Matheus Cunha beim Spiel gegen den FCB
Profis | 6. Februar 2021, 10:25 Uhr

Ein Quäntchen

Das Spiel zwischen Hertha BSC und dem FC Bayern München hörte beinahe so auf, wie es angefangen hatte: Mit einer "hundertprozentigen Chance" für den Hauptstadtclub, wie Pál Dárdai es nach Abpfiff formulierte. Während Matheus Cunha mit einem gefühlvollen Heber den späten Ausgleich haarscharf verpasste (89.), hatte Dodi Lukébakio sogar die Führung früh auf dem Fuß, als er an Manuel Neuer scheiterte (3.). Es fehlte in beiden Situationen nicht viel, doch waren es diese vermeintlichen Kleinigkeiten, die nach 90 Minuten stark ins Gewicht fielen. Denn schlussendlich besiegelte der einzige Treffer des Tages durch Kingsley Coman die 0:1-Niederlage - und das ausgerechnet mit einem unglücklich abgefälschten Schuss aus der zweiten Reihe. Somit stand die 'Alte Dame' am 20. Spieltag trotz eines überzeugenden Auftritts mit leeren Händen da. "Die Bayern muss man erstmal dorthin bringen, dass man sie schlagen oder einen Zähler mitnehmen kann. So einen Tag hatten wir und dafür haben wir hart gearbeitet. Dass wir am Ende mit null Punkten dastehen, ist ärgerlich", resümierte der stellvertretende Kapitän Niklas Stark.

Jarstein beendet Lewandowskis Serie

Bereits vor dem Kräftemessen wusste Cheftrainer Pàl Dàrdai, dass es einen Top-Tag gegen den Quadruple-Sieger bedarf. Entsprechend bereitete der Übungsleiter seine Schützlinge auf das Duell vor. "Wir haben Umschaltfußball gespielt. Das haben wir die gesamte Woche geübt", verriet der Ungar. Lukébakios Hochkaräter war exemplarisch für das Vorgehen der Berliner, die aus einer kompakten Grundordnung agierten und immer wieder gefährliche Nadelstiche setzten. Auch in der Folgezeit überzeugten die Hausherren durch das Kollektiv, kamen besonders in der Anfangsphase immer wieder in gefährliche Abschlusspositionen wie durch Krzysztof Piątek (15., 21.). Die Herthaner verzeichneten in der gesamten Begegnung sieben Schüsse aufs Tor, die Gäste standen bei sechs Versuchen.

Dabei rückte besonders in der Anfangsphase immer wieder Rune Jarstein in den Fokus - zunächst gegen Leroy Sáne (5.), später gegen Kingsley Coman (24.). Sein Können eindrucksvoll unter Beweis stellte der Schlussmann aber vor allem gegen Robert Lewandowski, dessen Elfmeter er parierte (11.). Der Pole hatte zuvor seine elf jüngsten Versuche vom Punkt allesamt verwandelt. "Den Elfmeter zu halten, war ein sehr gutes Gefühl – Lewandowski ist einer der weltbesten Stürmer. Leider hat uns das am Ende wenig gebracht", sagte der 36-Jährige, der nach Neuer erst der zweite Bundesliga-Torhüter ist, dem dieses Kunststück gelang. Denn gegen Coman war der 'Wikinger' machtlos. "Beim Gegentor habe ich gesehen, dass er zum Schuss ausholt, aber es waren zu viele Spieler dazwischen. Als ich den Ball sehen konnte, war es schon zu spät", ordnete der Keeper die spielentscheidende Szene später am Mikrofon ein.

Sichere Defensive, offensive Drangphase - doch der Lohn bleibt aus 

Nahezu unbeirrt vom Gegentreffer blieb der Defensivverbund der Dárdai-Elf weiterhin stabil. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt legten die Hausherren den Offensivmotor des Rekordmeisters fast vollständig auf Eis. "Es ist ganz klar, dass wir gegen eine Mannschaft wie Bayern München nicht jede Chance verhindern können, dennoch haben wir ihr Spiel oft wirklich gut unterbunden", kommentierte Rechtsverteidiger Peter Pekarík das Spielgeschehen, das sich auch nach Wiederanpfiff trotz verletzungsbedingtem Wechsel nicht veränderte. Omar Alderete musste in der Innenverteidigung Jordan Torunarigha ersetzen, der sich eine Hüftverletzung zugezogen hatte. Weitere Untersuchungen stehen in den kommenden Tagen an.

Vertreter Alderete fügte sich ebenso nahtlos ein, wie im späteren Verlauf Mattéo Guendouzi und Nemanja Radonjić. Speziell der serbische Neuzugang setzte nach seiner Einwechslung immer wieder Akzente in der Hälfte der Münchner. "Nemanja ist zielstrebig, pfeilschnell und sucht den Torabschluss. Ich glaube, das Team und die Fans werden noch viel Spaß an ihm haben", zeigte sich Dárdai absolut einverstanden mit dem Debüt des Serben. Mit seinem ersten Kontakt schob der 24-Jährige den Ball auch gleich über die Linie, doch weil Passgeber Lukébakio zuvor im Abseits gestanden hatte, zählte der Treffer nicht.

Die Angriffaktionen der Spreeathener häuften sich in dieser Phase dennoch, der Ausgleich lag in der Luft des Berliner Nachthimmels. "Das hat nicht nach Kampf ausgesehen, sondern nach Fußball - und das gegen Bayern München. Wir hatten eine richtige Druckphase, in der Bayern nur verteidigen musste", teilte Dárdai dieses Empfinden. In der Schlussoffensive, die Guendouzi einläutete (68.), verpasste Radonjić (87.) jedoch ebenso wie Cunha (89.) mit besagter Szene den Ausgleich. Daran konnte auch der in der Schlussphase eingewechselte Sami Khedira bei seiner Premiere mit der Fahne auf der Brust nichts ändern. "Uns fehlte die Kaltschnäuzigkeit vor dem gegnerischen Tor", analysierte der Weltmeister von 2014, der erstmals nach 3.972 Tagen wieder im deutschen Oberhaus auf dem Rasen stand: "Mein Comeback war kurz, aber es ist ein gutes Gefühl wieder im Stadion zu sein, gebraucht zu werden – darüber bin ich sehr froh und glücklich."

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Es kam selten vor, dass ich nach einer Niederlage so stolz auf das Team war! Wir werden da rauskommen, gemeinsam!
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-Arne Friedrich

Das Positive mitnehmen

Glücklicher wäre der 33-Jährige allerdings am Ende über einen Punktgewinn gewesen. Da ging es seinem Trainer nicht anders: "Ich erzähle keinen Mist, wenn ich sage, dass wir einen Punkt verdient gehabt hätten. Die Jungs haben das Mittelfeldpressing gegen Bayern gut beherrscht und sich genug Torchancen herausgespielt. Auch die Laufleistung und Zweikampfführung sah sehr gut aus", lobte er. Doch obwohl es zu nichts Zählbarem reichte, richteten sich die Hauptstädter schnell wieder auf und zogen neue Kräfte aus dem guten Auftritt. Arne Friedrich fand dabei die richtigen Worte: "Es kam selten vor, dass ich nach einer Niederlage so stolz auf das Team war! Wir werden da rauskommen, gemeinsam!", so der Sportdirektor. Die nächste Chance dazu wartet am kommenden Samstag (13.02.21, 15:30 Uhr) beim VfB Stuttgart - dem Aufsteiger, der bislang eine starke Saison spielt. "Wir haben einen schwierigen Monat vor uns. Wir müssen die positiven Sachen aus den beiden ersten Spielen mitnehmen und anfangen zu punkten." Bestenfalls im Schwabenland - und zwar mit etwas mehr Spielglück und dem entscheidenden Quäntchen. 

von Manuel Baumgärtner