Pellegrino Matarazzo und Orel Mangala besprechen sich an der Seitenlinie.
Profis | 4. Dezember 2021, 09:59 Uhr

Kiek ma, wo dit hinjeht: Stuttgart

Wenn neben Topscorern eines Teams noch weitere Offensivkräfte länger ausfallen, verteilt sich die Verantwortung des Toreschießens auf mehrere Schultern. Diesen Spagat musste der VfB Stuttgart im bisherigen Saisonverlauf meistern. Wegen diverser Verletzungen war Coach Pellegrino Matarazzo immer wieder gezwungen, personell umzuplanen. Hat dieser Umstand vielleicht sogar etwas Gutes? Zumindest waren die Stuttgarter förmlich zum mannschaftlichen Ausgleich der Abwesenden gezwungen. Zwölf unterschiedliche Torschützen verzeichnet der Traditionsverein, nur die TSG Hoffenheim weist mit 13 einen höheren Wert auf. „Wir haben einen gesunden Konkurrenzkampf. Das tut der Mannschaft und jedem einzelnen Spieler gut“, bilanziert Matarazzo auch mit Blick auf die nächste Partie. „Ich bin sehr optimistisch, dass wir am Sonntag dieselbe Energie und Leistung wie beim 2:1 gegen Mainz wieder abrufen können.“ Vor dem Kräftemessen nimmt herthabsc.com den Kontrahenten genau unter die Lupe.

Die sportliche Situation: Der Aufsteiger von 2020 verabschiedete sich im DFB-Pokal in der 2. Hauptrunde und liegt in der Bundesliga nach 13 Spieltagen auf Rang 15. Damit ist der dreifache DFB-Pokalsieger aktueller Tabellennachbar unserer Hauptstädter. Würden die Schwaben nur zu Hause antreten, würden sie vermutlich deutlich besser dastehen: Zehn der insgesamt 13 Zähler sammelten die Stuttgarter vor heimischem Publikum und schossen dort auch 14 ihrer 18 Saisontore. Nach dem 2:1 gegen die ‘Nullfünfer‘ am vergangenen Spieltag möchte die Matarazzo-Elf im eigenen Wohnzimmer nun unbedingt nachlegen, um sich Luft im Tabellenkeller zu verschaffen. „Das Spiel gegen Hertha ist wichtig und wird durch den Trainerwechsel nicht einfacher. Wir müssen genauso intensiv weitermachen, dann ist alles möglich!“, unterstreicht Orel Mangala, der gegen die Mainzer beide Tore vorbereitet hat.

[>]
Das Spiel gegen Hertha ist wichtig und wird durch den Trainerwechsel nicht einfacher. Wir müssen genauso intensiv weitermachen, dann ist alles möglich!
[<]

-Orel Mangala

Die Stuttgarter im Fokus: Dass mit Konstantinos Mavropanos und Marc Oliver Kempf zwei Innenverteidiger die besten Torschützen von Matarazzos Team sind, mag auf den ersten Blick verwundern. Die eigentlichen Defensivspezialisten mussten auch deshalb in die Bresche springen, da die Abteilung Attacke durch das beschriebene Verletzungspech dezimiert war. Talent Mohamed Sankoh verletzte sich bei seinem ersten Saisoneinsatz gleich so schwer, dass er die restliche Spielzeit verpassen wird. Der beste Torschütze der Vorsaison, Saša Kalajdžić, kann nach einer Schulteroperation planmäßig erst Mitte Dezember wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Immerhin: Silas Katompa Mvumpa, zweitbester Scorer der Spielzeit 2020/21, feierte gegen Mainz sein Comeback nach einem Kreuzbandriss. „Ich habe mich sehr gefreut, wieder mit meinen Mannschaftskollegen auf dem Platz zu stehen. Es war eine schwierige Phase für mich. Meine Familie und die Mannschaft haben mich aber immer wieder unterstützt“, betont Katompa Mvumpa.

Santiago Ascacíbar und Maximiian Mittelstädt erobern im vergangenen Spiel in Stuttgartgemeinsam den Ball.
Gemeinsam Hertha: Ascacíbar & Mittelstädt erobern beim vergangenen Gastspiel in Stuttgart den Ball.

Die Schnittstellen: ‘Grenzgänger‘ zwischen VfB und BSC gibt es einige. Fredi Bobic prägte die Schwaben als Spieler (1994 bis 1999) wie als sportlicher Leiter und Sport-Vorstand (2010 bis 2014) über Jahre. Auch für unseren neuen Trainer stellt das Debüt auf der Berliner Bank eine Rückkehr dar. Tayfun Korkut coachte die Profis der Weiß-Roten 2018 rund zehn Monate lang. Mangala arbeitete damals mit ihm zusammen. „Ich freue mich auf das Wiedersehen. Wir haben gemeinsam eine sehr gute Rückrunde gespielt und dabei schöne Erlebnisse gehabt. Geschenke wird es von uns aber nicht geben“, schmunzelt der VfB-Profi. Bereits damals assistierte unserem Cheftrainer ‘Co‘ Ilija Aračić, der zuvor Anfang 2012 die U19 der Württemberger von Korkut übernahm. Weitere Mitglieder unseres Trainer- und Funktionsteams werden ebenfalls wenig Probleme haben, sich im Stuttgarter Stadion zurecht zu finden. Andreas Menger arbeitete zwischen 2011 und 2015 über vier Jahre als Torwarttrainer beim fünfmaligen Deutschen Meister, Vedad Ibišević und Hendrik Herzog schnürten als Profis ihre Schuhe für den Traditionsclub. Aber auch im aktuellen Kader gibt es in Santiago Ascacíbar einen Rückkehrer, Stuttgart war die erste Station unseres Argentiniers in Deutschland. Mit unserem Direktor Kadermanagement Dirk Dufner (zwischen 1997 und 2000 Assistent der Geschäftsführung) und dem Leiter Sport unserer Fußball-Akademie, Pablo Thiam (drei Jahre als Profi zwischen 1998 und 2001), haben zudem zwei weitere Berliner Mitarbeiter eine berufliche Vorgeschichte im Süden.

Die besonderen Duelle: In der jüngeren Vergangenheit war für unseren Hauptstadtclub in der Schwabenmetropole wenig zu holen. Eines der vergangenen sieben Duelle gewannen unsere Spreeathener, vier Mal jubelte die Heimelf, die unserem Team 2012 beim 5:0 die vierthöchste Bundesliga-Niederlage der Clubgeschichte beibrachte. Dass Dienstreisen an den Neckar nicht immer so laufen müssen, zeigt der Blick ins blau-weiße Geschichtsbuch. 1969 lagen unsere Männer früh 0:1 zurück, drehten den Pausenrückstand mit vier Toren in zwölf Minuten aber noch in einen 4:1-Auswärtserfolg – bis heute unser höchster Sieg im ‘Ländle‘.

Die Meinung über unsere Elf: VfB-Trainer Matarazzo verlangt angesichts unserer neu ausgerichteten ‘Alten Dame‘ von seinem Team Flexibilität. „Nach einem Trainerwechsel ist es oft schwierig einzuschätzen, wie der Gegner auftreten wird. Vielleicht versucht Hertha, uns mit höherem Angriffspressing zu überraschen, oder Tayfun Korkut legt großen Wert auf die Kompaktheit und das Konterspiel, wie er das in seiner Zeit in Stuttgart getan hat", zählt der Coach mögliche Szenarien auf und verdeutlicht die eigene Vorbereitung. „Wir bewerten die Wahrscheinlichkeiten, wie der Gegner auftreten könnte, legen uns aber nie auf eine Spielweise fest. So sind wir auf alles vorbereitet“, so der 44-Jährige.

von Konstantin Keller