Marc Kempf ist während des Spiels gegen den Millonarios FC am Ball.
Profis | 13. Januar 2023, 14:00 Uhr

"Unser Coach lebt Emotionalität vor!"

Neben den optimalen Bedingungen an der Golfküste gibt es einen weiteren Vorteil im Trainingslager in Florida – und den vor allem für Sportbegeisterte. Durch die Zeitverschiebung ist es ein Leichtes, abends nach getaner Arbeit jede Menge Live-Sport zu sehen: NFL und NBA, dazu auch College-Partien beinahe rund um die Uhr. Marc Kempf gehört zu den Herthanern, die die NHL und damit Eishockey im Blick behalten. „Ich bin mit diesem Sport aufgewachsen. Mir gefällt die Dynamik, die Koordination – aber auch die Härte“, sagt unser Innenverteidiger, dem der Ausflug zu den Tampa Bay Lightning sichtbar Spaß gemacht hat. Im Interview mit herthabsc.com spricht unsere Nummer 20 außerdem über Bundesliga-Statistiken, Erkenntnisse der vergangenen Monate und die Arbeit im Trainingslager in Amerika.

herthabsc.com: Kempfi, woher kommt dein Faible für Eishockey? Liegt es vielleicht daran, dass deine Spielweise als Innenverteidiger eine gewissen Härte mit sich bringt?
Kempf: Ich bin mit Eishockey aufgewachsen. Ich war als Jugendlicher regelmäßig mit meiner Familie und Freunden bei den Partien des EC Bad Nauheim, der aktuell in der DEL 2 startet. Außerdem spielt mein älterer Bruder Eishockey und Skate-Hockey. Der Ausflug in die NHL zu Tampa Bay Lightning war deshalb einfach cool. In Deutschland versuche ich, so oft wie möglich die Partien und Ergebnisse zu verfolgen. Mir gefällt die Dynamik, die Koordination – aber auch die Härte. Es ist ein Sport, der mir rundherum Spaß macht.

Marc Kempf sitzt am Pool und schaut in die Kamera.

herthabsc.com: Vermutlich weniger spaßig, aber einfach zentral ist die Arbeit an Ausdauer und Fitness. Das Trainingslager in Bradenton ist nun fast zu Ende. Wo steht die Mannschaft vor dem Pflichtspieltauftakt beim VfL Bochum (21.01.23, 15:30 Uhr)?
Kempf: Wir haben hier bei besten Bedingungen voll durchgezogen und hart gearbeitet – bei bester Stimmung sowie mit der notwendigen Seriosität. Auch wenn die Pause dieses Mal etwas länger war, sind wir auf dem nötigen Fitnesslevel. Dafür hat uns Henrik Kuchno schließlich einen besonderen Plan über die Weihnachtstage mitgegeben (schmunzelt). Man spürt: Wir sind wieder drin!

herthabsc.com: Welche Erkenntnisse habt ihr aus den Testspielen und den täglichen Einheiten gezogen?
Kempf: Wir haben in der Hinrunde Automatismen aufgebaut und die Ideen des Trainerteams verinnerlicht. So waren wir jetzt in der Lage, Dinge direkter umzusetzen. Wir sind noch tiefer in die Detailarbeit gegangen – immer mit dem Anspruch, uns weiter zu verbessern. Dabei hilft so eine gemeinsame Zeit zusätzlich. Die ersten drei Testspiele waren in Ordnung, um wieder in den Wettkampfrhythmus zu kommen. Gegen Millonarios (Highlights) haben wir in der ersten Halbzeit streckenweise zu unsauber gespielt, hatten zu viele Ballverluste. Nach der Pause haben wir aber bewiesen, dass wir nicht aufgeben und Rückstände aufholen können. Nach 90 Minuten hatten wir alle Möglichkeiten, zu gewinnen.

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Wir haben in der Hinrunde Automatismen aufgebaut und die Ideen des Trainerteams verinnerlicht. So waren wir jetzt in der Lage, Dinge direkter umzusetzen. Wir sind noch tiefer in die Detailarbeit gegangen – immer mit dem Anspruch, uns weiter zu verbessern.
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-Marc Kempf

herthabsc.com: Sandro Schwarz ließ insgesamt an Schwerpunkten arbeiten: klarer Spielaufbau, Tiefen- und Tempospiel, dazu Flankenverteidigung und Standardsituationen. Wie bewertest du eure Fortschritte?
Kempf: Das stimmt. In der ersten Woche haben wir viele Abläufe in der Offensive trainiert. Wir müssen es in der Liga schaffen, mehr Chancen zu kreieren – und diese konsequent zu nutzen. In der Vorrunde gab es enge Begegnungen, in denen wir häufiger hätten treffen müssen, um sie für uns zu entscheiden. Wichtig ist aber immer: Die Defensive darf nicht unter dem Offensivspiel leiden. Wir müssen die Prinzipien in der Rückwärtsbewegung beibehalten, die Balance muss passen.

herthabsc.com: Vorne also mehr Tore schießen, hinten kompakt bleiben. Schließlich weisen nur sechs Bundesliga-Mannschaften einen besseren Wert auf und haben weniger als 22 Gegentore kassiert. Vor allem im Vergleich zur Vorsaison steht ihr stabiler. Welche Gründe hat das?
Kempf: Der Trainer hat es geschafft, dass sich jeder für die Defensive – im Umkehrschluss natürlich auch für die Offensive – verantwortlich fühlt. Unser erster Blick richtet sich auf die Grundstabilität, dann schauen wir nach vorne. Unser Coach lebt Emotionalität vor und vermittelt eine Geilheit, sich in jeden Ball reinzuwerfen. So hat er eine Flamme entfacht. Wir wollen bis Saisonende als Mannschaft weiter bissig verteidigen. Gelingt das, punkten wir häufiger und sind nicht gezwungen, drei bis vier Treffer pro Begegnung zu schießen, auch wenn wir die nehmen würden (grinst).

Bildergalerie: Schnappschüsse von Marc Kempf im Trainingslager

herthabsc.com: Seit knapp einem Jahr bist du nun Herthaner. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gehörst du aktuell zu den Top 10-Zweikämpfern der Liga und erzielst auch den Bestwert in unserem Team. Wie blickst du persönlich auf die vergangenen Monate zurück?
Kempf: Die Anfangszeit war nicht einfach, vermutlich war das bisher das schwierigste halbe Jahr meiner Karriere. Der Wechsel nach Berlin, dazu der Umzug mit der Familie aus Stuttgart – zunächst in ein Hotel, dann in eine Übergangswohnung und im dritten Schritt dann endlich in unser neues Zuhause. Es waren insgesamt fordernde Monate. Natürlich ist jeder Defensivspieler bei guten Statistiken happy, aber was bringt es, wenn ich neun von zehn Zweikämpfen gewinne und aus dem einen verlorenen ein Tor resultiert und wir verlieren? Die aktuellen Werte freuen mich, aber am Ende ist es nicht mehr als eine schöne Randnotiz.

herthabsc.com: In 15 möglichen Ligaspielen standest du 15 Mal in der Startelf, hast nur 55 Minuten verpasst. Wie sehr hilft dir dieses Vertrauen deines Fußballlehrers?
Kempf: Als junger Spieler war mir das noch ein wenig wichtiger. Aber klar, in Phasen, in denen es nicht so gut läuft, ist es umso wichtiger, dass ein Trainer auf einen baut. Das Verhältnis zu Sandro Schwarz ist gut. Ich brauche nicht jeden Tag ein Gespräch darüber oder eine andere Bestätigung. Ich weiß, dass er auf mich setzt, solange ich Leistung abrufe und Bereitschaft zeige.

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Ich freue mich brutal auf den Bundesliga-Start und habe Bock, Spiele zu gewinnen! Persönlich möchte ich nicht nur das Niveau der Vorrunde halten, sondern mich weiter steigern und noch mehr Verantwortung übernehmen.
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-Marc Kempf

herthabsc.com: Du gehörst auch wegen deiner bald 150 Ligaspielen zu den Säulen im Team. Wie versuchst du, die Mannschaft zu führen und deinen Kollegen zu helfen?
Kempf: Als Innenverteidiger habe ich eine zentrale Position, da steht Führung schon ein wenig in der Stellenbeschreibung (grinst). Anfangs war das schwieriger für mich, weil ich mit meinen eigenen Auftritten nicht zufrieden war. Es ist immer schwierig, anderen irgendetwas zu erzählen, wenn man seine eigene Leistung nicht abruft. Vorangehen ist in der Regel leichter, wenn man selbst gut spielt. Inzwischen habe ich eine gewisse Erfahrung und ein gewisses Alter – es werden immer weniger Spieler, die älter sind als ich. Umso wichtiger ist es, die Jungen an die Hand zu nehmen und zu unterstützen. Auch mit Kommandos und guter Kommunikation auf dem Platz. So wollen wir noch ein paar Prozente herauskitzeln für eine gute Rückründe.

herthabsc.com: Für die du dir persönlich, aber auch mit der Mannschaft welche Ziele steckst?
Kempf: Man hat in dieser Saison gesehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, obwohl noch nicht alles zu 100 Prozent funktioniert. Der Trainer hat eine Aufbruchstimmung entfacht, es geht wieder voran. Ich freue mich brutal auf den Bundesliga-Start und habe Bock, Spiele zu gewinnen! Persönlich möchte ich nicht nur das Niveau der Vorrunde halten, sondern mich weiter steigern und noch mehr Verantwortung übernehmen. Mein Passspiel kann ich verbessern, dazu ist es mein Ziel, noch mehr Zweikämpfe zu gewinnen. Geil wäre auch mein erstes Tor für Hertha, es wird so langsam Zeit. Als Team kann es nur einen Anspruch geben: Wir wollen mehr Punkte sammeln als zuletzt, um möglichst schnell in sichere Gewässer zu fahren.

von Florian Waldkötter