Das Mannschaftsfoto 2021/22 unserer Blindenfußball-Mannschaft.
Teams | 18. August 2021, 13:00 Uhr

"Die Unterstützung der Hertha-Familie macht uns stolz"

Langsam, aber sicher und Schritt für Schritt schreitet Patrick Küppers – gekleidet im Hertha-Trikot samt blauer Stutzen und Hose – aus dem Kabinentrakt auf der Sportanlage am Nordufer. Dem 40-Jährigen ist aus der Distanz nicht anzumerken, dass er weite Teile seiner Sehkraft verloren hat. Vielmehr ist dem Bibliothekar der Zentral- und Landesbibliothek Berlin der Stolz, die blau-weiße Fahne auf der Brust zu tragen, ins Gesicht geschrieben. Zahlreiche Trainingseinheiten und eine schweißtreibende Vorbereitung liegen hinter dem Defensivakteur und seinen Kollegen unserer Blindenfußballmannschaft. Am Wochenende (21. und 22.08.21, Nordufer 28a, 13351 Berlin) startet nun endlich der Punktspielbetrieb – vor heimischer Kulisse. "Auf der eigenen Anlage zu spielen, ist ein großer Vorteil für uns. So können unsere Freunde, Verwandte und Fans aus unserer Hertha-Familie zuschauen und uns unterstützen – das macht uns sehr stolz", betont das Vereinsmitglied, das seit Beginn an bei diesem Projekt unserer Spreeathener dabei ist. Vor dem Bundesliga-Auftakt gegen Marburg (21.08.21, 16:00 Uhr) und Borussia Dortmund (22.08.21, 15:00 Uhr) hat herthabsc.com eine Trainingseinheit am Nordufer besucht und sich mit dem in Wedding wohnenden Berliner über die Besonderheiten und Herausforderungen des Blindenfußballs sowie die Unterstützung unseres Hauptstadtclubs und Partner unterhalten. 

herthabsc.com: Patrick, in der abgelaufenen Spielzeit habt ihr eure Partien zusammen mit der SG PSV Köln bestritten. In der anstehenden Saison spielt ihr nun erstmals autark für Hertha BSC mit unserer Fahne auf der Brust. Wie groß eure Vorfreude?
Küppers: Die Vorfreude ist riesig. Das ist bei uns eine Art Klassentreffen, wenn wir alle zusammenkommen. Als eigene Hertha-Mannschaft aufzulaufen, ist natürlich etwas ganz Besonderes und bringt nochmal deutlich mehr Spaß. Dass wir als ein eigenes Team antreten dürfen, einen Trainingsplatz zur Verfügung haben und die Rahmenbedingungen stimmen, ist ein riesengroßer Schritt für uns. Alle geben ihr Bestes – das ist ein großes Vergnügen. Wir wurden super von allen im Verein aufgenommen und fiebern alle dem Saisonstart entgegen. 

Patrick Küppers im Portrait.
Ist stolz, die blau-weiße Fahne auf der Brust zu tragen: Herthas Blindenfußballer Patrick Küppers.

herthabsc.com: Kannst du eure Vorbereitung auf einen Bundesliga-Spieltag beschreiben? Wie oft trainiert ihr?
Küppers: Wir trainieren dienstags und donnerstags und haben zuletzt auch noch zusätzlich samstags auf dem Platz gearbeitet. Ein Blindenfußballspiel dauert zwei Mal 20 Minuten – wobei die Uhr bei Unterbrechungen angehalten wird – und das Feld ist mit den Maßen von 20x40 Metern auch recht klein. Von daher ist unser Sport sehr intensiv. Dafür ist es essenziell, dass wir mindestens zwei Mal pro Woche trainieren.

herthabsc.com: Wo liegen die besonderen Schwerpunkte bei den Übungen?
Küppers: Wir spielen im Vier gegen Vier, da herrscht durchweg Action auf dem Rasen, es ereignen sich ständig Torchancen. Wir müssen unfassbar fit und konzentriert sein. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass wir alle nichts sehen. Ein Teil von uns ist vollständig blind, manche können noch ein bisschen sehen. Um die Chancengleichheit herzustellen, spielen wir alle mit abgeklebten Augen und Dunkelbrillen. Deswegen müssen wir uns ausschließlich auf unser Raumgefühl und unser Gehör verlassen, das ist eine nicht zu unterschätzende Konzentrationsleistung. Wie weit bin ich von der Bande entfernt? Wo ist mein Mit- aber auch mein Gegenspieler und in welcher Entfernung befinde ich mich zum Tor? All diese Fragen beantworten wir ausschließlich mit unserem Raumgefühl und Gehör – glücklicherweise sind in unseren Bällen Rasseln integriert, damit wir den Spieler, der im Ballbesitz ist, identifizieren können. Die anderen Mitspieler, aber auch die Torhüter und Guides machen sich durch akustische Signale bemerkbar. All das ist Konzentrationssache, die aber auch auf die Kondition geht. Daher war es wichtig, dass wir in der Vorbereitung körperliche Grundlagen gelegt haben. Wir sind auf einem guten Weg, haben zu den Spitzenteams in der Liga aber noch Rückstand, da die seit mehreren Jahren unter Top-Bedingungen arbeiten.

herthabsc.com: Der Ligaauftakt steigt am 21. und 22. August in unserer Hauptstadt, am Nordufer – also ein Heimspiel für uns. Motiviert euch das besonders?
Küppers: Selbstverständlich! Auf der eigenen Anlage zu spielen, ist ein großer Vorteil für uns. So können unsere Freunde, Verwandte und Fans aus unserer Hertha-Familie zuschauen und uns unterstützen – das macht uns sehr stolz. Wir freuen uns über jeden, der sich für unsere Geschichte und für unseren Sport interessiert. Wir haben von unserem Verein sehr viel Unterstützung bekommen, nun wollen wir etwas zurückgeben. Dafür ist der Saisonauftakt im gewohnten Umfeld eine super Sache – da freuen wir uns drauf. Wir sind alle schon lange Hertha-Fans, aus diesem Grund ist es für uns etwas ganz Besonderes mit der blau-weißen Fahne auf der Brust zu spielen. Das ist eine Sache, die wir uns niemals hätten vorstellen können!

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Wir sind alle schon lange Hertha-Fans, aus diesem Grund ist es für uns etwas ganz Besonderes mit der blau-weißen Fahne auf der Brust zu spielen. Das ist eine Sache, die wir uns niemals hätten vorstellen können!
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-Patrick Küppers

herthabsc.com: Neben normalen Spieltagen, an denen sich alle Mannschaften an einem fest vereinbarten Spielort treffen, müsst ihr am 1. sowie am 4. Spieltag gleich zwei Mal an einem Wochenende antreten. Erhöht das den Druck vor den Partien?
Küppers: Aufgrund der Belastung und Intensität ist es herausfordernd für uns. Wenn wir durch personelle Engpässe beim zweiten Spiel nicht viel wechseln können, gehen wir schon auf dem Zahnfleisch. Die Doppelbelastung am Wochenende ist schon im Hinblick auf die Konzentration, die wir leisten müssen, extrem anstrengend. Umso mehr Spieler wir werden, desto besser können wir die Spielanteile auf mehrere Schultern verteilen. Aktuell sind wir noch etwas dünn besetzt, bekommen aber nach und nach Verstärkungen.

herthabsc.com: Du hast die besonderen Herausforderungen eures Sports bereits erwähnt. Kannst du beschreiben, was einen guten Blindenfußballer auszeichnet?
Küppers: Das Wichtigste in unserem Sport ist der Teamgeist und die Solidarität. Schauen wir auf unser Team: Wir haben Spieler in den Altersklassen von 14 bis 40 Jahren, manche gehen noch zur Schule, einige sind Vollzeitkräfte und wir sind alle bunt verteilt in Berlin. Die verschiedenen Charaktere unter einen Hut zu bekommen und sich jedes Mal gemeinsam zu motivieren, stellt schon eine gewisse Aufgabe für uns dar. Wir sind beispielsweise nicht alle Studierende aus einem Semester, die sich bestens kennen. Darüber hinaus sind wir wie bereits erwähnt nur zu viert auf dem Feld, wenn da einer mal nicht ganz bei der Sache ist, muss der andere die Meter mitmachen, ansonsten fangen wir uns sofort ein Tor. Jeder kennt die engen Fußballkäfige in Berlin, in diesen Maßen ist unser Spielfeld aufgebaut, das verlangt neben Konzentration, Kondition und Schnelligkeit auch ein fußballerisches und taktisches Verständnis. Wie befreie ich mich aus einer engen Situation und dann zu reagieren, wo die Lücke ist und schnellstmöglich den Torschuss zu suchen, sei es mit der Pike oder aus dem Fußgelenk – da müssen wir schon alle ein bisschen Schlawiner sein. Das ist absolut notwendig und da hoffe ich, dass wir alle diese Denk- und Handlungsweise mit dem besonderen berlinerischen Fußballer-Gen mitbringen (schmunzelt).

herthabsc.com: Während des Spiels sind Anfeuerungen tabu, damit ihr währenddessen den Ball und Anweisungen genau hören könnt. Ein Guide pro Team hilft mit Hinweisen und Kommandos dabei, die Angriffe zu strukturieren und das gegnerische Tor genau zu lokalisieren. Wie wichtig ist diese Rolle?
Küppers: Der Guide muss immer da sein, die Situationen antizipieren und wissen, was als nächstes passieren kann. Denn umso früher wir die Signale von draußen bekommen, desto besser können wir uns auf dem Platz orientieren. Durch die Laute der Feldspieler, des Torhüters und des Hintertor-Guides spannt sich für uns eine Art akustisches Feld auf. Dadurch kennen wir die Grenzen und Linien des Rasens in akustischer Form und die müssen immer präsent sein, ansonsten laufen wir ständig gegen die Bande. Wenn das klappt, können wir uns – ohne etwas zu sehen – austoben und wissen genau, wo das Tor steht. Dafür spielt der von den Guides angegebene und beschriebene Raum eine große Rolle für uns. Deshalb sind diese Personen für uns unersetzbar.

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Hertha unterstützt uns fantastisch. Durch unseren Verein haben wir unfassbar tolle Möglichkeiten. Darüber hinaus konnten wir durch das blau-weiße Netzwerk super Sponsoren für uns gewinnen.
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-Patrick Küppers

herthabsc.com: Hertha BSC steht für Vielfalt und ist deshalb stolz, dass ihr unseren Verein in der Blindenfußball-Bundesliga repräsentiert. Wie wichtig ist die Unterstützung der 'Alten Dame' für euch und den Sport insgesamt?
Küppers: Die professionelle Struktur und Unterstützung von Hertha BSC ist für uns eine absolute Grundvoraussetzung. Das ist definitiv nicht selbstverständlich. Deshalb wissen wir es absolut zu schätzen, solch einen starken Verein an unserer Seite zu haben. In den zurückliegenden Jahren mussten wir uns um all die Dinge wie Trainingsplatz, Ausrüstung und Auswärtsfahrten selbst kümmern. Das alles waren organisatorische Herausforderungen für uns. Man darf nicht vergessen, dass wir zur Schule gehen oder berufstätig sind, wir sind keine Profis, sondern Amateure. Hertha unterstützt uns fantastisch. Durch unseren Verein haben wir unfassbar tolle Möglichkeiten. Darüber hinaus konnten wir durch das blau-weiße Netzwerk super Sponsoren für uns gewinnen. Das sind Schritte, die uns optimistisch auf die kommenden Jahre blicken und darauf hoffen lassen, dass wir den Blindenfußball immer mehr in Berlin etablieren können. Es ist ein toller Rehabilitationssport, ich habe erst sehr spät stark meine Sehkraft verloren und für mich war der Blindenfußball ein enormer Segen. Ich habe viel Vertrauen in meine Bewegungen und mein Gehör gewonnen, als ich dazu gezwungen war, herumzulaufen, ohne etwas sehen zu können. Das ist eine fantastische Erfahrung und bringt mir enorm viel – und wenn wir das an die Leute, die Probleme mit dem Sehen haben, vermitteln können, machen wir etwas Schönes für die Inklusion in der Gesellschaft. Wenn ich höre, dass es doof sei, dass ich erblindet bin, sage ich demjenigen, ja, aber ich darf Blindenfußball für Hertha BSC spielen und dafür bin ich ungeheuer dankbar.

herthabsc.com: Unsere Partner hast du schon angesprochen: An welchen Stellen helfen euch Vanda Pharmaceuticals und Orcam besonders und was haltet ihr von den Verbesserungen, wie z.B. fester Trainingsplatz, Trainerteam, Trikot?
Küppers: Wir sind sehr stolz, zwei Top-Partner an unserer Seite zu haben. Das unterstreicht das Interesse an sowie die Relevanz für unseren Sport und ist eine großartige Bestätigung für uns. Wir Spieler merken, dass hier gemeinsam etwas entsteht. Ich persönlich finde es schön, dass wir zwei Partner haben, die inhaltlich sehr nah an der Sache dran sind: Orcam stellt fantastische Technik und Software zur Text- und Raumerkennung her, Vanda Pharmaceuticals bietet unfassbar tolle Medikamente für Menschen mit Sehbehinderungen an – so haben wir zu beiden Unternehmen eine gewisse Verbindung und die Partner sind interessiert an unsere Blindenfußball-Mannschaft. Das ist eine ganz tolle Geschichte!

Wer live beim Auftakt der Blindenfußball-Bundesliga dabei sein möchte, ist herzlich am Nordufer eingeladen. Insgesamt 100 Personen sind zugelassen, der Eintritt ist frei. Vor Ort müssen alle Fans ihre Kontaktdaten hinterlassen, zudem greift die 3G-Regel. Das Mitbringen von alkoholfreien Getränken (keine Glasflaschen!) ist erlaubt. Eine WC-Anlage für alle Besucherinnen und Besucher steht zur Verfügung.

Der Spielplan unserer Blindenfußball-Mannschaft

SPIELTAG

TAG

DATUM

BEGINN

BEGEGUNG

SPIELSTÄTTE

ERGEBNIS

1. Spieltag in Berlin

Samstag

21.08.21

16:00 Uhr

SF BG Blista Marburg - Hertha BSC

Nordufer 28a,

13351 Berlin

 

 

 

Sonntag

22.08.21

15:00 Uhr

Hertha BSC - Borussia Dortmund

Nordufer 28a,

13351 Berlin

 

2. Spieltag in Trier

Samstag

04.09.21

09:00 Uhr

MTV Stuttgart - Hertha BSC

Viehmarktplatz, 54290 Trier

 

3. Spieltag in Stuttgart

Samstag

18.09.21

11:00 Uhr

Hertha BSC - FC Schalke 04

Am Kräherwald 190a, 70193 Stuttgart

 

4. Spieltag in Hamburg

Samstag

16.10.21

15:00 Uhr

BSV 1958 Wien - Hertha BSC

Borgweg 17a,

22303 Hamburg

 

 

Sonntag

17.10.21

12:00 Uhr

Hertha BSC - FC St. Pauli

Borgweg 17a,

22303 Hamburg

 

5. Spieltag in Bonn

 

Samstag

30.10.21

11:30 Uhr

Hertha BSC - SG Fortuna 95 Düsseldorf / 1. FC Düren

Münsterplatz,

53111 Bonn

 

von Simon Jötten