Jubelnde Spieler und ein lächelnder Pál Dárdai.
Profis | 7. Mai 2021, 09:45 Uhr

Bauchgefühle und Hunger auf mehr

Nemanja Radonjić wollte mehr. Wenige Augenblicke zuvor hatte Freiburgs Schlussmann Florian Müller den Serben noch am Torerfolg gehindert, doch in dieser 85. Minute startete unser Flügelflitzer aus der eigenen Hälfte erneut durch, zog in den Strafraum und vollstreckte zum 3:0. Anschließend hallte zum dritten Mal an diesem Abend lautstarker Berliner Jubel durchs Olympiastadion – nicht nur von unserer Bank, sondern insbesondere auch von den Reservisten auf den Rängen, deren Freude im weiten Rund nicht zu überhören war. „Wir haben auch auf der Tribüne mitgefiebert“, bestätigte Krzysztof Piątek verschmitzt. „Ich freue mich sehr für Nemanja und sein erstes Tor für Hertha. Wir verstehen uns einfach gut“, gratulierte unser Angreifer seinem Teamkollegen zu dessen Premierentreffer.

Hunger und Frische: Radikal-Rotation geht voll auf

Dieses dritte Tor war der Deckel auf einem Kräftemessen, das auch aufgrund von viel Bauchgefühl an unsere Blau-Weißen ging. Coach Pál Dárdai hatte im Vorfeld angekündigt, erst nach möglichst vielen Eindrücken und bei einem guten Frühstück am Spieltag über seine Aufstellung entscheiden zu wollen. Der Ungar setzte auf eine Radikal-Rotation mit neun Startelf-Änderungen gegenüber dem intensiven Punktgewinn in Mainz. „Dass rotiert werden würde, war uns allen klar. So viele Wechsel waren auch für uns ein bisschen überraschend – aber es war überragend, wie es die Jungs gemacht haben. Das war aber auch keine Überraschung, wenn man sie im Training sieht, dort zeigen alle, was sie können. Niemand lässt sich hängen, wenn er mal nicht spielt“, sagte Alexander Schwolow, der neben Mattéo Guendouzi als einziger Mainz-Starter auch gegen seinen Ex-Club begann. Ein Schachzug, der aufging. „Es ist ganz normal, dass man nach Wohnzimmer-Training und einer ersten Partie Müdigkeit spürt. Außerdem habe ich gemerkt, dass die Jungs, die nicht gespielt haben, frustriert waren, weil sie immer auf dem Platz stehen wollen – und frustrierte Spieler spielen am besten, wollen sich zeigen“, erklärte unser Coach seine Maßnahme. „Wir haben vor der Partie zehn gegen null geübt mit elf Akteuren. Das waren die Ersatzspieler plus Guendouzi. Da habe ich schon gespürt, dass es funktionieren wird“, verriet Dárdai. „Im Training waren alle so konzentriert und bissig, das war perfekt!“

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Ich habe gemerkt, dass die Jungs, die nicht gespielt haben, sich zeigen wollten. Im Training waren alle so konzentriert und bissig, da habe ich schon gespürt, dass es funktionieren wird!
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-Pál Dárdai

Perfekt liefen auch weite Teile der ersten Hälfte. Unser Coach hatte nicht nur bei seiner Startelf ein gutes Näschen bewiesen, sondern dem nach einer in Rheinhessen vergebenen Chance untröstlichen Piątek wieder Mut zugesprochen. „Ich habe ihm gesagt: Wenn die nächste Chance kommt, machst du den Ball rein“, erzählte unsere Club-Ikone und sollte auch hier Recht behalten. Nach einem Schuss von Jordan Torunarigha spekulierte der Pole genau richtig und brachte unsere 'Alte Dame' in Führung (13.). „Ich habe nach dem Schuss von Jordan gespürt, dass es für den Torwart schwierig werden könnte, deswegen habe ich den Laufweg genommen. Es war die richtige Entscheidung“, grinste der Angreifer. Neun Zeigerumdrehungen später kam es noch besser: Peter Pekarík köpfte eine Vorlage von Radonjić in Mittelstürmer-Manier zum zweiten Tor und einer 2:0-Pausenführung ein. Einziger Wermutstropfen dieser sonst so schönen Halbzeit war die Verletzung von Guendouzi, den Dárdai nach 39 Minuten mit Verdacht auf eine Mittelfußfraktur auswechseln musste. Unsere Mannschaft blieb aber voll fokussiert auf das gemeinsame Ziel. „Ich musste in der Pause gar nichts kritisieren, sondern habe einfach gezeigt, wie gut wir spielen. In der zweiten Halbzeit wollten wir dann mit mehr Räumen das dritte Tor machen“, gab unser Coach Einblicke in seine Halbzeitansprache.

Mannschaftskreis nach dem Heimsieg gegen Freiburg.
Ein Team! "Jeder macht mit, da hatte man Gänsehaut. So schaffen wir das", sagt Pál Dárdai.

Ein Sieg für die Seele - Sonntag gemeinsam den nächsten Schritt machen

Ein Vorhaben, das kurz vor Schluss wie beschrieben durch Radonjić aufging, nachdem unsere Spreeathener sich zuvor bereits einige Chancen erspielten. So stand nach 90 Minuten das fünfte ungeschlagene Bundesliga-Spiel in Folge, der insgesamt fünfte Heimsieg und der dritte Erfolg aus den vergangenen vier Partien auf eigenem Platz. „Wir haben Freiburg überrascht, sind sehr kompakt und vor allem als Team aufgetreten“, resümierte Javairô Dilrosun. Der Niederländer, der erstmals seit dem 12. Spieltag in der Startelf stand, richtete mit seinen Teamkollegen den Blick direkt nach vorne. „Das gibt uns viel Selbstbewusstsein für die kommenden Aufgaben. Wir haben immer noch ein Nachholspiel und es liegt nun alles in unserer Hand.“ Das Bewusstsein, mit dem Sprung auf Rang 14 einen wichtigen Schritt gemacht zu haben, aber nun dranbleiben zu müssen, hob auch Niklas Stark hervor. „Dieser Sieg war für die Seele extrem wichtig, aber wir haben nach wie vor ein großes Ziel vor uns. Deshalb dürfen und wollen wir uns nicht ausruhen und sind motiviert, Sonntag den nächsten Step zu machen. Wir brauchen alle Mann, das hat dieses Spiel gezeigt“, untermauerte unser Vize-Kapitän.

Dieser Teamgedanke ist im Berliner Lager überall zu spüren. „Jeder macht richtig mit, egal ob auf dem Platz oder auf der Tribüne. Da hatte man Gänsehaut. Es lohnt sich ein Teil der Hertha-Familie zu sein. So schaffen wir das“, betonte unser Coach und schaute bereits auf die nächste Aufgabe gegen den DSC Arminia (09.05.21, 18:00 Uhr). „Nach dem Sieg haben wir mehr Selbstvertrauen und etwas weniger Druck. Wenn wir gegen Bielefeld gewinnen, dann können wir uns etwas befreien. Es ist eine wichtige Begegnung, und es ist ein Vorteil, dass wir sie zu Hause spielen!“

Beweist der Trainer erneut gutes Bauchgefühl und unsere Jungs wieder derartigen Hunger auf mehr, können alle Herthanerinnen und Herthaner zuversichtlich in dieses Kräftemessen gehen.

von Konstantin Keller