Andrij Voronin im Portrait.
Profis | 31. Mai 2022, 13:08 Uhr

"Klassenerhalt hat bei mir große Freude ausgelöst"

Die Bilder dürften noch viele Herthanerinnen und Herthaner im Kopf haben: Mit seinem blonden Pferdeschwanz und ausgestreckten Zeigefingern lief Andrij Voronin jubelnd vor die Ostkurve und zelebrierte seine Tore – und das nicht gerade selten. Mit elf Treffern in 27 Partien hatte der Angreifer großen Anteil daran, dass unsere Alte Dame 2009 auf dem vierten Tabellenplatz landete. „Ich hatte ein super Jahr in Berlin, wir hatten sehr großen Spaß. Die ganze Stadt hat sich für uns gefreut – das haben wir als Spieler auf dem Platz gemerkt“, erinnert sich der 42-Jährige zurück. Mittlerweile hat der Ukrainer schon längst seine Fußballschuhe an den Nagel gehängt und ist an die Seitenlinie gewechselt. Zuletzt arbeitete der Ukrainer bei Dynamo Moskau, beendete die Zusammenarbeit aber aufgrund der Invasion Russlands in seinem Heimatland. Über diese Ausnahmesituation, seine Anfänge als Coach und seine blau-weißen Wünsche für die neue Saison hat herthabsc.com mit unserer ehemaligen Nummer 11 gesprochen. 

herthabsc.com: Andrij, 2009 hast du dich mit unseren Herthanern für den Europapokal qualifiziert, in der abgelaufenen Saison hat unser Club in der Relegation den Klassenerhalt gemeistert. Wie groß war deine Erleichterung?
Voronin: Ich hatte ein super Jahr in Berlin, wir hatten sehr großen Spaß. Die ganze Stadt hat sich für uns gefreut – das haben wir als Spieler auf dem Platz gemerkt. Zur vergangenen Saison: Immer, wenn ich mir Zusammenfassungen von der Bundesliga, die Ergebnisse und die Tabelle angeschaut habe, ging mein Blick direkt auf Hertha BSC. Ich war überrascht, dass der Verein so tief im Abstiegskampf gesteckt hat. Dass die Mannschaft in der Relegation trotz der Hinspielniederlage doch noch den Klassenerhalt geschafft hat, hat bei mir große Freude ausgelöst.

herthabsc.com: In der Relegation ging es um alles. Vor allem im Rückspiel haben unsere Blau-Weißen eindrucksvoll bewiesen, dass sie dem Druck standgehalten haben – daran hatte auch Prince Boateng seinen Anteil. Wie wichtig war der Routinier aus deiner Sicht für das gesamte Team?
Voronin: Prince ist einer der erfahrensten Spieler des Teams. Er hat international in vielen Ligen gespielt und in mehreren Ländern seine Klasse bewiesen. Ich kenne Prince, er ist ein guter Typ und ein echter Kämpfer. Gerade in solchen Partien ist es sehr wichtig, dass die Führungsspieler vorangehen – und das hat Prince in der Relegation gezeigt.

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Ich kenne Prince, er ist ein guter Typ und ein echter Kämpfer. Gerade in solchen Partien ist es sehr wichtig, dass die Führungsspieler vorangehen – und das hat Prince in der Relegation gezeigt.
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-Andrij Voronin

herthabsc.com: Schauen wir auf dich. Nach deiner aktiven Karriere hast du die Trainerlaufbahn eingeschlagen und zuletzt bei Dynamo Moskau als Co-Trainer gearbeitet. Wie waren die anderthalb Jahre für dich an der Seitenlinie?
Voronin: Als Spieler habe ich mich auf dem Platz wohler gefühlt (lacht). Das ist schwierig mit dem Trainerjob zu vergleichen. Ich habe versucht, meine Erfahrungen als Spieler und aus der Zusammenarbeit mit vielen guten Trainern an die Jungs weiterzugeben. Bei Dynamo hatten wir ein gutes Trainerteam, jeder hat seinen Teil dazu beigetragen. Sie haben mir geholfen, ich habe meinen Input gegeben. Wir haben gemeinsam gut gearbeitet und waren erfolgreich. Und umso mehr Spiele man gewinnt, desto mehr Spaß bringt die Arbeit (schmunzelt). Ich kenne Sandro Schwarz schon sehr lange, wir haben bereits in Mainz zusammengespielt. Als ich erfahren habe, dass er nach Moskau kommt, habe ich mich gefreut. Bis dahin wusste ich aber noch nicht viel über ihn als Trainer, nur als Menschen. Als ich dann erlebt habe, wie er als Coach arbeitet, habe ich mich gewundert: Er beschäftigt sich 24 Stunden am Tag nur mit Fußball. Sowas habe ich bisher nicht gesehen. Sandro möchte immer das Beste aus seiner Mannschaft rausholen. Wir waren sehr erfolgreich und haben viele Spiele gewonnen, doch er wollte immer weiter und immer mehr. Sandro möchte jeden einzelnen Spieler verbessern, wir haben viele Einzelgespräche mit den Jungs geführt. Er ist ein sehr ehrgeiziger Typ und möchte in jedem Training von allen Spielern sehen, dass sie 100 Prozent geben. Ich habe einen sehr guten Eindruck von Sandro als Trainer.

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Ich habe wegen dem Krieg meinen Vertrag aufgelöst und bin aus Moskau geflohen. Ich konnte nicht mehr in dem Land arbeiten, das mein Land bombardiert und attackiert.
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-Andrij Voronin

herthabsc.com: Auch wenn uns der Übergang sehr schwerfällt: Nach der Invasion Russlands in die Ukraine hast du deinen Job gekündigt und bist zurück nach Deutschland geflohen. Mit welchen Gefühlen verfolgst du die Situation in der Ukraine?
Voronin: Das ist ein sehr schwieriges Thema für mich. Ich habe wegen dem Krieg meinen Vertrag aufgelöst und bin aus Moskau geflohen. Ich konnte nicht mehr in dem Land arbeiten, das meine Heimat bombardiert und attackiert. Die Situation ist nicht besser geworden, nach wie vor herrscht Krieg und es sterben viele Leute, vor allem friedliche Personen, Frauen und Kinder. Mir fällt es schwer, darüber zu sprechen.

herthabsc.com: Dein Trainerkollege Sandro Schwarz hat sich trotz des Krieges dazu entschieden, weiterhin in Moskau zu arbeiten. Hast du Verständnis für seinen Entschluss?
Voronin: Ich habe mit Sandro über die Situation gesprochen, ich kann ihn voll und ganz verstehen. Er stand die ganze Zeit hinter mir und hat mir sehr viel geholfen. Bei Dynamo hatten wir auch einen ukrainischen Spieler. Sandro war für diesen Jungen genauso wie für mich die ganze Zeit da und hat uns unterstützt. Als Mensch und als Trainer hat Sandro alles richtig gemacht. Er hat gezeigt, dass es für ihn nicht nur um das Sportliche oder ums Geld ging, sondern darum, die Menschen vor Ort nicht im Stich zu lassen. Das zeichnet ihn aus.

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Ich wünsche dem Club, dass er in der Tabelle dorthin zurückkehrt, wo er hingehört. Ich hätte mir eine Bundesliga ohne Hertha BSC, ohne das Olympiastadion und ohne diese geilen Fans gar nicht vorstellen können.
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-Andrij Voronin

herthabsc.com: Blicken wir zum Abschluss auf unsere Spreeathener. Was wünscht du unserer Mannschaft und dem kompletten Verein für die kommende Saison?
Voronin: Ich wünsche dem Club, dass er in der Tabelle dorthin zurückkehrt, wo er hingehört. Ich hätte mir eine Bundesliga ohne Hertha BSC, ohne das Olympiastadion und ohne diese geilen Fans gar nicht vorstellen können. Die Mannschaft hat schon oft bewiesen, dass sie guten Fußball spielen kann. Ich hoffe, dass sie das in der neuen Saison wieder öfter zeigen werden, und wünsche dem Club, dass er in der Tabelle einige Plätze nach oben klettert.

von Simon Jötten