Marc Kempf kämpft gegen Rani Khedira um den Ball.
Profis | 29. Januar 2023, 10:12 Uhr

Gegen alle Widerstände

Mitte des zweiten Abschnitts überschlugen sich plötzlich die Ereignisse im 13. Stadtduell zwischen unserer Alten Dame und dem 1. FC Union. Auf der einen Seite blau-weißes Unverständnis, auf der anderen rot-weißer Jubel. Hier die zerstiebende Hoffnung auf Strafstoß und Ausgleich, dort die wachsende Zuversicht auf drei Punkte. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich die Gefühlswelt aller Herthanerinnen und Herthaner zwischen zwei Extremen bewegt, ehe Dr. Felix Brych auf den Mittelpunkt zeigte. Der Unparteiische hatte sich zuvor noch einmal das Einsteigen von Rani Khedira gegen Marc Kempf angesehen, dies aber nicht für regelwidrig erachtet (67.). So fand der zweite Treffer der Köpenicker in diesem Spiel, der aus dem folgenden Konter resultierte, seine Anerkennung. „Der Elfmeter, den wir nicht bekommen haben, wäre möglicherweise eine spielentscheidende Szene gewesen“, mutmaßte Marvin Plattenhardt. Stattdessen stand für unseren Kapitän und seine Teamkollegen unter dem Strich eine 0:2-Niederlage.

Bissiger Start als Reaktion auf das Wolfsburg-Spiel

Dabei hatten unsere Spreeathener nach der beeindruckenden Choreo, die sich kurz vor dem Anpfiff fast über das gesamte Rund des ausverkauften Olympiastadions erstreckte, sehr ordentlich in die Partie gefunden. „Wir haben gut auf das Wolfsburg-Spiel reagiert. Unser Ziel war es, hoch anzulaufen und zweite Bälle zu gewinnen“, erklärte Sandro Schwarz. Das gelang den Schützlingen unseres Cheftrainers auch – viele Eroberungen des Kunstleders und eine herausragende Zweikampfquote waren die Konsequenz. „Wir hatten in der ersten Hälfte so unsere Schwierigkeiten. Das lag an den Herthanern, die sehr aggressiv und präsent waren“, gab auch Urs Fischer zu. Nach den zwei vorangegangenen Niederlagen machten unsere Berliner einen entschlossenen Eindruck. „Das Selbstvertrauen kommt in solchen Phasen über kleine individuelle Siege, für jeden in seinen Aufgaben, zurück. So sind wir aufgetreten“, verdeutlichte Schwarz. In Führung gingen dennoch die Gäste. Wieder einmal hatten unsere Jungs bei einer Standardsituation das Nachsehen.

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Das Selbstvertrauen kommt in solchen Phasen über kleine individuelle Siege, für jeden in seinen Aufgaben, zurück.
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-Sandro Schwarz

Erster Union-Abschluss sitzt: Wieder ein Standard

Wenige Momente vor der Pause und damit zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, köpfte Danilho Doekhi eine Freistoßflanke von Christopher Trimmel ein (44.). Dabei handelte es sich um den ersten ernsthaften Abschluss des Tabellenzweiten der Bundesliga. “Wir wussten um die Gefährlichkeit des Gegners bei ruhenden Bällen. Dass trotzdem das eine oder andere Foulspiel zustande kommt, ist normal“, so Schwarz. „Wir haben zwei Ecken und einige Freistöße von der Seite sehr gut verteidigt, aber in diesem entscheidenden Moment waren wir nicht aggressiv genug am Mann“, unterstrich der 44-Jährige. „Wir haben uns diese Thematik im Vorfeld genau angeguckt. Das darf uns nicht passieren“, ärgerte sich auch Marco Richter. Oliver Christensen schlug in die gleiche Kerbe: „Bei Standardsituationen müssen wir uns verbessern, keine Frage.“

Niederlechner-Debüt und Schwarz-Optimismus

Im zweiten Abschnitt benötigte unsere Elf etwas Zeit, um sich vom Rückstand zu erholen. „Als wir wieder besser drin waren, folgte die Szene, in der wir darauf gehofft haben, dass das 0:2 nicht zählt. Aber das passt aktuell zu unserer Situation“, fasste unser Coach zusammen. Als Reaktion auf den zweiten Gegentreffer verhalf der gebürtige Mainzer Florian Niederlechner zu seinem Debüt mit der Fahne auf der Brust. Unsere neue Nummer 7 sah kurz darauf aus nächster Nähe, wie Frederik Rønnow im Tor des FCU Chancen von Lucas Tousart (74.) und Richter (82.) zunichte machte. „Hintenraus haben die Jungs noch einmal alles versucht. Aber natürlich ist es enttäuschend, was das Ergebnis angeht. Uns ist bewusst, dass wir Punkte brauchen“, gab Schwarz zu. Gleichzeitig bekräftigte der Fußballlehrer mit Blick auf die bevorstehenden Aufgaben seinen Optimismus. „Das Vertrauen in die Mannschaft bleibt bestehen. Die Leistung – speziell die Art und Weise, wie das Team ins Spiel gegangen ist – war gut. Es geht aber auch darum, dass wir uns belohnen. Obwohl es insgesamt eine beschissene Woche war, bleibe ich dabei, dass die Jungs mit Widerständen umgehen können“, verriet unser Trainer.

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Wir müssen Gas geben, kämpfen, beißen und alles Negative aus dem Kopf verbannen. Ab Sonntag werden wir versuchen, uns aufzurappeln.
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-Marco Richter

Die nächste Chance darauf, Zählbares einzufahren, besteht für Christensen und Co. in Frankfurt (04.02.23, 15:30 Uhr, hier Tickets sichern). „Wir müssen weiter zusammenhalten, Vertrauen haben und alles wieder in die richtige Richtung bewegen“, betont unser Schlussmann. „Grundsätzlich haben wir die Qualität, doch das zeigen wir gerade nicht. Die Fans sind nicht zufrieden, wir sind nicht zufrieden. Aber wer ist das schon nach drei Niederlagen?“, zeigte sich unsere Nummer 1 selbstkritisch. Richter pflichtet dem Keeper bei: „Wir versuchen alles daran zu setzen, dass wir wieder in die Erfolgsspur kommen. Wir müssen Gas geben, kämpfen, beißen und alles Negative aus dem Kopf verbannen. Ab Sonntag rappeln wir uns auf.“ Allen Widerständen zum Trotz.

von Erik Schmidt