Norbert Nigbur kniet auf dem Rasen.
Historie | 8. Mai 2023, 00:01 Uhr

#HerthaMuseum: Norbert Nigbur wird 75!

Und dann kommt alles ganz anders: Für die Saison 1976/77 planen unsere Blau-Weißen mit Horst Wolter und den vom Berliner Oberligisten Westend 01 verpflichteten Manfred Werner zwischen den Pfosten. Da bei Norbert Nigbur und Konkurrent FC Schalke 04 die Zeichen auf Trennung stehen, bekommt unser Club jedoch die Gelegenheit, den Torhüter an die Spree zu holen. 

Beim offiziellen Fototermin unserer Mannschaft im Juli fehlt der WM-Teilnehmer von 1974, der als erster Akteur für alle Auswahlen im Jugend- und Herrenbereich des DFB zum Einsatz gekommen ist, noch. Erst wenige Tage vor dem Bundesliga-Auftakt unterzeichnet der begehrte Schlussmann in Berlin einen Dreijahresvertrag. Die Ablöse soll bei 590.000 DM liegen. 

Ein Gelsenkirchener in Berlin

Weil die Spielgenehmigung gerade noch rechtzeitig kommt, setzt Georg Kessler im ersten Punktspiel beim Karlsruher SC im August auf den 28-Jährigen. Damit erteilt der Trainer auch internen Überlegungen eine Absage, die Neuerwerbung erst zum Heimauftakt gegen Meister Borussia Mönchengladbach als zusätzlichen „Werbe-Effekt“ debütieren zu lassen. „Der Norbert spielt, basta! Wenn wir das Ding vergeigen, dann bin ich nachher der Dumme", sagt der Übungsleiter, dessen Entscheidung sich auszahlt: Unsere Herthaner siegen 3:0 im Wildparkstadion und der neue Keeper bekommt ein dickes Lob seines Mannschaftskapitäns. „Sein Einkauf hat sich jetzt schon ausgezahlt“, sagt Erich Beer über den gebürtigen Gelsenkirchener, der sich in den kommenden Wochen und Monaten immer besser in Berlin zurechtfindet: „Langsam, aber sicher, lerne ich diese Stadt lieben, so wie sie wohl jeder liebgewinnt, der für einige Zeit hier lebt", bekräftigt er. 

Sportlich landen die Spreeathener, die zur Winterpause als Vierter noch oben mitmischen, zum Saisonende auf dem zehnten Rang. Im DFB-Pokal sorgten Nigbur und Kollegen umso mehr für Furore und ziehen unter anderem nach Erfolgen gegen den MSV Duisburg und den FC Bayern erstmals in der Vereinsgeschichte ins Endspiel ein.

"Superman" im Pokalfinale 

Am 28. Mai kommt es in diesem Wettbewerb zum Aufeinandertreffen mit dem 1. FC Köln, dessen Trainer Hennes Weisweiler zuvor pikanterweise starkes Interesse an einer Verpflichtung Nigburs bekundet. Nach 120 Minuten im Niedersachsenstadion in Hannover trennen sich beide Mannschaften 1:1. Vornehmlich ein Verdienst unseres Torwarts, den die Fachpresse als "Supermann" bezeichnet. Auch zwei Tage später - im erstmals notwendigen Wiederholungsspiel - bringt Nigbur die Geißböcke mit schier unglaublichen Reflexen zur Verzweiflung. Umso bitterer ist es, dass der Berliner erneut einmal hinter sich greifen muss und Hertha BSC nach insgesamt 210 Spielminuten und fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen der Pokal-Triumph verwehrt bleibt. „Das waren wohl die beiden besten Spiele meiner gesamten Karriere“, sagt der Schlussmann rückblickend.

Die Formkurve der Alten Dame zeigt dennoch nach oben: In der Spielzeit 1977/78 befindet sich Nigbur mit unseren Blau-Weißen zeitweilig sogar im Rennen um die deutsche Meisterschaft. Am 28. Spieltag gelingt gegen den Tabellenführer 1. FC Köln allerdings nicht die erhoffte Revanche für den verpassten Pokal-Gewinn. Das 1:1-Remis im überfüllten Olympiastadion dämpft die Titelhoffnungen, die Mannschaft qualifiziert sich schließlich dennoch mit einem zuvor nicht zu erwartenden dritten Tabellenrang für die Teilnahme am UEFA-Pokal-Wettbewerb.  

Dreifach-Belastung mit Hindernissen

Demzufolge tanzt Hertha BSC in der Saison 1978/79 gleich auf drei Hochzeiten. Auf der europäischen Bühne setzen sich unsere Jungs zunächst gegen Trakia Plovdiv, Dinamo Tiflis, Esbjerg fB und Dukla Prag durch. Im Rückspiel des Halbfinales reicht der 2:1-Sieg gegen Roter Stern Belgrad im ausverkauften Olympiastadion trotz eines hoch überlegen geführten Auftritts aufgrund der Auswärtstorregel nicht zum Final-Einzug. Wieder verzweifelte das Hertha-Herz auch an Entscheidungen des Unparteiischen. 

Die Dreifach-Belastung führt aber gleichzeitig dazu, dass der Klassenerhalt in der Bundesliga akut gefährdet ist. Erst am 33. Spieltag sichern die Schützlinge von Kuno Klötzer vor heimischer Kulisse durch ein 2:2 gegen Braunschweig den Ligaverbleib. Zudem erreichen unsere Herthaner zum zweiten Mal innerhalb von drei Spielzeiten das Endspiel des DFB-Pokals. Die Reise führt erneut nach Hannover, wo das Duell mit Fortuna Düsseldorf ansteht. In der Verlängerung haben die Herthaner aufgrund eines späten und sehr unglücklichen Gegentreffers erneut das Nachsehen. 

Diese Partie ist die letzte, die Nigbur mit der Fahne auf der Brust bestreitet. Unserem Verein gelingt es aus finanziellen Gründen nicht, den Torwart zu halten. Wie wertvoll ein Verbleib gewesen wäre, beweist der verpasste Klassenerhalt in der folgenden Saison. Noch 43 Jahre danach sagt Nigburs ehemaliger Teamkollege Uwe Kliemann: "Mit ihm im Tor wären wir damals nicht abgestiegen."

Blau-weißer Leistungsnachweis

In den drei Spielzeiten bei Hertha BSC absolviert Nigbur unter Kessler und Klötzer 101 von möglichen 102 Bundesliga-Partien und bleibt dabei 23 Mal ohne Gegentor.  Das „kicker“-Fachmagazin kürt den Keeper jeweils zum Topspieler der Spreeathener. Mit 21 Einsätzen im DFB-Pokal, zehn UEFA-Pokal-Spielen sowie neun Intertoto-Begegnungen kommt der Publikumsliebling, den die blau-weißen Fans stets mit Sprechchören feiern, auf insgesamt 141 Pflichtspiele für unsere Alte Dame. An der Tatsache, dass unsere Spreeathener in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre einige Male einem Titelgewinn sehr nahekommen, trägt der Weltmeister einen entscheidenden Anteil.

Der passionierte Trabrennsport-Liebhaber, der sein Pferd während der Berliner Zeit von der Trainer-Legende Peter Kwiet in Mariendorf trainieren lässt und über vier Jahrzehnte selbst im Sulky aktiv ist, begleitet unseren Hauptstadtclub nach wie vor eng. Das Aufeinandertreffen seiner beiden ehemaligen Vereine in der Arena auf Schalke begutachtete Vereinsmitglied Nigbur zuletzt als Ehrengast. Auf die aktuelle Situation unserer Berliner angesprochen, sagt der frühere Torhüter: „Egal, in welcher Liga – die Fans müssen die Mannschaft auch weiterhin so großartig unterstützen, denn Hertha BSC wird es immer geben.“

Wir gratulieren Norbert Nigbur herzlich zu seinem ganz besonderen Ehrentag und wünschen ihm für das neue Lebensjahr alles erdenklich Gute und stete Gesundheit.

von Frank Schurmann