Kevin-Price Boateng macht ein Selfie mit dem Handy.
Profis | 24. Juni 2021, 11:00 Uhr

"Wissen, was die Fahne auf der Brust bedeutet!"

Kevin-Prince Boateng ist zurück – und das 5.149 Tage nach seinem bislang letzten Auftritt mit der Fahne auf dem Trikot! Damals, im Mai 2007, am 34. Spieltag der Saison, ebnete der 20-Jährige den 2:1-Sieg mit der 1:0-Führung bei der Eintracht aus Frankfurt. Nach einer Stunde räumte der Offensivspieler das Feld für 'Zecke‘ Neuendorf. Auf ihn wird Boateng nun rund 14 Jahre nach seinem Abschied wieder treffen – als seinen Co-Trainer. Ebenso auf Cheftrainer Pál Dárdai und Sportdirektor Arne Friedrich, mit denen unser Eigengewächs bereits Seite an Seite auf dem Platz stand. Nicht nur blau-weiße Fußballromantiker geraten bei dieser Konstellation ins Schwärmen. Denn wie speziell die Rückkehr des inzwischen 34-jährigen Boateng, hinter dem eine so beeindruckende Karriere mit vielen besonderen Stationen und Mitspielern liegt, macht er auf seine Art deutlich. „Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich es gar nicht richtig glauben. Vor sechs Jahren ist die Idee in meinem Schädel gereift, dass ich irgendwann noch einmal zurückkommen möchte – jetzt ist der Moment da! Ich werde das wohl erst glauben, wenn ich auf dem Trainingsplatz stehe und später unser Trikot endlich wieder überstreife. Das Gefühl ist auf jeden Fall wunderschön – it’s coming home!“, freut sich unsere neue Nummer 27, durch den einfach blau-weißes Blut fließt. „Hertha BSC ist nicht irgendein Club für mich. Ich bin hier, um etwas zurückzugeben.“ In seinem ersten Interview mit herthabsc.com spricht Boateng außerdem über den Austausch mit den Verantwortlichen, Ziele und Erwartungen sowie eine ganz besondere Tätowierung.

herthabsc.com: Prince, willkommen zu Hause, willkommen zurück bei Hertha BSC! Nimm uns einmal mit und verrate uns, wie du dich gerade fühlst?
Boateng: Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich es gar nicht richtig glauben. Vor sechs Jahren ist die Idee in meinem Schädel gereift, dass ich irgendwann noch einmal zurückkommen möchte – jetzt ist der Moment da! Ich werde das wohl erst glauben, wenn ich auf dem Trainingsplatz stehe und später unser Trikot endlich wieder überstreife. Das Gefühl ist auf jeden Fall wunderschön – it’s coming home! 

herthabsc.com: Mit wem hast du in der vergangenen Zeit über einen möglichen Wechsel gesprochen?
Boateng: Ich habe mit meinem großen Bruder George gesprochen, der Berliner ist und hier lebt. Ich habe ihn gefragt, ob er sich freuen würde, wenn ich nach Hause komme. Er hat gesagt: Es wäre das Schönste, das du mir geben kannst.

herthabsc.com: Nach 14 Jahren ist es die von vielen so sehr gewünschte Rückkehr zu deinem Jugendverein. Was bedeutet dir dieser Schritt zurück zu den Wurzeln?
Boateng: Hertha BSC ist nicht irgendein Club für mich. Ich bin hier, um etwas zurückzugeben. Ich bin in all den Jahren viel rumgekommen und habe viel lernen können, aber all das, meine ganze Karriere, habe ich diesem Verein zu verdanken. Das habe ich nie vergessen, Hertha war immer in meinem Herzen. Der Kontakt ist auch nie abgerissen, ich habe so oft wie möglich die Spiele und Entwicklungen verfolgt, auch wenn ich phasenweise nicht mehr so viele Leute persönlich kannte. Es liegen schwierige Jahre hinter dem Verein, zum Glück sind Pál, 'Zecke‘ und Arne zurückgekommen – echte Herthaner, die blau-weißes Blut haben, und ganz, ganz wichtige Charaktere sind, die unseren Verein zu 100 Prozent verkörpern. Sie können der Mannschaft zeigen, was es bedeutet, unser Trikot zu tragen.

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Wenn alle gesagt hätten, dass ich ein Vollidiot bin, dann wäre ich nicht hier. Ich habe also irgendetwas Gutes hinterlassen. Die Verantwortlichen trauen mir zu, dem Verein und der Mannschaft mit meiner Art weiterzuhelfen.
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-Prince Boateng

herthabsc.com: Mit Geschäftsführer Fredi Bobic hast du eine erfolgreiche Zeit in Frankfurt geprägt, mit dem angesprochenen Trio selbst für den Hauptstadtclub gespielt. Wie hilfreich war diese enge Verbindung bei den Vertragsgesprächen?
Boateng: Wenn alle gesagt hätten, dass ich ein Vollidiot bin, dann wäre ich nicht hier. Ich habe also irgendetwas Gutes hinterlassen. Sie trauen mir zu, dem Verein und der Mannschaft mit meiner Art weiterzuhelfen. Das freut mich, denn wenn wir ehrlich sind, war das vielleicht nicht immer so, dass wir auf den gleichen Nenner gekommen sind (grinst). Ich war ein junger Wilder, das ist doch bekannt, aber ich bin längst ein erwachsener Mann und weiß ganz genau, worauf es ankommt.

herthabsc.com: Worauf kommt es denn bei der 'Alten Dame‘ an? Oder anders gefragt. Wie möchtest du dem Team helfen?
Boateng: Das, was ich fußballerisch draufhabe, möchte ich einsetzen, um dem Club alles zu geben. 100 Prozent Einsatz, Willen und Leidenschaft – das sind immer Floskeln. Wenn das alles nicht stimmt, dann würde ich gar nicht mehr weiterspielen. Ich möchte mit den Hertha-Fans spezielle Momente erleben, besondere Situationen kreieren und Spaß haben – und das im Stadion! Abstiegskampf ist kein Spaß, sondern ein Zittern. Ich möchte junge Spieler fördern, sie sollen mutig und forsch sein, aber alle müssen auch wissen, was die Fahne auf der Brust bedeutet. Ich habe dazu noch andere Stärken, ich weiß, wie man eine Mannschaft führen kann, wie man eine Kabine handhabt. Die Verrückten und weniger Verrückten – mit allen habe ich in meiner Karriere Zeit verbracht.

Prince Boateng zeigt auf sein Tattoo auf der Brust.
Prince Boateng trägt die Hertha-Fahne nun auch auf der Brust.

herthabsc.com: Die Hertha-Fahne trägst du inzwischen nicht nur auf und unterm Herzen…
Boateng: … sondern inzwischen auch auf dem Solarplexus. Das hat verdammt wehgetan, aber ist einfach ein Symbol meiner Verbundenheit zu Hertha. Es war Schicksal, dass diese Stelle noch frei war, denn nichts passiert ohne Grund. Das Tattoo zeigt, dass dieser Verein und diese Stadt mein Zuhause sind.

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Ich komme nicht zu Hertha als Prince Boateng, die Diva und der Superstar, der jedes Spiel spielen muss. Das wissen die Verantwortlichen auch. Wie gesagt: Ich bin hier, um etwas zurückzugeben.
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-Prince Boateng

herthabsc.com: Wie dürfen wir uns die erste Kontaktaufnahme vorstellen, welche Themen standen im Mittelpunkt deiner Gespräche mit den Verantwortlichen?
Boateng: Ich komme nicht zu Hertha als Prince Boateng, die Diva und der Superstar, der jedes Spiel spielen muss. Das wissen die Verantwortlichen auch. Wie gesagt: Ich bin hier, um etwas zurückzugeben. Wenn der Trainer mich aufstellst, stellt er mich auf. Wenn der Trainer mich nicht aufstellt, möchte ich den jungen Spielern helfen. Wir haben einige junge, talentierte Jungs, die ich formen möchte. Ich denke, ich habe das Standing, dass sie mir zuhören und mir auch folgen werden. Pál weiß, dass er mir vertrauen kann und ich die Spieler in die richtige Spur schicken werde. Als ich jetzt das erste Mal wieder in die Hanns-Braun-Straße abgebogen bin, kamen so viele Emotionen hoch. Auf dem Gelände hat sich so viel verändert, der Verein ist gewachsen und wir müssen die neuen Möglichkeiten, die wir haben, nutzen. Ich bin hier als kleiner Wilder rumgelaufen, danach habe ich die Welt gesehen. Jetzt darf ich wieder hier sein!

herthabsc.com: Nach einer schwierigen Saison möchte sich unsere 'Alte Dame‘ mit Demut und Geduld, aber auch mit Ambitionen und dem nötigen Ehrgeiz weiterentwickeln. Was stimmt dich optimistisch, dass uns das gelingt?
Boateng: Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen die Arbeit von Fredi, der mit seiner Erfahrung und seiner Arbeit etwas aufbauen und entwickeln kann – das haben wir in Frankfurt gesehen. Die Eintracht ist in dieser Zeit eine richtige Nummer geworden, gleiches wird er hier versuchen. Dann aber auch das Festhalten an Pál und seiner Idee, die er schon in der vergangenen Saison auf den Platz bekommen hat. Und: Der Prince ist wieder da (lacht).  

herthabsc.com: Seit Tagen wird über deinen Wechsel spekuliert. Was denkst du, wenn du Überschriften liest wie: „Der verlorene Sohn kehrt zurück“?
Boateng: Wir wissen, dass ich kein Spieler wie jeder andere bin. Ich bringe einen Hype und Glamour mit, weil ich eine gute Karriere hatte und weil ich als verrückter Vogel gelte. Auch wenn ich in Deutschland nicht immer das beste Standing hatte, Berlin hat mich immer geliebt und diese Liebe gebe ich zurück. Wir Berliner wissen, dass es hier eigene Gesetze gibt. Der Rest interessiert mich nicht. Ich komme nach Hause – und das ist Berlin und Hertha BSC.

herthabsc.com: Aus dem Wedding ging es zwischenzeitlich durch die große weite Welt: In deiner Vita stehen Topvereine aus eigentlich allen großen Ligen – ob Tottenham Hotspur in England, der AC Mailand in Italien oder der FC Barcelona in Spanien. Welche Station hat dich am meisten geprägt?
Boateng: Das war die Zeit in Mailand, dort bin ich zum Mann gereift und habe begriffen, was es heißt, als Fußballer professionell zu leben. Wäre ich das nicht gewesen, hätte ich in diesem Team mit so vielen Superstars auf höchstem Niveau nicht eine Minute gespielt. Ich bin dort Stammspieler und Leistungsträger geworden, habe dort meinen ersten wichtigen Titel gewonnen. In der Mannschaft waren aber auch viele Familienväter und Ehemänner, von denen ich gelernt habe, was es bedeutet, Stabilität außerhalb des Fußballs zu erhalten.

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Von Zlatan habe ich viel gelernt, beispielsweise was es wirklich heißt, Profi zu sein. Durch Pirlo bin ich ruhiger am Ball geworden. Wenn man mit solchen Weltklasse-Spielern arbeitet, muss man einfach etwas lernen.
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-Prince Boateng

herthabsc.com: In all den Jahren bist du bei diesen Clubs auf außergewöhnliche Fußballer getroffen. Messi oder Ibrahimovic gehören dazu, aber auch Typen wie Mario Balotelli. Wie hast du die Zusammenarbeit mit diesen Spielern erlebt?
Boateng: Ich bin, wie ich bin. Kopiert habe ich nie jemanden. Es gibt eher Leute, die mich kopieren – das gefällt mir. Aber natürlich habe ich mir Sachen abgeschaut. Von Zlatan habe ich viel gelernt, beispielsweise was es wirklich heißt, Profi zu sein. Er ist so lange einer der besten Stürmer, weil er oft in den Kraftraum geht und unheimlich viel arbeitet. Von Messi kann man sich eigentlich nichts abschauen, weil du es einfach auf diesem Niveau nicht nachmachen kannst (grinst). Durch Pirlo bin ich ruhiger am Ball geworden. Wenn man mit solchen Weltklasse-Spielern arbeitet, muss man einfach etwas lernen. Im Rahmen meines Expertenjobs bei der EM ist mir aufgefallen, dass ich mit 31 Teilnehmern zusammengespielt habe. Von Balotelli habe ich mir nichts abgeschaut (zwinkert mit dem Auge).

herthabsc.com: Du hast dein erstes Bundesliga-Spiel im August 2005 für unsere Blau-Weißen gegen Frankfurt bestritten und dein bislang letztes im Mai 2007 ebenfalls …
Boateng: … gegen Frankfurt! Mein erstes Bundesliga-Tor habe ich auch gegen die Eintracht geschossen.

hertahabsc.com: … dazu den Pokalsieg 2018 im Olympiastadion mit den Hessen. Eigentlich ist klar, was bei der Veröffentlichung des Spielplans am Freitag passieren wird.
Boateng: 1. Spieltag, Hertha BSC gegen Eintracht Frankfurt, 100 Prozent (lacht). Da ist eine krasse Connection zu Frankfurt, in dem einen Jahr ist dort viel gewachsen. Ich freue mich drauf, auch auf die Fans. Das wird ein emotionales Spektakel.

herthabsc.com: Geringer dürfte die Vorfreude auf dein erstes Stadtderby allerdings auch nicht sein…
Boateng: Nein, ich sage es ganz ehrlich: Für mich ist das Thema zu heißgekocht, ein Derby wächst über Jahre. Die Köpenicker haben jetzt ihren Fame, vor der Leistung muss man auch Respekt haben. Aber Hertha ist Hertha, der Verein ist seit Jahrzehnten vorne. Da müssen wir uns ganz sicher nicht einschüchtern lassen. Jeder Verein hat mal ein Hoch, mal ein Tief, aber Berlin ist blau-weiß und wird auch immer blau-weiß bleiben.

von Florian Waldkötter