Kay Bernstein steht lächelnd im Berliner Olympiastadion, im Hintergrund ist die Ostkurve zu erkennen.
Club | 9. Februar 2023, 11:10 Uhr

„Nur gemeinsam werden wir die Herausforderungen meistern!"

Eine englische Woche zum Jahresauftakt, die Trennung von Fredi Bobic plus die Installierung von Benjamin Weber und Andreas „Zecke” Neuendorf sowie der Schlussspurt im Wintertransferfenster: Hinter unserem Hauptstadtclub liegen ereignisreiche Tage. Mit ein wenig Abstand zu den Geschehnissen hat sich herthabsc.com ausführlich mit Präsident Kay Bernstein über die aktuellen Entwicklungen in unserem Verein ausgetauscht. „Ich empfinde es schon so, dass allen die Lage bewusst ist und auch alle den Tabellenstand richtig einordnen. Das Wichtigste ist, dass wir in dieser Situation mit der gebotenen Klarheit, aber auch der nötigen Ruhe und sehr geschlossen agieren”, unterstreicht der 42-Jährige. Im Gespräch geht unser Cluboberhaupt auf die jüngsten Personalentscheidungen ein, skizziert den neuen Weg unserer Alten Dame und erläutert den Zwischenstand bei den Themen Frauenfußball, Stadionneubau und Satzungsreform.

herthabsc.com: Kay, nach einer überwiegend unaufgeregten Hinrunde mit guten Entwicklungen sowohl auf dem Rasen als auch daneben, waren die ersten Wochen dieses noch jungen Jahres wieder ereignisreich. Wie hast du die Zeit nach der WM-Pause erlebt?
Bernstein: Der Gesamteindruck ist natürlich stark geprägt von der sportlichen Entwicklung. Obwohl wir uns sicher einige Punkte mehr gewünscht und aufgrund der Leistungen eventuell auch verdient gehabt hätten, sind wir alle gemeinsam zuversichtlich ins neue Jahr gegangen. Dazu kam eine gute Vorbereitung. Die Niederlagen nach dem Jahreswechsel haben uns dann alle ein wenig geschockt. Denn die Mannschaft hat in den Spielen ein anderes Gesicht gezeigt als in den Partien bis zum Jahresende, in denen viel Mut, Aktivität, Widerstandfähigkeit und Leidenschaft zu sehen waren. Das wurde damals von vielen registriert und anerkannt und daher kam der enttäuschende Start in 2023 für uns so überraschend. Gleichzeitig hat es auch abseits des Rasens einige für die Zukunft von Hertha BSC sehr wichtige Themen gegeben, die uns Verantwortliche umgetrieben haben und weiterhin umtreiben.

herthabsc.com: Wie schätzt du die Situation jetzt ein?
Bernstein: Ich empfinde es schon so, dass allen die Lage bewusst ist und auch alle den Tabellenstand richtig einordnen. Das Wichtigste ist, dass wir in dieser Situation mit der gebotenen Klarheit, aber auch der nötigen Ruhe und sehr geschlossen agieren. Bedeutet: Die Vereins- und die Geschäftsführung in Person von Tom Herrich kümmert sich um die übergeordneten Dinge wie zum Beispiel die Gespräche mit 777. Die Mitarbeitenden gehen mit Elan ihren täglichen Aufgaben nach und alle gemeinsam arbeiten daran, dass die sportliche Führung in Ruhe und mit aller Konzentration die Inhalte mit der Mannschaft vorantreiben kann und das Ziel Klassenerhalt erreicht.

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In Benjamin Weber und Andreas „Zecke“ Neuendorf haben wir zwei Herthaner wieder zurück an Bord, die Qualität und Identifikation vereinen. Wir sind überzeugt, dass sie ihre Aufgaben inhaltlich top mit Leben füllen werden.
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-Kay Bernstein

herthabsc.com: In der sportlichen Führung gab es einen Wechsel. Präsidium und Aufsichtsrat haben die Entscheidung getroffen, nach dem Heimspiel gegen den 1. FC Union Fredi Bobic von seinen Aufgaben zu entbinden. Was hat zu dieser Entscheidung geführt?
Bernstein: Dazu muss man sehen, unter welchen Voraussetzungen Fredi Bobic angetreten ist. Hertha BSC hatte mit dem Projekt „Goldelse“ gerade eine ambitionierten Wachstumsplan vorgelegt. Für die Umsetzung hat jedoch bei genauerer Betrachtung bereits im Sommer 2021 eine gesunde Basis gefehlt – in der Kultur, in der Organisation und in den finanziellen Realitäten. Diese Realitäten waren und sind seitdem die Leitplanken, sie prägen den Handlungsspielraum. Unter dem Strich hat sich in den Gremien der Eindruck gefestigt, dass insbesondere mit Blick auf die Transferbilanz und die sportliche Entwicklung insgesamt das Vertrauen in eine erfolgreiche Arbeit in dieser personellen Konstellation geschwunden ist. Dazu kam: Nachdem am Ende des vergangenen Jahres die Personalie Fredi Bobic im Zusammenhang mit der Nachfolge des zurückgetretenen Oliver Bierhoff als Manager der Nationalmannschaft aufkam, haben wir verschiedene Signale vernommen, dass Fredi für dieses Thema grundsätzlich offen war. Nach dem misslungenen Start in das neue Jahr und auch unter Abwägung der schon angesprochenen wirtschaftlichen Realitäten und der Vertragssituation sind wir dann zu dem Entschluss gekommen, diesen Wechsel auch zu diesem Zeitpunkt zu vollziehen.

herthabsc.com: Die Nachfolge ist nun mit Benjamin Weber als Sportdirektor und Zecke Neuendorf als Direktor Akademie/Lizenzspieler besetzt. Was versprecht ihr euch von dem Duo?
Bernstein: In Benjamin Weber und Andreas „Zecke“ Neuendorf haben wir zwei Herthaner wieder zurück an Bord, die Qualität und Identifikation vereinen. Wir sind überzeugt, dass sie ihre Aufgaben inhaltlich top mit Leben füllen werden. Gleichzeitig haben sie den Verein über Jahre in unterschiedlichen Bereichen gelebt und geprägt. Benny war von 2003 bis 2021 bereits bei Hertha prägend tätig. Unter ihm wurden nicht nur die großen Nachwuchs-Erfolge bis hin zur Deutschen Meisterschaft der U19 erzielt, sondern er war und ist neben seinem täglichen Aufgabenbereich auch ein Gestalter und Visionär in unserem Verein. Zecke hat sich nach seiner Spielerkarriere zu einem wichtigen Faktor in unserer Nachwuchsarbeit weitergebildet, bringt zudem eine für ihn typische Begeisterung und Emotionalität mit. Das alles zahlt ein auf den Weg, den wir als Hertha BSC weiter gehen wollen.

herthabsc.com: Du hast ihn gerade angesprochen, den Weg, den Hertha geht. Was ist für dich der neue Weg unserer Alten Dame?
Bernstein: Vielleicht fange ich mal so an und mache deutlich, was dieser Weg nicht ist oder besser gesagt eben nicht allein ist. Es geht nicht darum, dass man in Hertha-Bettwäsche geschlafen haben muss, um hier zu arbeiten. Und es geht auch nicht darum, dass ab sofort an einem Profikader gebastelt wird, der nur aus Spielern aus Berlin und unserer Akademie besteht. Ich verstehe auch, dass in einer solchen Situation gerne gefragt wird, für was Hertha eigentlich steht. Dennoch finde ich, dass wir diesen neuen Weg unserer Alten Dame, den wir seit dem Sommer 2022 gehen, durchaus hier und da schon erkennbar ist. Aber diese Wahrnehmung steht und fällt am Ende zumeist mit den sportlichen Ergebnissen. Dessen sind wir uns bewusst.

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Alles ist angelehnt an unsere Identität, die wir aus unserer mehr als 130-jährigen Geschichte entwickelt haben, und den Werten, denen wir uns verschrieben haben: Gemeinschaft, Vielfalt, Größe, Stolz, Mut.
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-Kay Bernstein

herthabsc.com: Ok, verstanden! Lass uns aber gerne noch mehr ins Detail gehen.
Bernstein: Alles ist angelehnt an unsere Identität, die wir aus unserer mehr als 130-jährigen Geschichte entwickelt haben, und den Werten, denen wir uns verschrieben haben: Gemeinschaft, Vielfalt, Größe, Stolz, Mut. Das wenden wir in allen Bereichen bei uns an. Gleichzeitig lassen sich aus den vergangenen zwei Jahrzehnten wichtige Lehren ziehen. Allen voran in den so wichtigen Bereichen wie wirtschaftliche Restrukturierung, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Wir wollen Kosten- und Qualitätsbewusstsein bei jeder Entscheidung. Wir müssen die schwerwiegenden finanziellen Erblasten als Realität anerkennen und pragmatisch sein, um die Zukunft zu ermöglichen. Wir wollen organisches Wachstum statt Größenwahn. Wir brauchen Mut und Hartnäckigkeit, um Veränderungsbedarf anzunehmen und auf dem Weg Rückschläge und Hürden zu überwinden. Wir brauchen ein funktionierendes Miteinander in der Vereins- und Fankultur. Wir wollen raus aus den Bubbles und wieder rein in die Gemeinschaft. Offene Kommunikation, Vertrauen statt Meckern, helfen statt abwinken und geben statt nehmen! Dafür stehen auch Veranstaltungen wie “Hertha im Austausch” am Freitagabend (10.02.23), in denen wir in den direkten Dialog mit unseren Mitgliedern gehen. Wir arbeiten täglich an ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, wollen vorleben statt predigen. Wir gehen zukunftsorientierte Themen wie Frauenteams im Hertha-Trikot, Stadionneubau und Satzungsreform an. Wichtig ist: Es darf trotz der vielen Problemfelder aus der Vergangenheit keine Mutlosigkeit für die Zukunft geben. Das war schon immer eine Berliner Stärke und auch wir als Verein haben schon einiges überstanden. All das gehört für uns zu dazu, wenn wir über den neuen Weg unserer Alten Dame sprechen.

herthabsc.com: Wo du grade die Themen Frauen, Stadionneubau und Satzungsreform ansprichst. Kannst du uns als kurzen Einschub dazu ein Update geben?
Bernstein: Beim Thema Frauenfußball sind wir kurz vor der Finalisierung. Die Projektgruppe ist dazu abgeholt, die Hausaufgaben sind gemacht. Wir streben an, dass diverse Mannschaften von Hertha 03 Zehlendorf zukünftig in blau-weiß für Hertha BSC spielen. Das ist aus unserer Sicht mit Blick auf die Rahmenbedingungen, die wir derzeit bei uns haben, eine sehr gute Lösung und darauf freuen wir uns sehr. Bei unserem Vorhaben Stadionneubau hatten wir in der jüngeren Vergangenheit gute Gespräche in den einzelnen Gruppen, aber da müssen wir nun die politische Entwicklung mit der Wahl am Sonntag (12.02.23) abwarten. Und das Thema Satzungsreform ist angestoßen und wir kümmern uns gerade um die eingegangenen Bewerbungen und die Zusammenstellung der Projektgruppe.

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Der Sport, also der Fußball, ist und bleibt unser Kerngeschäft. Dafür machen wir das alles doch. Daran hängt doch unser aller Herz, unsere Emotionen. Wir spielen Fußball, um letztlich möglichst viele Menschen glücklich zu machen, den Leuten Spaß zu bereiten.
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-Kay Bernstein

herthabsc.com: Zurück zum neuen Weg unserer Alten Dame. Was bedeutet der im sportlichen Bereich?
Bernstein: Der Sport, also der Fußball, ist und bleibt unser Kerngeschäft. Dafür machen wir das alles doch. Daran hängt doch unser aller Herz, unsere Emotionen. Wir spielen Fußball, um möglichst viele Menschen glücklich zu machen, den Leuten Spaß zu bereiten. Hier spielen die Akademie und unsere sportliche Ausrichtung eine wesentliche Rolle. Berlin ist die Stadt der Fußballkäfige. Hier sind Durchsetzungsvermögen, Kreativität, Vertrauen, Siegeswille gefordert. Das Ganze gepaart mit Berliner Schnauze. Wir wollen den Weg ebnen aus dem Fußballkäfig in die Profimannschaft. Aber natürlich ist uns auch bewusst, dass es eine gute Mischung braucht, eine Mischung sowohl mit Mitarbeitenden als auch Spielern von außen. Was aber alle vereinen sollte, ist am Ende die Qualität und die Leidenschaft für die Sache, den Fußball und Hertha BSC.

herthabsc.com: Wie siehst du die nahe Zukunft? Was ist aus deiner Sicht jetzt wichtig?
Bernstein: Wir verstehen die Ängste, Sorgen und Nöte aller, die es mit unserer geliebten Alten Dame halten. Wir möchten diese mit unserer Art zu kommunizieren und in den Dialog zu gehen, ein wenig minimieren. Wir wollen die Herthanerinnen und Herthaner an unserem Weg teilhaben lassen, sie einbinden und mit ihnen darüber diskutieren. Nur gemeinsam werden wir die Herausforderungen meistern! Dann bin ich überzeugt davon, dass wir den Klassenerhalt schaffen und uns eine bessere Zukunft erarbeiten werden.

von Hertha BSC