. Ich habe mal in Seattle gespielt und später bei Major League Soccer-Vereinen hospitiert. Jürgen hat mir dabei geholfen. Anschließend haben wir uns einige Male in Los Angeles getroffen, hatten sehr gute Gespräche und viele Dinge erkannt, die wir im Fußball ähnlich sehen – vor allem was die Spielidee und Führungsaspekte betrifft. Seitdem waren wir immer im Austausch, das war die Grundlage unseres dauerhaften Kontaktes", sagte Nouri, der als Bundesliga-Trainer bereits bei Werder Bremen in der Verantwortung stand. "Wir alle arbeiten im Team, diese gute Zusammenarbeit macht unheimlich Spaß. Die Trainingseinheiten erarbeiten wir gemeinsam. Wir Co-Trainer machen unsere Vorschläge und versuchen die dann auf dem Platz als Team gemeinsam umzusetzen, aber natürlich ist Jürgen der Chef, er entscheidet", beschreibt der 40-Jährige diese Teamarbeit.

Das hält den Ex-Profi jedoch nicht davon ab, sich während den Einheiten Gehör zu verschaffen. Lautstark gibt Nouri taktische Anweisungen, motiviert, greift korrigierend ein und verweist auf den Videomonitor. Feldhoff analysiert die Geschehen in beobachtender Funktion. "Es müssen ja nicht alle pfeifen und rufen", sagt der 45-Jährige, der in den neunziger Jahren u.a. für Mönchengladbach und Leverkusen im deutschen Oberhaus auf Torejagd ging, schmunzelnd. Der Ex-Profi bereitet Inhalte der täglichen Arbeit vor. Einen besonderen Schwepunkt auf die Offensive legt der gebürtige Oberhausener als ehemaliger Stürmer nicht. "Ein Gefühl und ein gewisses Verständnis für die Stürmer habe ich sicherlich, aber da ich nun auch schon einige Jahre als Trainer im Nachwuchs- und Profibereich dabei bin, geht es um Bereiche für die ganze Mannschaft." 2014 schloss Feldhoff seinen Fußballtrainer-Lehrgang ab, arbeitete bereits in Cottbus und Paderborn, ehe er im Oktober 2016 dem Ruf seines alten Mitspielers Nouri nach Bremen und später nach Ingolstadt folgte. "Wir sind eingespielt", sagt er deshalb auch.

Das spürt auch Klinsmann, der viel Positives über seine Assistenten berichtet. "Bei Alex hat mir sein Stil und seine Art der Kommunikation direkt imponiert, seine Ideen und seine Gedanken. Auch bei Markus, der ihn perfekt ergänzt und partnerschaftlich mit ihm arbeitet, habe ich sofort gespürt, dass das passt und beide an meiner Seite die Geschichte anschieben."

Gesagt...

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Weihnachten ist der Prozess, den jeder neuer Trainer durchmacht, abgeschlossen. Bis dahin wollen wir so viele Punkte wie möglich holen!
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-Jürgen Klinsmann

Am Ende geht es immer nur um Punkte 

Während Klinsmann und Co. sich also in erster Linie um die Feldspieler kümmern, übernimmt Andreas Köpke diese Aufgabe bei den Torhütern um Rune Jarstein. Köpkes Karriere steht der seines ehemaligen Kapitäns im DFB-Trikot eigentlich in Nichts nach. Beide unterscheidet eigentlich nur die Tatsache, dass einer Tore geschossen, während der andere Tore verhindert hat. Seite an Seite gewannen sie 1990 die WM, 1996 die EM. Acht Jahre später holte Klinsmann seinen Weggefährten in den Trainerstab des DFB, in dem der Vater von Hertha-Stürmer Pascal noch heute arbeitet. "Dass Andy Köpke mit reinkommt, war ein kurzfristiger Wunsch. Wir verstehen uns blind, schon bei der Nationalmannschaft war Andi ein wichtiger Gesprächspartner", freut sich Klinsmann über die erneute Zusammenarbeit, die der DFB kurzfristig möglich gemacht hat und die zunächst bis Jahresende läuft. 

Dann ist auch die Hinrunde beendet. Man muss kein Prophet sein: Spätestens nach dem abschließenden Spiel vor Weihnachten gegen den aktuellen Tabellenführer Mönchengladbach dreht sich wieder viel um den Namen Klinsmann - und die zentrale Frage: Was hat der neue Trainer mit seinem Team in knapp vier Wochen bewegt? Das weiß natürlich auch der erfahrene Ex-Coach der USA. "Weihnachten werden wir ein Gesamtbild haben. Dann ist der Entwicklungsprozess, den jeder neuer Trainer durchmacht, abgeschlossen. Und bis dahin wollen wir so viele Punkte wie möglich holen!" Wie das gelingen kann, haben die Herthaner am vergangenen Freitag beim 2:2 in Frankfurt gezeigt. Es war ein erster Schritt, um die schwierige Situation zu meistern. Der nächste soll am kommenden Samstag (14.12.19, 15:30 Uhr) gegen den Sport-Club Freiburg folgen.

(fw/City-Press)

von Hertha BSC