
„Die Frauen sind wissbegieriger“
Im vergangenen Sommer wechselte Sofian Chahed die Seiten: Den gebürtigen Berliner zog es vom Männer- zum Frauenfußball. Fortan hieß es für den 38-Jährigen 1. FFC Turbine Potsdam statt Hertha BSC. Mittlerweile biegt der Übungsleiter in seiner Premierensaison im Eiltempo auf die Zielgerade ein. Einen Spieltag vor Schluss belegt unser Kooperationspartner in der Frauen-Bundesliga den vierten Tabellenplatz – und spielte bis zum Saisonfinale sogar noch um die Qualifikation für die Champions League mit. Warum Coach Chahed dennoch nicht „übermäßig zufrieden“ mit seiner ersten Spielzeit in Potsdam ist und worin in seiner Wahrnehmung die Hauptunterschiede zwischen dem Frauen- und Männerfußball liegen, hat der Ex-Profi im Interview mit herthabsc.com erzählt.
herthabsc.com: Sofian, deine erste Spielzeit beim 1. FFC Turbine Potsdam neigt sich dem Ende entgegen. Welche Aspekte hast du im Frauenfußball neu kennengelernt, die dir aus dem Männerbereich in der Art noch nicht bekannt waren?
Chahed: Ja, wenn ich da jetzt aushole, reicht eine Internetseite nicht aus (lacht). Grundsätzlich habe ich in meinem ersten Jahr die Erfahrung gemacht, dass ich bei den Frauen alles ein wenig mehr erklären und kommunizieren muss. Das führt dazu, dass ich mir mehr Gedanken um die Inhalte und um jedes Detail machen muss. Das bringt mich als Trainer aber auch weiter, da ich mich viel intensiver mit der Materie Fußball und all ihren Einzelheiten beschäftige. Das empfinde ich auch als persönlichen Mehrwert für meine Entwicklung. Ich muss auf jede Nachfrage eine Antwort parat haben und darf mich nicht auf den Gedanken verlassen, dass ich es irgendwie schon hinbekomme. Das ist der Hauptunterschied: Die Frauen sind wissbegieriger, fragen mehr nach und wollen vor allem verstehen, warum wir gewisse Dinge im Training machen. Wenn wir beispielsweise bei einem Freistoß eine Abseitsfalle stellen wollen, kommen inhaltliche Nachfragen, warum wir das für sinnvoll erachten und ob es im Wettbewerb auch überhaupt klappen kann. Die Mädels hinterfragen erst, ehe sie die Aufgaben erfüllen. Das ist schon neu für mich (schmunzelt).
herthabsc.com: Die Corona-Pandemie beherrscht seit Anfang 2020 unser Leben. Wie geht ihr in Potsdam mit der Situation um?
Chahed: Wir müssen zwei Mal die Woche einen PCR-Test machen, maximal dürfen fünf Tage zwischen den beiden Tests sein. Zudem haben wir erhöhte Sicherheitsmaßnahmen bei uns auf dem Gelände. Das sind natürlich die bekannten Hygieneregeln mit Abstand einhalten und Maske tragen im Gebäude. Glücklicherweise dürfen wir draußen auf dem Platz zusammen trainieren. Das ist alles nicht immer so einfach, aber auch so vorgeschrieben, deswegen halten wir uns selbstverständlich strikt an alle Regeln. Dennoch hoffe ich, dass so schnell wie möglich eine gewisse Normalität wieder einkehrt.
[>]Ich merke, dass Carsten Schmidt und der gesamte Club sehr motiviert sind, das finde ich sehr gut. Von daher habe ich ein gutes Gefühl und wir sind auf dem richtigen Weg, den es fortzusetzen gilt.[<]
herthabsc.com: Einen Spieltag vor Schluss belegt ihr in der Frauen-Bundesliga den vierten Tabellenplatz. Wie zufrieden bist du mit dem Saisonverlauf?
Chahed: Teils, teils. Ich bin nicht unglücklich, aber auch nicht übermäßig zufrieden. Wir haben es teilweise ordentlich gemacht, in anderen Fällen aber auch wieder Spiele aus der Hand gegeben, in denen wir niemals noch Punkte hätten verlieren dürfen. Da haben teilweise die Basics gefehlt. Da macht es sich schon bemerkbar, dass im Frauenfußball die Grundausbildung nicht so vorhanden ist, wie im Junioren- oder Männerbereich. Basierend auf dieser Tatsache müssen wir noch viel Zeit im individuellen Techniktraining in Bezug auf Ballannahme und -mitnahme, Passformen und Fußhaltung investieren. Da ist noch viel Nachholbedarf im gesamten Mädchen- und Frauenfußball. Damit müssen wir uns nun mehr beschäftigen, als ich vorher gedacht habe – da bin ich offen und ehrlich. Aber ich komme bekanntermaßen aus dem Jugendbereich, von daher bringe ich da einen ganz guten Input mit ein.
herthabsc.com: Ihr seid drei Zähler von den Champions League-Plätzen entfernt. Ist die Königsklasse am letzten Spieltag noch realistisch zu erreichen?
Chahed: Wir wollten unsere drei abschließenden Spiele gewinnen, das war unser Ziel. Davon haben wir nun zwei Partien erfolgreich bestritten, jetzt wollen wir natürlich auch zum Abschluss die SGS Essen besiegen und den dritten Sieg in Serie einfahren. Wir wollten mindestens Vierter werden, diesen Rang haben wir sicher – das war unser Minimalziel. Was die Champions League-Plätze betrifft, sind wir sehr realistisch. Aufgrund des deutlich besseren Torverhältnisses lässt sich die TSG Hoffenheim das am letzten Spieltag nicht mehr nehmen. Dennoch können wir mit dem vierten Platz gut leben.

herthabsc.com: Dein ehemaliger Arbeitgeber steckte hingegen bis zum vorletzten Spieltag im Abstiegskampf: Wie erleichtert warst du als langjähriger Herthaner, als unsere 'Alte Dame‘ den Klassenerhalt geschafft hat?
Chahed: Am Ende zählt nur das Ergebnis (schmunzelt). Ich habe das 0:0 gegen Köln live im Fernsehen verfolgt. Das war sicherlich kein schönes Spiel, aber Abstiegskampf ist nicht schön und soll auch nicht schön sein. Nach dem Abpfiff habe ich 'Zecke' Neuendorf und Carsten Schmidt meine Glückwünsche übermittelt. Die Mannschaft kann aus so einer Saison sehr viel mitnehmen, vor allem in Bezug auf Teamgeist und Teamspirit. Ich bin mir sehr sicher, dass sich Hertha in der nächsten Spielzeit in anderen Tabellenregionen wiederfinden wird. Der Verein und die Spieler haben aus diesem Jahr gelernt, nehmen daraus etwas für die kommende Runde mit und sind alle ein Stück enger zusammengerückt.
herthabsc.com: Wie eng verfolgst du unsere Spreeathener und mit welchen Ex-Kollegen stehst du noch in Kontakt?
Chahed: Ich verfolge Hertha BSC nach wie vor sehr intensiv, ich war vor dem Heimspiel gegen Freiburg beispielsweise auch in der Halbzeitshow bei 'Hertha030' zugeschaltet. Grundsätzlich schaue ich mir jedes Spiel an, solange wir selbst zeitgleich nicht im Einsatz sind. Ich drücke dem Verein zu jeder Zeit die Daumen. Vor allem mit 'Zecke', Malik Fathi und Rejhan Hasanović stehe im ständigen Austausch. Letztens habe ich mich auch mal wieder mit Andreas Thom unterhalten. Wenn es um offizielle Angelegenheiten geht, spreche ich natürlich mit den Verantwortlichen Carsten Schmidt, Benjamin Weber und André Henning.
herthabsc.com: Turbine Potsdam und Hertha BSC pflegen seit vergangenem Sommer eine Kooperation. Wie erlebst du als Cheftrainer die Zusammenarbeit?
Chahed: Ich sehe, dass die beiden Vereine sich regelmäßig abstimmen und tolle Aktionen auf die Beine stellen, das gefällt mir sehr gut. Aber ich glaube, dass wir als Turbine Potsdam noch mehr vom großen Hauptstadtclub Hertha BSC profitieren können. In der Zusammenarbeit steckt noch viel Potenzial. Ich merke, dass Carsten Schmidt und der gesamte Club sehr motiviert sind, das finde ich klasse. Von daher habe ich diesbezüglich ein gutes Gefühl und wir sind auf dem richtigen Weg, den es fortzusetzen gilt. Hoffentlich dann wieder auf persönlichem Wege und in Zeiten, die nicht mehr so extrem von Corona geprägt sind.