
Das letzte Prozent
Befreiender und erleichternder hätte der Abpfiff am Mittwochabend (12.05.21) in Gelsenkirchen kaum sein können. Nach frühem Rückstand drehte unsere Mannschaft das Spiel und überstand in Unterzahl auch noch die Schalker Druckphase mit zwei Aluminiumtreffern in der Nachspielzeit. Dieser immens wichtige Auswärtssieg – ohnehin der erste nach zuvor elf glücklosen Anläufen auf gegnerischem Platz – war am Ende aber auch mit Namen verknüpft, die so mancher Experte im Vorfeld wohlmöglich nicht auf dem Zettel hatte. Über das Verletzungspech, das die Varianten in den Planungen auf das Duelleinschränkte und das auch während des Kräftemessens zuschlug, verlor unser Trainer Pál Dárdai kaum Worte, betonte viel mehr den Zusammenhalt der Hertha-Familie. „Vielleicht haben wir nicht mehr so viele Spieler, aber dann holen wir welche aus der Akademie. Wir sind vorbereitet, ich kenne da alle Jungs - das werden wir schon schaffen.“ Jessic Ngankam ist so ein Name, oder Jonas Michelbrink – zwei Akteure, die ablieferten, als sie gebraucht wurden. Der eine zeichnete für den Siegtreffer verantwortlich, der andere feierte eine überzeugende Bundesliga-Premiere.
Nicht nur Ngankam strahlte nach Abpfiff über das ganze Gesicht. Nach neun Partien ohne Kadernominierung übernahm unsere Nummer 27 nach einer knappen Stunde den Platz des angeschlagenen Krzysztof Piątek im Sturmzentrum und fügte sich nahtlos ein. Der 20-Jährige krönte seinen engagierten Auftritt mit dem entscheidenden Tor in der 74. Minute. „Dieses Siegtor zu erzielen, ist ein sehr, sehr schönes Gefühl und es macht mich stolz, meiner Mannschaft geholfen zu haben. Vor meinem Treffer haben Nemanja und Dodi das überragend gemacht“, reichte unser Eigengewächs die Blumen an seine Mitspieler weiter.
[>]Dieses Siegtor zu erzielen, ist ein sehr, sehr schönes Gefühl und es macht mich stolz, meiner Mannschaft geholfen zu haben.[<]
Ohnehin ist der Teamgeist und der Zusammenhalt in dieser heißen Phase im Abstiegskampf das größte Pfand: Gemeinsam wollen alle das eine Ziel – den Klassenverbleib – erreichen. „Wir schaffen es, alle zusammen als Gemeinschaft aufzutreten. Man spürt auf dem Platz, dass jeder für den anderen kämpft, die Jungs, die draußen sitzen, pushen von der Tribüne – das ist überragend und bringt uns dieses letzte Prozent, um solche Spiele dann auch für uns zu entscheiden“, schwang nach der Begegnung ein wenig Stolz in der Stimme von Alexander Schwolow mit.
Mit sechs ungeschlagenen Spielen im Rücken zeigten die Herthaner, dass sie diese Serie auch beim bereits feststehenden Absteiger fortsetzen wollten. In die gute Anfangsphase hinein setzte Amine Harit mit dem ersten ernstzunehmenden Angriff mit der Führung der Hausherren einen Nackenschlag (6.). Doch unsere Mannschaft blieb dran – Coach Dárdai lobte später die Ruhe, mit der seine Schützlinge immer weiter am Ausgleich arbeitete. Darüber hinaus kehrte mit Marvin Plattenhardt, der nach überstandener Corona-Infektion sein Comeback in der Startelf gab, die zuletzt häufiger vermisste Gefahr bei Standardsituationen als Spielvarianz wieder zurück. Nicht nur die Ecken unserer Nummer 21 sorgten in der königsblauen Defensivreihe für Nervosität. Einen dieser gefährlichen 'Platte'-Freistöße aus dem Halbfeld veredelte Kapitän Dedryck Boyata per Kopf zum verdienten Ausgleich (19.).
Hätten unsere Herthaner eine ihrer guten Chancen nach dem verdienten Führungstreffer genutzt, das Spiel wäre wohl etwas nervenschonender zu Ende gegangen. „Wir hätten den Sack früher zumachen können, in der Schlussminute ging es vor meinem Tor noch einmal drunter und drüber, aber wir haben uns dagegengestemmt und hatten das Momentum bei den Pfostentreffern auf unserer Seite“, beschwor Schwolow das Spielglück. Bei noch zwei ausstehenden Spielen hat unsere Truppe in der Rückrunde schon jetzt so viele Punkte geholt, wie ihr das in der ersten Saisonhälfte gelungen war. Am Ausbau dieser Ausbeute arbeiten unsere Jungs weiter. „Es ist noch nicht vorbei“, betonte Ngankam. „Die aktuelle Belastung ist nicht einfach, aber wir machen es alle sehr gut, alle sind da. Egal wer auf dem Platz steht, bringt seine Leistung.“ Gegen den Tabellenvorletzten aus Köln am Samstag (15.05.21, 15:30 Uhr) im Olympiastadion wird Vladimír Darida gelbgesperrt fehlen, doch mit einer weiteren guten Teamleistung könnte durch den nächsten Dreier ein weiteres nötiges Prozent hin zu einem versöhnlichen Saisonabschluss führen.