Niklas Stark und Santiago Ascacíbar gehen konsterniert vom Platz.
Profis | 22. August 2021, 09:22 Uhr

Gänsehaut und schmerzhafte Stiche

Es gab sie, die blau-weißen Gänsehautmomente beim Heimauftakt in die Spielzeit 2021/22. Als um 15:15 Uhr der Anpfiff immer näher rückte und der Schlachtruf „Ha, Ho, He – Hertha BSC“ erstmals seit langer Zeit mit echter akustischer Wucht durch das Olympiastadion hallte. Als Prince Boateng bei seinem Heimcomeback im blau-weißen Trikot angeschlagen vom Feld musste, seine Mitspieler anschließend aber mit vollem Einsatz lautstark von außen unterstützte. Als Dodi Lukébakio erst in der gegnerischen Hälfte ausrutschte und die Kugel nach einem langen Sprint unter donnerndem Applaus tief in der eigenen Hälfte zurückeroberte – und als der Belgier nach einer Stunde per Strafstoß zur Führung traf. Doch obwohl die Arena in Westend nach 60 Minuten unter dem Jubel der 18.241 anwesenden Herthanerinnen und Herthaner erzitterte und unser Team am Drücker schien, nahm am Ende der Kontrahent aus Niedersachsen die drei Punkte mit in die Autostadt. „Das ist ganz bitter und darf uns so nicht passieren. Wir haben insgesamt gar nicht so viel zugelassen, aber die Chancen, die da waren, hat Wolfsburg gut genutzt“, konstatierte ein enttäuschter Niklas Stark.

Umkämpfte erste Hälfte – Prince-Comeback endet vorzeitig

Nicht viel zu ließen beide Mannschaften über weite Strecken der ersten Hälfte. Nach ersten Chancen auf beiden Seiten durch Davie Selke (4.) sowie die VfL-Profis Maxence Lacroix (6.) und Wout Weghorst (17.) blieben klare Abschlüsse weitestgehend rar. „Wolfsburg hatte mehr Ballbesitz, aber das Spiel war zäh. Es gab viel Mittelfeldpressing und kaum große Torchancen, weil beide Mannschaften gut gegen den Ball geschoben haben“, analysierte Pál Dárdai. „Alle bei uns haben gearbeitet und waren im Kampfmodus.“ Ein Rückschlag kurz vor der Pause war die verletzungsbedingte Auswechslung von Boateng, der seinen Wiedereinstand als Herthaner am alten Arbeitsplatz vorzeitig abbrechen musste. „Prince‘ Rücken war zu, er konnte nicht mehr weiterspielen und hat das ehrlich gesagt“, erläuterte Dárdai. Für unseren Rückkehrer kam Neuzugang Stevan Jovetić, der ebenso wie Suat Serdar seinen Einstand im Olympiastadion gab und nach dem Seitenwechsel eine wichtige Rolle spielen sollte.

Dodi Lukébakio bejubelt die Führung.
Gruß nach oben: Dodi Lukébakio bejubelt den Führungstreffer.

Mehr Mut, spielerisch verbessert: Jovetić initiiert Drangphase, Lukébakio trifft

Denn nachdem die Grün-Weißen die erste Möglichkeit in Durchgang zwei durch Weghorst verzeichneten (46.), initiierte Jovetić eine Berliner Drangphase. Seinen wuchtigen Schuss nach 49 Minuten meisterte Koen Casteels im Kasten der 'Wölfe' zwar – in der Folge schnürte unsere 'Alte Dame' den Gegner aber ein. „In der zweiten Hälfte haben wir fußballerisch zugelegt und uns spielerisch besser befreien können“, beschrieb Vizekapitän Stark diese gute Phase. So erzwangen unsere Spreeathener die Führung durch Lukébakio, den Brooks im Strafraum foulte – beim fälligen 'Elfer' blieb unsere Nummer 11 cool. „Wir sind gut aus der Kabine gekommen und verdient in Führung gegangen. Wir waren mutiger und haben viel investiert. In dieser Druckphase hat der letzte Pass gefehlt, um das zweite Tor zu erzielen“, unterstrich Dárdai. Unser Coach brachte mit Marco Richter den nächsten Heimdebütanten, um die Offensive zusätzlich zu stärken (67.). Doch auch Gästecoach Mark van Bommel wechselte mit Josip Brekalo und Lukas Nmecha frisches Personal ein, um eine Antwort auf die Hertha-Führung zu finden.

'Wölfe'-Joker stechen schmerzhaft

Und diese Antwort kam, auch wenn sie sich in dieser Phase nicht unbedingt angekündigt hatte. Nmecha leitete einen schnellen Gegenangriff ein, an dessen Ende Ridle Baku der Ausgleich gelang (74.). „Wolfsburg hat offensiv gewechselt und nochmal Spieler mit hoher individueller Klasse gebracht. Leider haben wir uns immer weiter hinten reindrücken lassen“, ärgerte sich Richter. „Unser Ziel war ganz klar, das 2:0 nachzulegen, um das Spiel mit drei Punkten zu beenden. Das ist sehr bitter, ich hätte mir meine Heimpremiere natürlich anders vorgestellt“, bekannte unser Neuzugang. Denn dieses 1:1 hinterließ Spuren. „Mit einem Konter aus dem Nichts haben wir unsere Linie verloren, zuvor haben wir es nicht geschafft, im richtigen Moment nachzulegen“, brachte Dárdai das Dilemma auf den Punkt.

[>]
Unser Ziel war ganz klar, das 2:0 nachzulegen, um das Spiel mit drei Punkten zu beenden. Wir haben eine gute kämpferische Leistung gezeigt, das ist sehr bitter.
[<]

-Marco Richter

Unsere Jungs mühten sich um eine schnelle Antwort. Versuche von Lukébakio (76.), Ascacíbar (79.) und Richter (83.) bleiben jedoch ohne Erfolg. Stattdessen stach erneut ein Gäste-Joker. Brekalo legte im Strafraum für Nmecha ab, dem zwei Minuten vor Schluss der regulären Spielzeit der Siegtreffer gelang (88.). „Wir haben eine gute kämpferische Leistung gezeigt, gehen in Führung und geben die Partie dann wieder aus der Hand“, ärgerte sich unsere neue Nummer 23. Trotz fünf Minuten Nachspielzeit gelang es unserer Elf nicht mehr, noch einmal eine Antwort zu finden. „Es ist schmerzhaft, nicht einen Punkt mitzunehmen, aber wir haben eine Mannschaft gesehen, in der jeder gekämpft hat“, erklärte unser Coach. Sein Vizekapitän stieß ins gleiche Horn. „Der Kampfgeist in unserer Truppe ist da. Wir müssen jetzt schnellstmöglich in die Saison finden und die guten Ansätze über ein gesamtes Spiel bestätigen. Ich habe aber volles Vertrauen in die Mannschaft“, betonte 'Nik' Stark.

"Keine Kaffeefahrt" zum FC Bayern

Dieses gegenseitige Vertrauen und der Zusammenhalt werden bei der kommenden Aufgabe besonders gefragt sein. Beim FC Bayern wartet am kommenden Samstag (28.08.21, 18:30 Uhr) der höchste zu erklimmende Berg des deutschen Fußballs auf unsere Jungs. „Bayern München ist kein leichter Gegner, aber wir wollen hinfahren und den FCB ärgern. Wir reisen dort in keinem Fall nur hin, um eine Kaffeefahrt zu machen“, betonte Richter. Coach Dárdai weiß ebenfalls um den Anspruch der Aufgabe, sieht ihr aber nicht nur aufgrund der sportlichen Vergangenheit zuversichtlich entgegen. „Seit ich Trainer bin, haben wir dort immer gute Spiele geliefert“, erklärte der Fußballlehrer. „Wir werden stabil sein und fahren jetzt nach München, ohne dass uns jemand etwas zutraut – umso besser. Top oder Flop!“ Der Ungar und seine Schützlinge werden hart arbeiten, um gut vorbereitet ins Duell mit dem Rekordmeister zu gehen und diesmal auch nach dem Schlusspfiff für einen Gänsehautmoment bei allen Blau-Weißen zu sorgen.

von Konstantin Keller