#HERTHAMUSEUM: Klassenerhalt geschafft - zum Abstieg verurteilt
Historie | 18. Mai 2020, 15:48 Uhr

#HERTHAMUSEUM: Klassenerhalt geschafft - zum Abstieg verurteilt

#HERTHAMUSEUM: Klassenerhalt geschafft - zum Abstieg verurteilt

In der 46. Folge der Reihe blickt das #HerthaMuseum auf die Saison 1964/65 zurück, die für die Blau-Weißen in der Bundesliga beginnt und trotz des sportlichen Klassenerhalts mit dem Zwangsabstieg in die Regionalliga Berlin am grünen Tisch endet.

Berlin - Am 29. und vorletzten Spieltag sichert Kurt 'Kutti' Schulz mit seinem von knapp 30.0000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion umjubelten 1:1-Ausgleichstreffer kurz vor Spielende gegen Borussia Neunkirchen den noch benötigten Punkt, der für Hertha BSC nach einem wochenlangen Abstiegskampf den Verbleib in der Bundesliga bedeutet. Doch bereits die Schlagzeile "Hertha-Elf hielt Bundesliga – Nun kommt die Anklage" der 'Fußball-Woche' liefert einen Vorgeschmack auf das, was Fußball-Deutschland in den kommenden Wochen in Atem halten wird. 

Der Auslöser

Auf einer von Präsident Siegfried Schmidt im Februar 1965 einberufenen außerordentlichen Mitgliederversammlung kommt es zu einem Eklat, als Journalist und Vereinsmitglied Willi Knecht einen Misstrauensantrag gegen den geschäftsführenden Vorstand um Schmidt, Vize-Präsident und Spielausschuss-Obmann Wolfgang Holst und Schatzmeister Günter Herzog stellt. Im Laufe des Abends trifft Herzog in seiner Bilanzrede dann eine folgenschwere Aussage. Mit den Worten "Ich darf hier im Interesse des Vereins nicht alles sagen, würde ich es tun, würde Hertha BSC nicht mehr bestehen", macht er den Deutschen Fußball-Bund auf mögliche Unregelmäßigkeiten beim Berliner Bundesligisten aufmerksam. Bevor Alterspräsident Wilhelm Wernicke die turbulente Veranstaltung beendet, wird dem Vorstand das Vertrauen entzogen. Karl Tewes ruft als Vorsitzender des Ältestenrats daraufhin sein Gremium zusammen und bildet für die führungslosen Blau-Weißen einen Notvorstand. Vereinslegende Johannes 'Hanne' Sobek soll mit seinem untadeligen Ruf den zu erwartenden Schaden für Hertha BSC abwenden. Ihm zur Seite stellt der Ältestenrat die gerade erst abgewählten Holst und Herzog und übernimmt für dieses überraschende Vorgehen die alleinige Verantwortung.

Besuch vom DFB

Ende Februar erscheint der vom DFB-Kontrollausschuss entsandte Wirtschaftsprüfer Dr. Ziegler unangekündigt auf der Geschäftsstelle von Hertha BSC, um eine Buchprüfung bei den Berlinern vorzunehmen. Zur gleichen Zeit treffen sich der Kontrollausschluss-Vorsitzende Dr. Hubert Claessen, 'Hanne' Sobek und Günter Herzog, der Berliner Verbandspräsident Paul Rusch sowie sein Vize-Präsident Richard Genthe zu einer Sitzung in der VBB-Geschäftsstelle. Nach einer fast siebenstündigen Sitzung wird zunächst Stillschweigen vereinbart, um die Ergebnisse der Buchprüfung abzuwarten und dem zu diesem Zeitpunkt Tabellenletzten in den noch ausstehenden Saisonspielen die notwendige Ruhe zu gewähren.

Die Verhandlung

Nachdem Hertha BSC im Mai 1965 die Antrags- und Anschuldigungsschrift vom DFB zugestellt worden ist, findet drei Tage nach Saisonende die bundesweit viel beachtete Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht in Frankfurt am Main statt. Dr. Ziegler, der sowohl im April 1963 nach einer Anzeige von Tasmania 1900 wegen mutmaßlich irreführender Bilanzangaben im Zuge der Bewerbung zur Lizenzerteilung, als auch bei einer Prüfung im Oktober 1964 zunächst keine Vergehen bei Hertha BSC ausmacht, stellt nach der dritten Prüfung einen Fehlbetrag von 192.000 DM fest. Die Berliner, die durch die beiden Rechtsanwälte Dr. Paul Ronge und Manfred Block sowie Notvorstand Sobek vertreten werden, präsentieren zunächst ein Zahlenwerk, welches die Fehlsumme mit früheren Ablösezahlungen an Berliner Vereine der Vertragsliga erklärt. Die Verantwortlichen erhoffen sich dadurch eine Straffreiheit, da der DFB im Sommer 1963 eine Generalamnestie bezüglich der Unregelmäßigkeiten in den Oberligen ausgesprochen hat. Im Verlauf der Verhandlung kommt allerdings zutage, dass Hertha BSC vor den Bundesliga-Spielzeiten 1963/64 und 1964/65 in mehreren Fällen unzulässig hohe Gehälter und Handgelder gezahlt hat, um konkurrenzfähige Spieler aus Westdeutschland in die abgeschnittene und geteilte Stadt Berlin zu locken. 

Urteil und Berufung

Kurt Ott, der als stellvertretender Vorsitzender des DFB-Kontrollausschusses die Anklage führt, fordert den Lizenzentzug für die Berliner, der den Gang in die Amateurliga nach sich ziehen würde. Nach der über neunstündigen Verhandlung folgt das vierköpfige DFB-Sportgericht dieser Forderung jedoch nicht. Am 18. Mai 1965 wird Hertha BSC wegen fortgesetzter Verstöße gegen das Vertragsspieler- und Bundesliga-Statut mit dem Ausschluss aus der Bundesliga und der Zurückstufung in die nächst niedrigere Spielklasse, die Regionalliga, bestraft. Zudem wird der ehemalige erste Vorsitzende Siegfried Schmidt mit einem zweijährigen Amtsverbot und einer Geldstrafe von 2.000 DM belegt. Dieses Strafmaß liegt weit unter der Forderung der Anklagevertretung nach einem Ausschluss aus dem DFB und einer Strafzahlung von 10.000 DM. 'Hanne' Sobek, der nach dem Bundesliga-Ausschluss den Tränen nahe ist, kündigt unverzüglich die Berufung an. Nach Eingang des Berufungsschreibens bestätigt das DFB-Bundesgericht in Düsseldorf jedoch zehn Tage später das damit rechtskräftige Urteil.

Der unerhörte Knall – und drei Jahre des Wartens

Drei Tage danach präsentieren Wolfgang Holst und Günter Herzog in einer von Heinz Deutschendorf vom Sender Freies Berlin (SFB) initiierten Fernsehsendung detaillierte Ausführungen zu überhöhten Forderungen von Spielern und Spielervermittlern sowie unzulässig hohen Zahlungen bei der Bundesliga-Konkurrenz. Der DFB erhebt in keinem der darlegten Fälle eine Anklage. Die beschuldigten Vereine zeigen sich zwar empört, verhalten sich jedoch aus gutem Grund zurückhaltend. Am Schicksal der Blau-Weißen ändert das nichts, denn auch das als letzte Hoffnung auf den Bundesliga-Verbleib im Juni eingereichte Gnadengesuch wird vom Verband abgelehnt. Im Juli 1965 beschließt der Bundestag des DFB unter Berücksichtigung der Aufsteiger Bayern München und Borussia Mönchengladbach, der Forderung der sportlichen Absteiger Karlsruher SC und Schalke 04 zum Verbleib in der Bundesliga sowie der Aufnahme von Tasmania 1900 als Berliner Vertreter die Aufstockung der Bundesliga auf 18 Vereine. Auch die seit Einführung der Bundesliga geltenden, aber den Anforderungen der Bundesliga nicht entsprechenden finanziellen Vorgaben bei Spielerverpflichtungen, die zuvor auch von zahlreichen anderen Vereinen unterlaufen wurden, erfahren eine zeitgemäße Anpassung nach oben.

Für Hertha BSC geht es indes vorerst nach unten. Bis zur Rückkehr der 'Alten Dame' in die Beletage des deutschen Fußballs sollten drei Jahre vergehen. Obwohl der Hauptstadtclub in den 90 Spielen der folgenden drei Spielzeiten mit insgesamt 83 Siegen und vier Remis jeweils unangefochten Berliner Titelträger in der Regionalliga Berlin wird, schaffen die Blau-Weißen unter Trainer Helmut 'Fiffi' Kronsbein erst in der Aufstiegsrunde 1968 die in West-Berlin überschwänglich gefeierte Rückkehr ins deutsche Fußball-Oberhaus.

Hinweis: Dieser Artikel kann aus Platzgründen die damaligen vielfältigen Geschehnisse lediglich in stark komprimierter Form darlegen. Für weitere bzw. detailliertere Auskünfte steht euch unser Archivar Frank Schurmann unter archiv@herthabsc.de jederzeit gerne zur Verfügung!

(fs/HerthaBSC)

Gesagt...

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Ich darf hier im Interesse des Vereins nicht alles sagen, würde ich es tun, würde Hertha BSC nicht mehr bestehen!
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-Günter Herzog

von Hertha BSC