Hertha-Fans im alten Olympiastadion.
Historie | 8. Oktober 2021, 14:04 Uhr

Ha-Ho-He, Hertha BSC! – blau-weiße Liebe vor mehr als 50 Jahren.

Für die 58. Ausgabe unserer Reihe #HerthaMuseum haben wir in unseren alten Vereinszeitungen nach journalistischen Perlen gesucht. Ein Blick ins Vereinsarchiv ist immer lohnenswert: Bei unserem Ausflug in die Vergangenheit sind wir auf die dritte Ausgabe unserer Club-Nachrichten aus dem Jahr 1970 gestoßen. Das blau-weiße Magazin erschien damals viermal jährlich. Ganz besonders ins Auge gestoßen ist nun, mehr als fünf Jahrzehnte später, ein Artikel von Hermann Wegner. Selbstverständlich auch damals im Mittelpunkt: die Zuneigung zu unserer ’Alten Dame‘. Unsere Blau-Weißen spielten zu dieser Zeit in der geteilten Stadt. Nach der Rückkehr in die Bundesliga strömten Ende der 1960er dennoch weit über 700.000 Zuschauerinnen und Zuschauer ins Stadion – ligaweit der größte Zuspruch. Ein Auszug:

Ha-Ho-He - Hertha BSC!

„Wer Wanze (Lothar Groß) und Atze (Hans-Joachim Altendorff) verwechselt darf noch auf Nachsicht hoffen. Wer hingegen, wenn jemand liebevoll Fiffi (Trainer Helmut Kronsbein) sagt, nach einem Pudel oder Mops ausschaut, der ist verloren. Er zählt nicht zum großen Kreis der Eingeweihten, stöhnt nicht mit. Jubelt nicht, schwenkt weder Fahne noch Glocke. Nicht einmal zu jenen gehört er, die vor dem Fernsehschirm oder am Radio bangend hoffen.

Diese bedauernswerten Leute ahnen nicht einmal, dass wir, falls Schalke in Bremen verliert und München in Duisburg nur ein Unentschieden erreicht, um zwei Plätze vorrücken, denn dass wir gewinnen, davon sind wir überzeugt.

Wir, das sind zunächst 11 Fußballspieler, ein Trainer und etliche Ersatzmänner, die auch gern mitspielen würden. Wir, das ist Hertha BSC, eine Zauberformel, die Konfessionsgrenzen, Parteischranken und Weltanschauungszäune niederreißt und uns alle vereint in dem Rufe Ha-Ho-He, und wer zu vornehm ist, um zu rufen, der denkt es wenigstens.

Plötzlich nimmt der sonst wehleidige Geschäftsmann die Schulterverletzung des Lorenz Horr wichtiger als die eigene Bandscheibe. Wann Zoltan Vargas Sperre endlich aufgehoben wird (aufgrund seiner „Republikflucht“ aus Ungarn, war der Spieler zum Zeitpunkt seines Wechsels von Standard Lüttich zu Hertha BSC zur Saison 1969/1970 bis zum Oktober 1970 von der FIFA gesperrt), ist dem allzu flotten Autolenker wichtiger als der Termin für die Rückgabe des eigenen Führerscheins. […]

Fiffi Kronsbeins Kommentare vor dem Spiel sind uns wichtiger als Regierungserklärungen. Da nun der weise (Sepp) Herberger-Schüler ein gefälliger Moderator ist, bleibt die Ausbeute stets mager. „Wir sind gut vorbereitet. Der Gegner darf nicht unterschätzt werden. Er will wenigstens einen Punkt mitnehmen. Selbstverständlich wollen wir gewinnen, aber der Ball ist rund." Stimmt, denken wir, Recht hat er. Prüfen noch, ob in der Abendzeitung das gleiche inhaltsschwere Zitat steht und sind zufrieden. […]

Mit Fiffi Kronsbein jedoch kehrten wir zurück in die Bundesliga, aus der wir nicht in fairem Kampf auf dem grünen Rasen, sondern durch Juristenkniffe einst entfernt worden sind. Nun ist die Zeit der Diskriminierungen überstanden und, wenn nicht alles täuscht, auch das Zittern um den Abstieg. Tollkühne unter uns träumen schon von der Salatschüssel, der höchsten Trophäe, die es im deutschen Fußball zu erkämpfen gilt. […]

Noch führen wir nicht nach Punkten, aber die Gewalt unserer Sprechchöre, die Macht unseres Triumphgesanges und der Aufschrei der Enttäuschung sind schon heute in deutschen Stadien ohne Beispiel.

Wir sind gefürchtet als verschworene Gemeinschaft. Doch klein an Zahl, wie das bei entschlossenen Gruppen sonst die Regel ist, sind wir nicht. […] Da Fußball auch ein Geschäft ist, fürchten sie um ihre Stars, hadern mit ihrem Trainer und bangen um die Treue der Gefolgschaft. […]

So bestätigen wir jene Berliner Eigenart, die seit langem vom Bayerischen Wald bis nach Schleswig so hochgeschätzt wird und uns den Ruf der Bescheidenheit einbrachte. Jubel begrüßt dann jeden Spieler, der für Hertha aufgeboten ist. Anfeuerungsschreie, Sprechchöre ohne Pause treiben unsere Spieler immer wieder vor des Gegners Tor. Liegt dann der Ball im Netz, so erschreckt unser Triumphgeschrei je nach Windrichtung die Rehe im Grunewald oder die Kleingärtner im Spreetal.

Ihr Leidenschaftslosen und Abgeklärten, die Ihr weder unseren Enthusiasmus noch seinen Ursprung begreifen könnt, spart Euren Hochmut, beweist Toleranz. Wann haben wir in Berlin aus bedeutenderem Grund schon einmal Anlass rundweg froh zu sein? […]“

Die Zeiten haben sich seitdem in vielfältiger Weise geändert, doch eines verbindet damalige, jetzige und ganz sicher auch zukünftige Generationen unserer blau-weißen Anhängerschaft: Das „Ha-Ho-He – Hertha BSC!“ - unser seit 94 Jahren bestehender und ewig junger Schlachtruf.

von Frank Schurmann