Marco Richter setzt sich im Spiel gegen Augsburg im Zweikampf durch.
Profis | 28. November 2021, 10:19 Uhr

Déjà-vu

Niklas Stark vergrub das Gesicht im eigenen Trikot, Oliver Christensen tröstete Dennis Jastrzembski, Stevan Jovetić und Davie Selke standen mit den Händen in den Hüften und versteinerten Mienen auf der Tartanbahn des Olympiastadions. Unsere Herthaner müssen sich nach dem Schlusspfiff des Heimspiels gegen Augsburg ein wenig wie in einem bekannten Film mit Bill Murray gefühlt haben. Wieder zeigte unsere Elf ein mehr als ordentliches Heimspiel, wieder verpassten die Blau-Weißen dabei allerdings das erlösende 2:0 – und wieder verhinderte der Kontrahent in der Nachspielzeit eine Niederlage gegen unsere Spreeathener. „Erst wenn der Schiedsrichter abpfeift, ist das Spiel vorbei. Wir müssen bis zum Abpfiff verteidigen“, konstatierte Pál Dárdai, der mit seinem Team ein unerfreuliches Déjà-vu erlebte. „Es ist bestimmt der sechste Punkt, den wir in den letzten Minuten herschenken.“

Marco Richter und seine Kollegen bejubeln das 1:0 gegen Augsburg.
Freude, kein überschwänglicher Jubel. Marco Richter feierte sein Tor gegen den Ex-Club mit Stil.

Gentleman Richter nutzt das Augsburger Präsent

Geschenke waren an diesem kalten Novembernachmittag das Stichwort. Die gab es auf dem neu verlegten Rasen in einer ausgeglichenen ersten Hälfte zunächst nämlich nicht. Unsere Hauptstädter erspielten sich zwei gute Chancen durch Ishak Belfodil (7., 21.), bei den besten Gästemöglichkeiten war Alexander Schwolow gegen Iago (28.) und Rubén Vargas (33.) auf dem Posten. „In der ersten Halbzeit hatten wir in unseren Ballbesitzphasen zwei sehr gute Torchancen. Da haben wir eine gute Partie abgeliefert. Der Gegner hat uns mit den Umschaltmomenten trotzdem Probleme bereitet. Unser Führungstreffer war dann ein Geschenk, Marco Richter hat da gut spekuliert“, bilanzierte unser Trainer. Ein Präsent des FCA nutzte dann nämlich ausgerechnet der Ex-Augsburger kurz vor dem Pausenpfiff von Schiedsrichter Frank Willenborg zur Führung. Unsere Nummer 23 stibitzte Robert Gumny im Gästestrafraum die Kugel vom Fuß und lenkte das Spielgerät in die Maschen. Den Jubel gegen den Ex-Club verkniff sich Gentleman Richter, der Anhang der ‘Alten Dame‘ freute sich dafür umso lauter. „Nach zehn Jahren dort gegen Augsburg zu spielen, war ein etwas komisches Gefühl, aber durch meinen guten Abgang dort und die Tatsache, dass ich hier glücklich bin, war es auch ein schönes Erlebnis. Dass ich treffen konnte, ist eine geile Sache“, schilderte unser Torschütze seine Emotionen.

Zwei zweite Tore aberkannt

Gelegenheiten zum Berliner Torjubel gab es auch nach dem Seitenwechsel – doch dem erlösenden 2:0 standen entweder erneut Gästekeeper Rafał Gikiewicz oder blau-weiße Abseitspositionen im Weg. Der Augsburger Schlussmann entschärfte nach einer guten Stunde einen Versuch von Suat Serdar, die vermeintlichen Treffer von Comebacker Jordan Torunarigha (74.) und Joker Jovetić (79.) fanden keine Anerkennung. In dieser Phase kamen auch die bayerischen Schwaben zu ihrer besten Abschlusschance, Schlussmann Schwolow parierte zwei Mal gegen André Hahn und Iago, den Abstauber schoss Andi Zeqiri über unser Tor (78.). Es sah anschließend so aus, als könnten unsere Spreeathener den knappen Erfolg ins Ziel retten – bis zum maximal unerfreulichen Murmeltier-Moment in der siebten Minute der Nachspielzeit. „Wir müssen das zweite Tor machen, dann kommt die Diskussion am Ende auch nicht zustande“, ordnete Coach Dárdai das unglückliche Finale ein.

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Erst wenn der Schiedsrichter abpfeift, ist das Spiel vorbei. Wir müssen das zweite Tor machen, dann kommt die Diskussion am Ende auch nicht zustande.
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-Pál Dárdai

Schmerzhafter Ausgleich nach Hektik an der Eckfahne

Denn die Gäste rannten in einer hektischen Schlussphase ein letztes Mal an und kamen mit der finalen Aktion noch zum Ausgleich durch Michael Gregoritsch. Vorausgegangen war ein Disput an der Augsburger Eckfahne. „Ich weiß nicht, was der Schiedsrichter da gesehen hat. Mein Gegenspieler hat mir bewusst in den Genitalbereich geschossen, das wurde ignoriert. Anschließend haben die Augsburger den Freistoß 20 Meter vor der Eckfahne ausgeführt und am Ende ist der Ball bei uns reingeflogen“, schilderte Davie Selke seine Sicht auf das Geschehen. Unsere Nummer 7 machte keinen Hehl daraus, wie weh der erneute späte Punktverlust unseren Jungs tat. „Wir waren mit der Entscheidung nicht einverstanden und wollten diese Partie unbedingt gewinnen. Mein Gefühlszustand ist beschissen.“ Teamkollege Jastrzembski ging es ähnlich. „Ich bin verärgert und sauer. Wir hätten uns den Sieg verdient und haben dann wieder aus dem Nichts so ein dummes Gegentor kassiert. Das ist ärgerlich, da wir ein gutes Spiel gemacht haben“, resümierte ‘DJ‘.

Geschenkrückgabe und der Blick nach vorn

Ihr Chef sah das Geschehen mit ein paar Minuten Abstand pragmatischer. „Am Ende haben wir das Geschenk zurückgegeben, da müssen wir besser aufpassen“, bezog sich Dárdai auf unseren Führungstreffer und wollte den Fehler nicht beim Unparteiischen suchen, der nach den Diskussionen rund um den späten Ausgleich Co-Trainer ‘Zecke‘ Neuendorf noch die Rote Karte zeigte. „Wir dürfen in der Situation vor dem 1:1 nicht so lange diskutieren, das hat uns aus dem Konzept gebracht - das sind Kleinigkeiten, die entscheidend sind", sagte der Ungar, der auch nicht zu viele Worte über die verlängerte Nachspielzeit verlieren wollte. „Ich rede dem Schiedsrichter da nicht rein, er hat da die Verantwortung.“ So blieb es am Ende bei einer erneuten Punkteteilung im ‘Wohnzimmer‘, die sich für alle Herthanerinnen und Herthaner nicht nach genug anfühlte. „Die ganze Mannschaft ist sehr bedient. Es hilft aber nichts, jetzt müssen wir die Partie analysieren und aufarbeiten“, richtete Marco Richter den Blick gezwungenermaßen nach vorne. „Die positiven Dinge, unsere Einstellung auf dem Platz, die gute Arbeit unter der Woche – das müssen wir nun nach Stuttgart mitnehmen", unterstrich unser Offensivspieler. Dort erwartet unsere Elf am kommenden Sonntag (05.12.21, hier gibt es Karten) mit dem gastgebenden VfB erneut ein Tabellennachbar. Das Ziel im ‘Ländle‘ dürfte klar sein: Wieder couragiert auftreten, wieder treffen und den Erfolg diesmal über die Ziellinie retten – um ein erneutes unschönes Déjà-vu zu vermeiden.

Hier gibt es unseren Nachbericht in Leichter Sprache.

von Konstantin Keller