"Es geht darum, Vertrauen aufzubauen"
"Es geht darum, Vertrauen aufzubauen"
Berlin – Ende November 2019 kehrte Arne Friedrich zurück in die Hauptstadt, zurück zu seinem Verein, zurück zu Hertha BSC. Für den Hauptstadtclub schnürte der Ex-Profi seine Fußballschuhe zwischen 2002 und 2010 insgesamt in 288 Partien, führte die 'Alte Dame' national und international als Kapitän aufs Feld. Arbeitete der 41-Jährige in seiner Anfangszeit als Performance Manager im Funktionsteam, übernahm er in der zweiten Jahreshälfte die Aufgabe als Sportdirektor. Welche Einflüsse die Corona-Pandemie auf den Fußball und im Speziellen auf Hertha BSC hatte und noch immer hat, erlebte der ehemalige Nationalspieler in diesem bewegten, alles andere als gewöhnlichen Jahr hautnah mit. Gegenüber herthabsc.de blickt Friedrich zurück auf die vergangenen zwölf Monate, auf Höhen und Tiefen sowie besondere sportliche Momente.
Arne Friedrich über …
… seine Anfangszeit beim Hauptstadtclub: Die Entscheidung, zu Hertha BSC und damit ins aktive Fußballgeschäft zurückzukehren, musste ich damals sehr schnell treffen – quasi von Null auf 1000 (schmunzelt). Den Begriff 'Performance Manager' hatten in Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viele Menschen gehört, aber ich kannte ihn aus den USA und für mich war das auf Anhieb eine reizvolle und spannende Aufgabe. Ich hatte die Möglichkeit, den Status quo zu erfassen und ganz genau zu schauen, in welchen Bereichen es vor allem im Umfeld der Profimannschaft Verbesserungspotenziale gibt. In der ersten Phase ging es natürlich darum, die Spieler, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die ganzen Abläufe kennenzulernen. Ich habe viel zugehört, viele Gespräche geführt, um Vertrauen aufzubauen – immer mit dem Ziel, gleichzeitig Dinge zu verbessern. Für den Verein waren es turbulente Zeiten mit Trainerwechseln und einer sportlich sehr schwierigen Lage. Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, dass wir wieder in die Erfolgsspur kommen.
… die corona-bedingte Saisonunterbrechung im März: Die ganze Situation war völlig surreal. Ich denke, so ging es vielen Menschen in allen Lebenslagen und Bereichen. Wir saßen im Bus zum Flughafen, um Richtung Hoffenheim zu fliegen, als wir von dem Abbruch hörten, aber der Verein ist von Beginn an hochprofessionell mit der Situation umgegangen. Unsere Athletiktrainer um Henrik Kuchno haben in der Phase des Lockdowns und Quarantäne richtig gute Arbeit geleistet, die Spieler in dieser Zeit trotz aller Umstände und Rückschläge durch Quarantäneverordnungen herausragend virtuell trainiert. Währenddessen habe ich versucht, bestmöglich an meinen Aufgaben weiterzuarbeiten. Ich war ständig im Austausch mit Michael Preetz und dem neuen Trainerteam, um alle möglichen Szenarien durchzusprechen und auf alles vorbereitet zu sein.
… die Amtsübernahme von Bruno Labbadia: Bruno und sein Team um Eddy Sözer, Olaf Janßen und Günter Kern haben die Mannschaft in einer sehr schwierigen Phase übernommen. Der Rucksack, den die Spieler getragen haben, war richtig schwer, dazu die Unwägbarkeiten durch Corona. Aber gemeinsam haben sie es geschafft, der Mannschaft wieder Struktur auf dem Platz zu geben. Sie kamen mit klaren Vorstellungen, die sie eingebracht haben. Im ersten Spiel nach dem Re-Start hat man gesehen, wie intensiv und gewissenhaft vorher alle zusammen an einem Strang gezogen haben. Die drei Punkte in Hoffenheim in dieser prekären Lage waren sehr wichtig. Mit dem Derbysieg gegen Union in der Woche danach ist das Selbstvertrauen langsam zurückgekommen. Auch wenn es bis Saisonende noch Aufs und Abs gab, haben wir das Boot am Ende sicher in den Hafen bekommen und die Saison versöhnlich abgeschlossen.
… seine erste Transferphase als Sportdirektor: Nach Saisonende habe ich mich quasi direkt ins nächste neue Feld gestürzt und mich in weitere Aufgaben eingearbeitet. Als Sportdirektor bin ich natürlich deutlich mehr in die Kaderplanung involviert und spreche bei Personalentscheidungen und anderen sportlichen Themen ein Wort mit. Die erste Transferphase in dieser Tätigkeit war natürlich verrückt – durch Corona war nicht absehbar, wie sich die ganzen Transferaktivitäten entwickeln würden. Die Verhandlungen hat das nicht gerade vereinfacht. Die Transferphase hat uns aber einiges abverlangt. Für uns bestand die Herausforderung darin, den Kader auf Schlüsselpositionen zu verändern. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, einen Umbruch einzuleiten und wichtige, altverdiente Spieler nach Saisonende zu verabschieden. Demzufolge ging es darum, eine Basis zu legen, damit neue Strukturen im Team wachsen können. Dieser Vorgang ist noch nicht abgeschlossen, wir begleiten und gestalten ihn aktiv mit.
… die Entwicklung der Mannschaft: Die Mannschaft steckt in einem Prozess, der nach so kurzer Zeit noch gar nicht abgeschlossen sein kann. Wir haben viele junge, sehr talentierte Spieler dazu geholt, die noch viele Profijahre vor sich haben. Es muss alles noch enger zusammenwachsen, wir haben 13 Nationalitäten im Kader und einige Jungs, die gerade fleißig Deutsch pauken. Aber als Team rücken wir immer weiter zusammen, in einigen Spielen ist das deutlich geworden. Klar ist aber auch: Eine neue Hierarchie entsteht nicht von heute auf morgen. Wir schauen immer, wie wir diese Entwicklung fördern können. Es braucht noch Zeit, aber wir sind auf einem guten Weg. Und natürlich geht alles einfacher, wenn wir Spiele gewinnen. Es geht nichts über sportlichen Erfolg, über Siege und Punkte.Gesagt...
[>]Es braucht noch Zeit, aber wir sind auf einem guten Weg. Natürlich geht alles einfacher, wenn wir Spiele gewinnen. Es geht nichts über sportlichen Erfolg, über Siege und Punkte.[<]
… sportliche Höhepunkte, ärgerliche Niederlagen und besondere sportliche Momente: Ganz klar, die beiden Derbysiege gegen Union waren besonders schön und ein überragendes Gefühl. Allerdings wären sie umso schöner gewesen, wenn wir sie mit unseren Fans hätten feiern können. Viele sportliche Momente wären vermutlich nur mit ihnen im Stadion besonders geworden. Wie kostbar Zuschauerinnen und Zuschauer im Stadion sind, haben wir gemerkt, als 4.000 von ihnen wieder ins Olympiastadion durften, auch wenn diese Aussage vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre. Auch der Sieg in Hoffenheim nach der Corona-Pause Mitte Mai zählt zu den Höhepunkten. Die Mannschaft hat richtig gut gespielt, durch die drei Punkte ist eine große Last von uns abgefallen. Danach saßen wir mit dem Trainerteam zusammen, haben einmal kurz durchgepustet und auch mal darauf angestoßen. Vermeidbare Niederlagen gab es aber auch – die Niederlage zu Hause gegen Stuttgart hat mich sehr geärgert, weil wir ganz anders hätten auftreten müssen. Aber Niederlagen sind grundsätzlich negativ. Auch das Unentschieden gegen Mainz im letzten Heimspiel des Jahres war zu wenig. Ebenso die Art und Weise der Niederlage in Freiburg. Das war enttäuschend. Aus solchen Spielen müssen wir die richtigen Schlüsse ziehen.
… gesammelte Erfahrungen, persönliche Lehren und Erkenntnisse: In der täglichen Arbeit hat sich wieder bestätigt, was das Wichtigste ist: Es geht immer um den Menschen. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen. Das Grundvertrauen ist die Grundlage, um miteinander das Maximale herauszuholen. Wenn das gelingt, ist es einfacher, innerhalb einer Organisation zu gestalten, zu integrieren, zu verändern und zu führen. Veränderung und Fortschritt geschieht nur über Menschen.
… Herthas Weg durch die Corona-Krise: Corona hat das Leben, das wir kannten, völlig auf den Kopf gestellt. Die Auswirkungen sind für uns alle nach wie vor extrem spürbar. Hertha BSC geht es da nicht anders, finanzielle Auswirkungen sind nicht von der Hand zu weisen. Aber dennoch bin ich so reflektiert, um zu wissen, dass es uns verhältnismäßig gut geht. Andere Branchen, wie die Gastronomie oder die Kultur, sind definitiv stärker betroffen. Hinter jedem Restaurant und jedem Theater stehen schließlich auch Einzelschicksale. Dazu kommen natürlich auch das Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in den Supermärkten oder aus dem Bildungssektor, die jeden Tag viel leisten. Ich bin froh, dass wir als Verein versuchen, zu helfen wo es geht. Sei es mit Hilfspaketen, beim Foodtruck, bei der Spargelernte oder bei 'Herthaner helfen'. Das ist sicher auch eine Erkenntnis dieser Krise, dass sie nochmal deutlich aufgezeigt hat, wie wichtig die gegenseitige Unterstützung ist. Ich habe nach wie vor die Hoffnung, dass sie auch Dinge wie beispielsweise auch die Digitalisierung beschleunigt.
… Wünsche für das neue Jahr – sportlich wie privat: Sportlich wünsche ich mir, dass wir mit Beginn des neuen Jahres direkt in den ersten Spielen endlich das auf dem Platz zeigen, was in dieser Mannschaft steckt und punkten. Im Idealfall feiern wir unsere Siege dann auch wieder mit unseren Fans im Stadion. Damit verbunden ist natürlich der ganz große Wunsch, die Corona-Pandemie hinter uns zu lassen. Gesundheit ist und bleibt das höchste Gut. Persönlich möchte ich aber auch die Arbeit mit meiner Stiftung fortsetzen und voranbringen. Mit meinem tollen Team im Rücken haben wir dieses Jahr viele Ideen umgesetzt und neue Projekte aufgebaut. Sich für Mitmenschen, denen es durch Krankheit und Schicksalsschläge nicht so gut geht, einzusetzen, ist schön und eine Herzensangelegenheit.
(fw/City-Press)