Grafik mit Dr. Gabriel Anzer.
Club | 16. Dezember 2022, 16:36 Uhr

Die Alte Dame und die Daten

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT), die Princeton University und Fußball? Auf den ersten Blick liegen die Parallelen zwischen den Elite-Universitäten aus Cambridge bzw. New Jersey und dem Ballspiel nicht unbedingt auf der Hand. In diesem Fall finden wir allerdings eine blau-weiße Schnittmenge im Verein: Dr. Gabriel Anzer. Unserem Head of Data Analytics ist dabei in den vergangenen Monaten eine ganz besondere Ehre zuteilgeworden. Erst zeichnete im Frühjahr eine hochkarätig besetzte Jury seine Forschungsarbeit zur Analyse im Sport bei der jährlichen Sloan Sports Analytics Conference der renommierten Hochschule in Boston aus. „Normalerweise liegt der Fokus auf amerikanischen Sportarten. Der Fußball fand erst zum dritten Mal Berücksichtigung und ein Projekt aus Deutschland hat diese Auszeichnung zum allerersten Mal bekommen!“, freut sich der 32-Jährige. Als Referent und Vertreter von Hertha BSC stellte er die Ergebnisse, an denen auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) beteiligt war, den etwa 3.000 geladenen Gästen vor.

Internationaler Austausch in Princeton

Im November erhielt der Herthaner zwar keinen Preis, dafür debattierte und tauschte er sich mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA bei der 1. Innovation Conference aus. Bei der Veranstaltung, die ein Arbeitskreis um Matthias Borst (Leiter Spielkonzeption und Trainerentwicklung) organisiert hatte und Funktionäre aus dem Fußball, Football und Baseball anwesend waren, vertrat eine blau-weiße Delegation um Geschäftsführer Fredi Bobic und Sebastian Zelichowski (Technischer Direktor Sport) unseren Hauptstadtclub. Die Bildungseinrichtung aus Princeton hatte die Konferenz eng begleitet und wichtige sportwissenschaftliche Einblicke beigesteuert, während Anzer in dem spannenden Teilnehmerfeld zu den Gastrednern zählte. Nach der gelungenen Zusammenkunft sagte er: „Es war unheimlich aufschlussreich, mehr über die datenbasierte Arbeit der Clubs aus anderen Sportarten zu erfahren. Diese Erkenntnisse sind Inspiration und Ansporn zugleich.“

Auch wenn sich der Sport allgemein auf dem Gebiet der Zahlen immer weiter professionalisiert und diese nicht nur in der Leistungsspitze immer entscheidender zur Optimierung beitragen, stehen solche Highlights nicht auf der Tagesordnung. Anzers Tätigkeitsfeld bedarf möglicherweise einer etwas genaueren Erläuterung. „Ich unterstütze basierend auf Daten und Fakten alle sportlichen Bereiche – vom Scouting, über die Trainings-, Spielanalyse und -konzeption bis hin zum Kadermanagement“, erklärt der gebürtige Münchner, der 2021 in Tübingen – konsequenterweise im Bereich der Sportdatenanalyse – promovierte. Kurz darauf schloss er sich unserem Verein an.

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Ich unterstütze basierend auf Daten und Fakten alle sportlichen Bereiche – vom Scouting, über die Trainings-, Spielanalyse und -konzeption bis hin zum Kadermanagement.
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-Dr. Gabriel Anzer

Fußball und Mathe – die perfekte Symbiose

Das Spiel mit den Zahlen ist für den Herrn der Daten also nichts Neues. Ganz im Gegenteil. „Schon in der Schule war Mathe mein Fach und lief immer von allein. Mir war früh klar, dass ich es später studieren werde“, spricht der Head of Data Analytics über eine Gabe, um die ihn wohl viele beneiden. Wenn er nicht Rechenaufgaben löste, ging er als Heranwachsender einer anderen Leidenschaft nach. „Ich habe 20 Jahre im Verein Fußball gespielt. Es ging zwar nie über die Bezirksoberliga hinaus, aber trotzdem stand ich gerne und so oft wie möglich auf dem Platz.“

Da war es beinahe logisch, dass er nach seinem Mathematik-Studium beruflich beide Interessen miteinander verknüpfte. Vor seinem Wechsel an die Spree stand er vier Jahre bei der DFL-Tochter Sportec Solutions als Lead Data Scientist unter Vertrag. „Mein Aufgabenbereich war grob in zwei Bereiche geteilt. Zum einen haben wir allen Erst- und Zweiligisten detaillierte Daten zu Spielereignissen oder zum Lauf- und Positionsverhalten der Spieler zur Verfügung gestellt. Das waren bei all den Teams und Akteuren riesige Datenmengen, aus denen es galt, die wichtigsten Informationen rauszuziehen“, erläutert Anzer und führt weiter aus. „Dazu kam datenbasiertes Storytelling als Service für die Medien und Fans – die sogenannten AWS Bundesliga Matchfacts helfen als Einblendung bei Partien das Spiel noch objektiver betrachten zu können. Dazu zählen die Expected Goals oder komplexere Statistiken zum Passspiel. Für diese konnte ich auf Erkenntnisse meiner Doktorarbeit zurückgreifen.“  

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Schon in der Schule war Mathe mein Fach und lief immer von allein. Mir war früh klar, dass ich es später studieren werde.
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-Dr. Gabriel Anzer

Blau-weißes Zusammenspiel

Diese Erfahrungen und wertvolle neue Kenntnisse bringt Anzer intensiv bei unseren Blau-Weißen ein – und das abteilungsübergreifend zum Beispiel auch im Controlling. „Nicht nur im Sport, auch in anderen Bereichen versuche ich datenbasiert zu unterstützen, Prozesse und Informationsaustausch zu optimieren. Schließlich greift ein Rad ins andere und unterm Strich wollen wir gemeinsam unseren Beitrag leisten, damit Hertha BSC so erfolgreich wie möglich ist.“ Doch am Ende zählt es bekanntlich „auf dem Platz“. Dafür ist der Dialog mit Gabor Ruhr als Leiter Analyse ein sehr enger und stetiger. „Wir greifen in allen Bereichen der Spielanalyse auf Daten zurück“, sagt Ruhr, der seit 2021 bei unserer Alten Dame im Einsatz ist. „Konkret bedeutet das zweierlei: In der Vorbereitung auf Partien erstellen wir mit den angelieferten Werten ein Teamprofil des Gegners, aber auch Einzelspielerprofile. Natürlich stets in Absprache mit dem Trainerteam.“

Damit endet die Analyse für den 34-Jährigen und seine Abteilung allerdings nicht. „Genauso wichtig ist die Nachbereitung am Tag nach dem Spiel, um immer zusätzlich datenbasiert überprüfen zu können, wie sich unsere Profis und unser Team insgesamt entwickeln und wie nah sie an den Vorgaben sind.“ Aktuelle Daten nutzen unsere Spreeathener auch, um in der Halbzeitpause auf das Spielgeschehen und weitere Einflüsse reagieren zu können. Dann hat Daniel Fischer als Assistenztrainer Analyse den direkten Draht zum Gespann um Sandro Schwarz.

Weitere Zusammenarbeit mit MIT und Princeton

Der vertrauensvolle Austausch zwischen Hertha BSC mit dem MIT, Princeton und weiteren Partnern soll derweil auch in Zukunft fortgesetzt werden. Ein Austausch mit Mehrwert, der zeigt: Unser Hauptstadtclub treibt die datenbasierte Transformation nicht nur weiter voran, sondern hat insbesondere in der jüngeren Vergangenheit große Schritte gemacht und einen Weg eingeschlagen, den es weiterzugehen gilt.

von Florian Waldkötter