Florian Niederlechner schreit umringt von seinen Teamkollegen vor Freude.
Profis | 17. November 2023, 15:00 Uhr

„Ich hoffe, dass ein Knoten geplatzt ist“

Erst war da der beherzte Sprung über alle anderen hinweg im gegnerischen Strafraum, dann folgte der wie entfesselte Lauf in die Ostkurve inklusive eines kleinen Gefühlsausbruchs: Beim Duell mit dem Karlsruher SC erzielte Florian Niederlechner zunächst seinen ersten Saisontreffer und feierte diesen anschließend ausgiebig mit Teamkollegen sowie Anhängerinnen und Anhängern. „Es war ein extrem schönes Spiel – mit den Fans und der unglaublichen Stimmung im Stadion. Ich bin seit vielen Jahren im Profifußball und habe selten etwas Vergleichbares erlebt. Auch aus diesem Grund kamen nach dem Tor einfach sehr viele Emotionen aus mir heraus, ich habe mich unfassbar gefreut und hoffe, dass da ein Knoten geplatzt ist“, erklärt unser Angreifer. Der gebürtige Ebersberger, der im Januar dieses Jahres zu unserer Alten Dame gewechselt war, sagt: „Meine Zeit war bislang nicht zwingend vom Erfolg gekrönt. Aber ich habe mich nicht hängen lassen und immer Vollgas gegeben. Mittlerweile bin ich hier angekommen“, so der 33-Jährige. Mit herthabsc.com sprach unsere Nummer 7 im Interview außerdem über blau-weiße Entwicklungen, anstehende Highlights und seine Freundschaft zu Toni Leistner.

herthabsc.com: Flo, wir fallen einmal direkt mit der Tür ins Haus – weißt du, was am 7. Mai 2021 passiert ist? Und hast du eine Idee, warum wir auf dieses Datum anspielen?
Florian Niederlechner: (überlegt) Was war das für ein Wochentag?

herthabsc.com: Das war ein Freitag…
Niederlechner: Kann es sein, dass ich da mit dem FC Augsburg in Stuttgart gespielt habe?

herthabsc.com: Exakt.
Niederlechner: Kann es auch sein, dass ich da ein Tor geschossen habe?

herthabsc.com: Genau. Und wie?
Niederlechner: Mit dem Kopf?! Das war dann wohl mein letztes Kopfballtor bis vergangenen Samstag – 2021 also (grinst).

herthabsc.com: Völlig richtig. Marco Richter und Marc Kempf waren dabei als Vorlagengeber sowie Gegenspieler involviert. Kannst du dich an die Situation erinnern?
Niederlechner: Ja! Kempfi hat mit einem langen Schritt das Abseits aufgehoben, das weiß ich noch (lacht).

herthabsc.com: Gegen Karlsruhe gelang dir nun endlich wieder ein Erfolgserlebnis per Kopf. Deine offensichtliche Freude darüber hatte aber vermutlich andere Gründe. Verrate uns doch einmal, was in den Momenten nach dem Treffer in dir vorging?
Niederlechner: Es war ein extrem schönes Spiel – mit den Fans und der unglaublichen Stimmung im Stadion. Ich bin seit vielen Jahren im Profifußball und habe selten etwas Vergleichbares erlebt. Auch aus diesem Grund kamen nach dem Tor einfach sehr viele Emotionen aus mir heraus, ich habe mich unfassbar gefreut. Natürlich auch, weil es zuletzt nicht immer ganz einfach war und ich seltener zum Einsatz gekommen bin. Gegen Mainz habe ich dann aber meine Chance erhalten und sie genutzt, seitdem bin ich im Team. Entsprechend gut tat dieser Treffer. Ich hoffe natürlich, dass viele weitere folgen. Sie müssen ja nicht immer mit dem Kopf sein – ich treffe auch ganz gerne mal mit dem Fuß (schmunzelt).

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Wenn wir weiterhin als Mannschaft wachsen, zusammenhalten und noch mehr Gier sowie Siegermentalität auf den Platz bekommen, dann ist viel möglich. Davon bin ich überzeugt.
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-Florian Niederlechner

Florian Niederlechner sitzt auf der Reservebank.
„Ich habe mich nicht hängen lassen“: Florian Niederlechner hat Bank- gegen Stammplatz eingetauscht.

herthabsc.com: Unmittelbar nach der Partie hast du vor den Mikrofonen erzählt, dass dir unsere Alte Dame mehr und mehr ans Herz wächst. Lass doch bitte einmal deine ersten zehn Monate bei unserem Hauptstadtclub Revue passieren – wie sehr fühlst du dich inzwischen angekommen im Verein und in der Stadt?
Niederlechner: Meine Zeit war bislang nicht zwingend vom Erfolg gekrönt. Ich bin gekommen aus Augsburg, wo ich zahlreiche Tore und Vorlagen gemacht habe. Dementsprechend viel hatte ich mir natürlich auch nach meinem Wechsel zu Hertha vorgenommen. Mit dem Abstieg lief es dann aber katastrophal, auch für mich persönlich war es keine gute Rückrunde. In den ersten Begegnungen dieser Saison kam es ebenfalls nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich war jahrelang Stammspieler in der Bundesliga und saß plötzlich selbst eine Spielklasse darunter oft draußen. Aber ich habe mich nicht hängen lassen und immer Vollgas gegeben. Allein die vielen positiven Nachrichten und die Tatsache, dass sich viele Leute und Kollegen nach dem Tor sehr mit mir gefreut haben, zeigt mir, dass ich mittlerweile hier angekommen bin. Es macht mir extrem viel Spaß im Verein. Darüber hinaus fühlen wir uns auch als Familie unheimlich wohl in der Stadt. Deswegen hoffe ich, dass da ein Knoten geplatzt ist und wie bei einer Ketchup-Flasche nun alles rauskommt.

herthabsc.com: Der Anfang ist definitiv gemacht – die vergangenen vier Pflichtspiele gingen nicht verloren, dabei standest du drei Mal in der Startelf. Wie bewertest du die Entwicklung des Teams? Was ist gut, was kann noch besser werden?
Niederlechner: Es war vorherzusehen, dass die ersten Spiele schwierig werden würden. Nichtsdestotrotz haben wir den Saisonstart ziemlich verkackt. Viele Jungs sind erst ganz spät zu uns gekommen. Aber inzwischen ist eine Einheit entstanden. Wir befinden uns auf einem guten Weg, obwohl wir „nur“ auf dem zwölften Tabellenplatz stehen. Aber selbstverständlich benötigen wir Punkte. Wenn wir weiterhin als Mannschaft wachsen, zusammenhalten und noch mehr Gier sowie Siegermentalität auf den Platz bekommen, dann ist viel möglich. Davon bin ich überzeugt.

herthabsc.com: Du hast bereits mit dem 1. FC Heidenheim sowie dem SC Freiburg in der 2. Bundesliga gespielt – zuletzt allerdings sieben Jahre am Stück in der Bundesliga. Wie sehr hat sich das deutsche Unterhaus in dieser Zeit verändert? Was macht diese Spielklasse aus?
Niederlechner: Ich kann mich nur noch so richtig an die Rückrunde 2015/16 mit Freiburg erinnern – wir waren damals die beste Mannschaft der Liga und hatten mit Vincenzo Grifo, Maximilian Philipp oder Nils Petersen herausragende Spieler. So haben wir die meisten Partien dominiert und sind zu zahlreichen Torchancen gekommen. Deswegen lässt sich das nur schwierig mit der jetzigen 2. Liga vergleichen. Es geht viel ausgeglichener zu. Der KSC dient da als bestes Beispiel – die Karlsruher stehen auf dem Relegationsrang, obwohl sie ein richtig gutes Team haben. Das zeigt, dass es in jeder Begegnung einen sehr guten Tag braucht, um zu gewinnen. Auch wegen der Stadien und Fans muss ich sagen, dass es eine sehr geile Liga ist. Da warten noch einige Highlights auf uns.

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Ein Sachse und ein Bayer: Das hätte ich auch nicht unbedingt gedacht – aber es passt echt perfekt. Ich hoffe, dass wir noch eine Weile zusammenspielen.
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-Florian Niederlechner

herthabsc.com: Es geht der Winterpause mit großen Schritten entgegen. Welche Ziele peilt ihr für den Rest des Jahres – sowohl in der Liga als auch im Pokal – noch an?
Niederlechner: Ich möchte in der Liga kein Spiel mehr verlieren und natürlich so viele wie möglich gewinnen. In Hannover kommt direkt ein wichtiges Duell auf uns zu. Auf Kaiserslautern freue ich mich besonders, weil ich dort noch nie gespielt habe. Außerdem wollen wir Elversberg und Osnabrück zu Hause schlagen. Und dazwischen steht noch das Pokalspiel gegen den HSV an: Die Fans träumen und dürfen das auch. Wir wissen, dass wir mit einem weiteren Sieg schon ins Viertelfinale einziehen würden.

herthabsc.com: Hannover hast du bereits angesprochen – in Niedersachen wartet nach der spielfreien Zeit eine knifflige Aufgabe. Worauf kommt es dort an?
Niederlechner: Das ist eine Top-Mannschaft, die vor allem zu Hause zu überzeugen weiß. Zudem macht es 96 gegen den Ball sehr gut. Wir müssen mutig sein und unsere Chancen nutzen, dann können wir jeden Gegner schlagen. Nach diesem Spiel wissen wir noch besser, wo wir stehen.

herthabsc.com: In Andreas Voglsammer triffst du dort auf einen alten Bekannten. Steht ihr noch in Kontakt? Habt ihr euch zum anstehenden Aufeinandertreffen schon ausgetauscht?
Niederlechner: Wir haben uns zuletzt tatsächlich im Sommerurlaub gesehen. Dort waren wir zufällig im selben Hotel und haben auch gemeinsam ein, zwei Bier getrunken. Aber in der Zwischenzeit hatten wir ehrlicherweise keinen weiteren Kontakt.

herthabsc.com: Bier ist zum Abschluss aber ein gutes Stichwort! Obwohl ihr euch mit euren früheren Teams heiße Duelle geliefert habt, scheinst du dich mit Toni Leistner sehr gut zu verstehen. Das habt ihr besonders auch in einem Video für unsere Social Media-Kanäle bewiesen, als es darum ging, Flaschen mit Kronkorken mit verschiedenen Gegenständen zu öffnen. Ein Sachse und ein Bayer in Berlin – warum passt das perfekt?
Niederlechner: (lacht) Zum einen haben wir einen ähnlichen Humor, wir sind ähnliche Typen – noch ein wenig von der alten Schule (schmunzelt). Zum anderen haben wir beide eine Familie mit zwei Kindern und daher auch gemeinsame Interessen. Grundsätzlich haben wir uns von Anfang an richtig gut verstanden. Toni war auch einer von denen, die mir den Treffer gegen den KSC besonders gegönnt haben. Denn er hat immer daran geglaubt, dass ich der Mannschaft helfen kann. Es ist schon eine Freundschaft entstanden. Ein Sachse und ein Bayer! Das hätte ich auch nicht unbedingt gedacht – aber es passt echt perfekt. Ich hoffe, dass wir noch eine Weile zusammenspielen.

von Erik Schmidt