Fredi Bobic während der Medienrunde.
Profis | 30. Juli 2021, 17:55 Uhr

"Besonnen und ruhig das Beste für Hertha herausholen!"

Sechs Tage sind unsere Blau-Weißen nun schon in Leogang. Die Zeit in Österreich neigt sich langsam, aber sicher dem Ende entgegen. Hinter Fredi Bobic liegen sechs Tage, in denen er Trainingseinheiten und Tests beobachtet, aber auch viele, viele Gespräche geführt hat. Im Hotel im Krallerhof ist der 49-Jährige im engen Austausch mit dem Trainerteam, mit Arne Friedrich und den weiteren Mitgliedern der sportlichen Leitung. Nicht selten sieht man den Ex-Profi mit Handy am Ohr. Auch für die Medienschaffenden ist unser Geschäftsführer Sport ein gefragter Mann. Schließlich ist er in diesen Tagen nicht nur, aber vor allem auch bei personellen Entscheidungen in der Verantwortung. In einer Medienrunde am Freitagnachmittag nahm sich Bobic Zeit für die Fragen der Journalistinnen und Journalisten. Dabei sprach er über die Vorbereitung, die Kaderzusammenstellung und Gespräche mit Pál Dárdai. herthabsc.com hat die wichtigsten Aussagen notiert. Fredi Bobic über...

… seine Anfangszeit bei Hertha BSC: Insgesamt ist viel passiert. Im Juni haben Arne Friedrich und ich hier durchgezogen. Dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar. Im Juli sind wir in die nächste Stufe gegangen, viele neue Mitarbeiter sind dazugekommen. Wir haben nicht nur im Nachwuchsleistungszentrum oder der U23, sondern auch im Lizenzspielbereich umstrukturiert. Dazu der Strategie-Prozess ’Goldelse‘ im ganzen Verein. So langsam greift ein Rädchen besser ins andere, aber es ist ganz normal, dass alles noch ein bisschen Zeit brauchen wird. Wir hinterfragen uns dabei ständig, wo wir uns technisch oder infrastrukturell besser aufstellen können, wo wir gut aufgestellt sind, was fehlt oder überflüssig ist. Es ist noch nicht alles perfekt, das kann es auch noch nicht sein, aber wir sind auf einem sehr guten Weg, mit dem ich wirklich zufrieden bin. Und am Ende ist es ohnehin am wichtigsten, dass wir so oft wie möglich drei Punkte holen. Das macht alles leichter (grinst).

... den Sieg über Liverpool: Das war ein schönes Spiel. Die Fans im Stadion haben die Jungs auf dem Platz zusätzlich motiviert. Wir haben live gemerkt, was das, was wir bei der Europameisterschaft erlebt haben, ausmachen kann. Ich habe selbst lange überlegt, wann ich das letzte Mal vor 12.000 Zuschauerinnen und Zuschauern dabei war. Das ist schon ein Weilchen her. Die Jungs haben es in vielen Phasen richtig, richtig gut gemacht, aber ab und zu auch Probleme gehabt. Gegen so eine Top-Mannschaft ist das aber normal. Ich möchte das Ergebnis insgesamt nicht zu hoch bewerten, es war ein tolles Spiel gegen einen wunderbaren Gegner und der Erfolg gibt der Mannschaft Selbstvertrauen. Darum geht es in einer Vorbereitung auch immer.

Fredi Bobic im Gespräch mit den Medienschaffenden.
Fredi Bobic spricht in der Medienrunde über seine ersten Monate bei unserer 'Alten Dame'.

… die Treffer der Neu-Herthaner: Natürlich freue ich mich, dass Stevan Jovetić und Suat Serdar getroffen haben. Die Tore geben ihnen ein gutes Gefühl. Was mir bei Suats 2:0 besonders imponiert hat, war das Risiko, das er gegangen ist. Entweder haut er den Ball auf die Skisprungschanze in Innsbruck oder in den Winkel. Auch gegen St. Pauli hat er aus spitzem Winkel getroffen. Ich hoffe, dass er diesen Mut auch in der Bundesliga beibehält. Er ist in einer sehr, sehr guten Verfassung. Bei Stevan hat man natürlich seine Qualität gesehen, da reicht allein ein Blick auf seine Vita, um zu erkennen, auf welchem Level er schon gespielt hat. Er ist ein wunderbarer Offensivallrounder, wirklich kein Stürmer. Er kann offensiv viele Parts spielen, bewegt sich zwischen den Räumen und fordert die Kugel. Der Ball ist sein Freund, auf jeden Fall hat er keine Lederallergie, das ist schon mal gut (grinst). Es ist schön, wie sich Stevan eingefügt hat. Aber er hat noch einen Weg vor sich und muss Minuten in die Beine bekommen. Er hat zwar in der französischen Liga durchgespielt, aber zuletzt viel individuell trainiert.

… die Personalie Luca Netz: Fix ist sein Wechsel nicht, aber es geht in die Richtung. Sicherlich sprechen wir dabei nicht darüber, dass Luca bei seinem neuen Verein mehr Spielzeit bekommt. Bei uns würde er die Minuten auch bekommen. Wenn er uns verlässt, hat das keine sportlichen Gründe. Wir haben alles versucht, ihm einen neuen Vertrag zu geben, irgendwo gibt es Grenzen. So ist es manchmal im Fußball, seine Entscheidung müssen wir akzeptieren. Wenn so ein junger Bursche aus unserem Nachwuchs tatsächlich geht, wäre das sehr schade. Wir schenken Vertrauen, wir bilden sehr gerne aus. Unser Ziel ist es, dass wir diese Jungs dann auch in der Bundesliga bei Hertha BSC sehen. Aber es gibt gewisse Situationen, in denen nicht mehr alles ineinandergreift, solche Fälle haben wir 1.000 Mal in der Bundesliga gesehen, nicht nur bei uns.

… mögliche Neuzugänge: Grundsätzlich ist es so, dass jeder Spieler eine gewisse Qualität, ein gewisses Talent hat. Die Frage ist immer, wie er damit umgeht. Ich mag schwierige und komplizierte Typen. Bekommt man sie noch in die richtige Bahn oder nicht? Das geht mal gut, mal nicht. Aber eines hat mir der Fußball in den vergangenen Jahren gezeigt: Mentalität kann Qualität schlagen – das hat die EM belegt. Die richtige Einstellung gehört in jede Mannschaft und es ist sehr, sehr wichtig, dass wir Spieler haben, die sich im Team einordnen und das Beste investieren, um gemeinsam Erfolg zu haben.

… Wünsche von Pál Dárdai: Jeder Trainer möchte neue Spieler haben, am liebsten zehn (lacht). Da ist Pál nicht anders als die anderen. Ich führe viele Gespräche mit ihm, die wirklich Spaß machen und jung halten. Wir versuchen das Beste für Hertha BSC herauszuholen und arbeiten an der einen oder anderen Personalie. Dabei haben wir in beide Richtungen etwas angeschoben. Allgemein ist der Transfermarkt noch sehr träge, es ist insgesamt sogar noch schwieriger als im vergangenen Sommer. Das muss man ehrlicherweise sagen. Die Angst im Markt ist spürbar, die Kreativität in den Deals ist groß. Die Art und Weise, besonnen und ruhig an Investitionen heranzugehen, ist genau richtig. Wir haben eine Verantwortung, auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Clubs gegenüber. Die Zukunft ist ungewiss, es ist nicht der Zeitpunkt, um ins Risiko zu gehen. Wir müssen auf Eventualitäten vorbereitet sein.

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Jeder Trainer möchte neue Spieler haben, am liebsten zehn. Da ist Pál nicht anders als die anderen. Ich führe viele Gespräche mit ihm, die wirklich Spaß machen und jung halten. Wir versuchen das Beste für Hertha BSC herauszuholen.
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-Fredi Bobic

… gehandelte Namen der Medien: Wir kennen Jurgen Ekkelenkamp gut und haben Interesse. Wir wägen gerade ab, ob es möglich ist oder nicht. Mit Ajax Amsterdam besteht keine Einigkeit. Bei Nemanja Radonjić gibt es nichts Neues, keine Wasserstandsmeldungen. Bei Javairô Dilrosun habe ich die Tür, die laut Rotterdam angelehnt sein soll, noch nicht gefunden (grinst). Bei uns hat sich keiner gemeldet. Wir gehen davon aus, dass der August ein bisschen wild wird, wie früher in der Schule beim Tauschen von Panini-Bildern. Wir schauen uns brutal viel an, so eine Situation haben wir noch nie gehabt. Ich bin selbst gespannt. 80 Prozent der Vereine wollen Spieler abgeben, brauchen gleichzeitig aber noch Neuzugänge.

… Prince Boateng: Das Schöne ist, dass er immer noch kicken kann. Das haben wir nicht zuletzt gegen Liverpool gesehen. Deshalb wird er uns auf jeden Fall auf dem Platz helfen. Aber mir imponiert auch, dass er sich im Vergleich zur Frankfurter Zeit persönlich noch einmal weiterentwickelt hat. Da hat er noch einen Sprung gemacht. Die pure Freude, dass er wieder bei Hertha ist, ist spürbar. Ohnehin strahlt er etwas Positives aus und das färbt auf die Jungs ab. Für das Gemeinschaftsgefühl ist der Transfer von Prince unheimlich wichtig, die Kollegen freuen sich, mit ihm zusammenzuspielen. Er kann sie führen, so wie Sami Khedira das getan hat.

… Struktur innerhalb des Teams: Nicht nur Prince kann das. Wir haben einige erfahrene Spieler wie Dedryck Boyata, Vladimír Darida oder Peter Pekarík. Manchmal müssen diese Akteure gar nicht jede Minute spielen, um einer Mannschaft zu helfen. Es reicht, wenn sie im erweiterten Kreis sind. Auch Niklas Stark oder Suat Serdar können noch weitere Schritte gehen.

… die jungen Talente aus der Akademie: Mir macht es großen Spaß, sie hier zu sehen. Es tut den jungen Spielern gut, mit den Profis zu spielen. Wir werden sehen, wer seinen Weg in den Profifußball gehen kann. Die enge Verzahnung bei Hertha BSC zwischen Nachwuchs- und Lizenzbereich war auf jeden Fall einer der Gründe, warum ich wieder nach Berlin gekommen bin. Wir haben hier richtig gute Jungs dabei, die Nähe hilft uns, zu sehen und zu spüren, wie weit sie sind. Das beeinflusst auch unsere Transferplanungen. Ist ein Spieler vielleicht in zwei oder drei Jahren soweit? Holen wir dadurch einen Brückenspieler, der zwei bis drei Jahre bleibt, damit das Talent dahinter wachsen kann?

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Es tut den jungen Spielern gut, mit den Profis zu spielen. Die enge Verzahnung bei Hertha BSC zwischen Nachwuchs- und Lizenzbereich war auf jeden Fall einer der Gründe, warum ich wieder nach Berlin gekommen bin.
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-Fredi Bobic

… Fans im Stadion: Dieses Thema bewegt uns in der Liga sehr und wird meiner Meinung nach öffentlich noch zu wenig diskutiert. Dabei betrifft es nicht nur den Fußball, auch andere Sportarten und allgemein den Kulturbereich. Es bereitet uns Kopfschmerzen, dass wir laut den Gesundheitsämtern gute Konzepte für eine höhere Auslastung haben, aber diese dennoch nicht möglich ist. Wir wollen keine Sonderrechte, wir wollen normale Rechte. Im vergangenen Jahr haben wir gezeigt, wie wir zum Fußball, zu unserem Sport zurückfinden können. Unsere Konzepte haben viele andere Länder übernommen, jetzt sind wir beim Thema Stadionzulassung aktuell eines der Schlusslichter. Wenn ich dann um uns herumschaue - und darüber habe ich beispielsweise mit Jürgen Klopp gesprochen - dann sehe ich, dass die Inzidenzwerte in England im Vergleich zu Deutschland um ein Vielfaches höher sind und die Auslastung in den Arenen auf der Insel dennoch 75 Prozent beträgt. Da frage ich mich, ob ich im falschen Film bin oder ob wir in Absprache mit den Verbänden und Vereinen sogar juristisch dagegen vorgehen müssen? Wir hätten sogar die Chance, beim Thema Impfen zu helfen und könnten den Menschen ein Impfangebot machen, sodass sie sich alle vor oder im Stadion impfen lassen könnten.

von Florian Waldkötter