Jean-Paul Boëtius steht vor der Ostkurve und fasst sich auf die Brust.
Profis | 4. November 2022, 16:45 Uhr

„Ich bin ruhig geblieben!“

Jean-Paul Boëtius ist allseits bekannt für sein Lachen und seine Lebensfreude. Ende September erreichte unseren Mittelfeldspieler allerdings eine Hiobsbotschaft: die Diagnose Hodenkrebs. Wenige Wochen nach Marco Richter ereilte den 28-Jährigen damit als zweiten Herthaner dieses Schicksal. Doch Djanga bewahrte sich auch in diesem schwierigen Augenblick seine positive Energie. „Ich habe zahlreiche Nachrichten bekommen und viel Unterstützung vom Verein erfahren – das hat sehr gutgetan. Deswegen bin ich in dieser Zeit auch ruhig geblieben“, erklärt unsere Nummer 10, die nach nur wenigen Wochen auf den Platz zurückgekehrt ist. Neben einem Blick in den Rückspiegel widmet sich der Niederländer im Gespräch mit herthabsc.com auch dem kommenden Heimduell mit dem FC Bayern München (05.11.22, 15:30 Uhr) und der Herangehensweise gegen den Rekordmeister. „Wenn wir als Mannschaft den Kampfgeist auf den Rasen bringen, ist es für jeden Gegner schwer, uns zu schlagen. Genau diesen Glauben müssen wir mit ins Spiel nehmen und alles raushauen“, unterstreicht der Rechtsfuß, der im ersten Interview nach überstandener Hodenkrebs-Erkrankung über Heilungsverlauf, Emotionen und Vorfreude auf das Kräftemessen mit dem FCB spricht.

herthabsc.com: Djanga, hinter dir liegen bewegende, emotionale Wochen und Monate. Nimm uns mal mit: Wie hast du die Zeit erlebt? Welche Gedanken sind dir durch den Kopf gegangen?
Boëtius: Als ich das erste Mal etwas am Hoden gespürt habe, bin ich direkt in den Austausch mit unseren Ärzten und Marco Richter gegangen. Glücklicherweise hat nichts wehgetan, ich habe aber etwas gemerkt. Als ich dann von der endgültigen Diagnose gehört habe, war ich nicht schockiert, aber vorsichtig. Marco hat mir erklärt, wie es bei ihm verlaufen ist – das hat mir natürlich Mut gemacht. Beim Wort Krebs denken alle, der Mensch sei richtig krank und müsse vielleicht sterben. Ich habe zahlreiche Nachrichten bekommen und viel Unterstützung vom Verein erfahren – das hat sehr gutgetan. Auch Sébastien Haller hat mir geschrieben, allgemein haben sich aus jeder Ecke Leute gemeldet. Darüber habe ich mich riesig gefreut! Deswegen bin ich in dieser Zeit ruhig geblieben. Zwei Wochen nach der OP habe ich dann wieder mit dem Aufbautraining begonnen (lächelt).

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Als ich nach dem Spiel vor der Ostkurve stand, habe ich bei den Menschen das Strahlen in den Augen gesehen – das tat richtig gut!
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-Jean-Paul Boëtius

herthabsc.com: Du hast Marco angesprochen. Welche konkrete Rolle hat er in dieser Zeit für dich gespielt?
Boëtius: Als der Trainer die Mannschaft über die Diagnose informiert hat, war ich nicht vor Ort. Ich habe aber gehört, dass alle sehr niedergeschlagen waren. Marco hat mir direkt „Ich liebe dich“ geschrieben (lacht). Marco ist ein überragender Typ, er ist einfach mein Junge. Wir lachen viel zusammen. Auch in der Phase der Krankheit haben wir viel gelacht, das war sehr hilfreich im Umgang mit der Diagnose. Deshalb haben wir beide diese Geschichte relativ schnell abhaken können und nach vorne geschaut!

herthabsc.com: Über diesen Verlauf sind wir alle sehr froh. Du kamst anschließend schnell zurück, hast „nur“ drei Bundesliga-Spiele verpasst. Hand aufs Herz: Hättest du das für möglich gehalten?
Boëtius: Der Krebs hatte zum Glück nicht gestreut, von daher wussten wir von Anfang an, dass es nach der OP Gott sei Dank „nur“ um die Wundheilung geht. Die dauert im Regelfall circa zwei Wochen. In der Zeit habe ich mich wirklich ausgeruht und maximal einen Spaziergang gemacht. Danach konnte ich wieder richtig loslegen.

herthabsc.com: Dabei hätte das Drehbuch bei deinem Comeback kaum schöner sein können: Ausgerechnet beim Heimsieg gegen Schalke bist du vor eigenem Publikum erstmals wieder eingewechselt worden – ein unbeschreibliches Gefühl?  
Boëtius: Ich bin wirklich sehr dankbar für diese Momente! Ich kann das nicht in Worte fassen. Als ich nach dem Spiel vor der Ostkurve stand, habe ich bei den Menschen das Strahlen in den Augen gesehen – das tat richtig gut. Normalerweise bin ich nicht der Typ, der große Hilfe und Unterstützung von seinen Mitmenschen einfordert. Aber dieser Support von allen Herthanerinnen und Herthanern bedeutet mir sehr viel!

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Wenn wir als Mannschaft den Kampfgeist auf den Rasen bringen, ist es für jeden Gegner schwer, uns zu schlagen.
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-Jean-Paul Boëtius

herthabsc.com: Heimspiel ist das Stichwort: Am Samstag (05.11.22, 15:30 Uhr) gastiert der FC Bayern München im Olympiastadion. Ist das für dich trotz deiner 130 Partien im deutschen Oberhaus immer noch eine besondere Begegnung?
Boëtius: Die Bayern sind eine richtig starke Mannschaft, das haben sie nicht zuletzt in der Gruppenphase der UEFA Champions League mit sechs Siegen aus sechs Spielen unter Beweis gestellt. Das wird eine richtig geile Partie, denn wir können uns mit den besten Spielern der Welt messen. Es gibt nichts Schöneres für uns Fußballer! Hoffentlich können wir gemeinsam mit unseren Fans Punkte hier in Berlin behalten.

herthabsc.com: ‚Boëtius, der Bayern-Schreck‘ wäre jetzt vielleicht etwas zu viel, aber du hast die vergangenen beiden Heimspiele mit deinem ehemaligen Arbeitgeber Mainz gegen den Rekordmeister gewonnen und in acht Duellen auch zwei Mal selbst getroffen. Was macht dir Mut, auch am Samstag Zählbares zu holen?
Boëtius: (lacht) Von den acht Spielen habe ich leider mehr verloren als gewonnen – aber das müssen wir ja nicht weiter hervorheben (schmunzelt). Ich laufe sehr gerne gegen Bayern München auf. Wir sind der Underdog, können also befreit aufspielen und wollen den Leuten genau das Gegenteil beweisen. Bei allem Respekt vor der individuellen Qualität: Beim FCB spielen auch nur Menschen. Wenn wir als Mannschaft den Kampfgeist auf den Rasen bringen, ist es für jeden Gegner schwer, uns zu schlagen. Genau diesen Glauben müssen wir mit aufs Feld nehmen und alles raushauen.

herthabsc.com: Bei diesem Vorhaben könnt ihr auf eure Fans zählen – erstmals in dieser Saison ist das Olympiastadion restlos ausverkauft. Ein zusätzlicher Anreiz für einen besonderen Fußballnachmittag?
Boëtius: Normalerweise sollte es in unserer Herangehensweise keinen Unterschied geben, ob wir vor knapp 50.000 oder 75.000 Menschen spielen – aber natürlich ist die Atmosphäre in einem ausverkauften Stadion etwas ganz Besonderes! Gerade weil es das erste Mal in dieser Saison der Fall ist, freuen wir uns sehr darauf.

von Simon Jötten