
Zweigeteilt
Dass ein Fußballspiel in der Regel 90 Minuten lang dauert und in zwei Halbzeiten gespielt wird, ist nicht erst seit Samstag (13.03.21) bekannt. Doch der Gastauftritt unserer Herthaner bei Borussia Dortmund lieferte einen Beweis dafür, wie unterschiedlich die zwei Hälften sein können – in spielerischer Hinsicht und vor allem in der anschließenden Bewertung. "Ich bin sehr unzufrieden mit der zweiten Halbzeit. Mit der ersten Hälfte nicht, da war alles so wie wir das wollten und geplant haben, auch vom Spielverlauf her. Aber der zweite Abschnitt war nicht in Ordnung", formulierte unser Trainer Pál Dárdai sein erstes Fazit nach der 0:2 (0:0)-Niederlage.

Griffig, gierig, präsent
Doch zu Beginn des Bundesliga-Topspiels des 25. Spieltags sah es noch nicht danach aus, dass unser Fußballlehrer rund zwei Stunden später zu solch einer zweigeteilten Analyse kommen würde. Unsere 'Alte Dame', die kurzfristig einige Ausfälle zu verkraften hatte und mit U23-Akteur Jonas Michelbrink einen Kaderdebütanten begrüßte, startete von Anfang an griffig, gierig und präsent in die Partie. Durch kompromissloses Zweikampfverhalten – zwischenzeitlich um die 60 Prozent gewonnener Duelle – und eine höchst disziplinierte wie konzentrierte Defensivleistung ließen Niklas Stark, Márton Dárdai und Co. gegen die hochveranlagte Dortmunder Offensive fast nichts zu. Lediglich bei einem Freistoß von Marco Reus musste die Oberkante der Latte aushelfen (18.), ehe Rune Jarstein einen Schuss von Jude Bellingham aus kürzester Distanz geistesgegenwärtig parierte (33.). Ansonsten erstickten unsere Blau-Weißen die Angriffsbemühungen des UEFA Champions League-Viertelfinalisten durch aufopferungsvollen Einsatz im Keim. Und Erling Haaland? Vom norwegischen Toptorjäger war rein gar nichts zu sehen, mit lediglich 17 Ballkontakten hatte der 20-Jährige die wenigsten Aktionen an der Kugel aller Startelfspieler seines Teams. "Wir waren in der Defensive sehr gefordert, hatten aber einen guten Plan. Der BVB hatte zwar meistens den Ball, kam aber kaum durch", empfand auch unser Stürmer Krzysztof Piątek.
Im zweiten Durchgang wollten unsere Hauptstädter ihre offensiven vereinzelten Nadelstiche aus den ersten 45 Minuten – Maximilian Mittelstädt verzeichnete die gefährlichste Aktion (24.) – verstärken. Dafür wechselte unser Coach frisches Angriffspersonal ein. Doch dieser Plan ging leider nicht auf. Der große Unterschied zur ersten Hälfte: Unsere Spreeathener verteidigten weiterhin bravourös, doch die Ausflüge nach vorne, die im ersten Abschnitt hauptsächlich über den auffälligen Deyovaisio Zeefuik liefen, reduzierten sich auf ein Minimum. Zur Besorgnis von Pál Dárdai. "Wir haben gute Spieler von der Bank reingebracht, aber dann hat es nicht komplett funktioniert und darüber mache ich mir Sorgen. Wir haben nicht einmal richtig auf das Tor geschossen, nicht eine Ecke oder einen Standard rausgeholt, obwohl wir in der Pause über ganz andere Dinge geredet haben. Darüber müssen wir mit den Jungs sprechen", äußerte der 44-Jährige, der am Dienstag (16.03.21) ein Jahr älter wird, seinen Unmut. "In der gegnerischen Hälfte kann man mal einen Ball verdribbeln oder einen Fehler machen, das ist nicht schlimm. Aber schlimm ist, eine Halbzeit so passiv zu sein, weil der Mut fehlte", führte der Fußballlehrer seine Erklärungen weiter aus.
[>]Das Positive aus diesem Spiel müssen wir mitnehmen und gegen Leverkusen in Zählbares umwandeln.[<]
Aufopferungsvoll bis zur letzten Sekunde
Dieser fehlende Mut im vordersten Drittel wurde auch dann nicht sichtbarer, als unsere Mannschaft neun Minuten nach Wiederanpfiff durch einen Fernschusstreffer von Julian Brandt plötzlich in Rückstand geriet (54.) und somit offensiv nun noch mehr gefordert war. "Rune ist ein super Torwart, der uns in der ersten Hälfte den Hintern gerettet hat und auch in den Partien davor ein guter Rückhalt war. Deshalb gibt es natürlich keine Kritik an ihm", sagte Kapitän Stark über seinen Schlussmann, der in dieser Szene nicht ganz glücklich aussah. Trotz des Nackenschlags ließ unsere Elf ihre Köpfe nicht hängen und agierte weiterhin leidenschaftlich gegen die Schwarz-Gelben. Für die Schlussphase brachte Dárdai Javairô Dilrosun, der erstmals seit dem 20. Dezember 2020 wieder für unsere Farben auf dem Platz stand. Doch auch der flinke Niederländer änderte nichts an der Passivität vor dem gegnerischen Gehäuse. Der Wille zum Ausgleich war unserem Team in der leeren Dortmunder Arena bis zum Schluss anzusehen, doch leichter wurde dieses Unterfangen zehn Minuten vor Abpfiff nicht. Vladimír Darida kam gegen Marco Reus von hinten zu spät und sah für dieses Foul von Schiedsrichter Martin Petersen die Rote Karte, die erste mit der blau-weißen Fahne auf der Brust und die überhaupt erst dritte in der gesamten Laufbahn des Tschechen. "Vladi ist erfahren genug, um zu wissen, dass er so nicht von hinten reingrätschen darf. Aber bei ihm war das keine böse Absicht, er kam nur leider zu spät", ordnete Dárdai das Vergehen seines Dauerläufers ein.
Mit einem Mann mehr auf dem Rasen eröffneten sich für die Gastgeber fortan mehr Räume. Einen dieser nutzte der eingewechselte Youssoufa Moukoko in der Nachspielzeit zum 2:0-Endstand (90.+1). Ein Blick auf die Statistik spiegelte nach Abpfiff das Geschehen treffend wider: Unsere Elf verzeichnete 52 Prozent gewonnene Zweikämpfe und 118,06 gelaufene Kilometer, nur minimal weniger als die Borussia (118,38 Kilometer) – und das trotz Unterzahl in der Schlussphase. Doch die weiteren Zahlen sprachen eine klare Sprache pro BVB: 12:3 Torschüsse, 71:29 Prozent Ballbesitz und 7:0 Ecken. "Es wird immer wieder gesagt, dass unsere Mannschaft keinen Abstiegskampf kann, aber das verstehe ich nicht. Dabei bleibe ich, denn wir haben schon das Gegenteil gezeigt. Aber natürlich müssen wir unsere Punkte holen. Das Positive aus diesem Spiel müssen wir mitnehmen und gegen Leverkusen in Zählbares umwandeln", blickte Lukas Klünter direkt schon auf die nächste Aufgabe, die am kommenden Sonntag (21.03.21, 15:30 Uhr) ein Heimspiel gegen Bayer 04 Leverkusen bereithält. Gegen die 'Werkself' werden unsere Herthaner ihre Erkenntnisse aus dem BVB-Spiel – vor allem im Offensivverhalten – umsetzen wollen, um dafür zu sorgen, dass die Analyse nach der Partie nicht wieder zweigeteilt ausfällt.