
„Es ist ein Nachhausekommen“
Leon Jensen verließ unseren Hauptstadtclub einst nach der A-Jugend. Anschließend lief der Mittelfeldakteur in der 3. Liga für Werder Bremen II und den FSV Zwickau auf, sammelte zwischendurch als Düdelinger einige Europapokalminuten in Piräus sowie gegen Real Betis und beglückte unsere Freunde vom Karlsruher SC mit einem Tor im Olympiastadion. Im Sommer nun kehrt der inzwischen 27-Jährige zu Hertha BSC zurück, zur Vertragsunterschrift begleitete ihn nahezu die gesamte Familie. „Es ist ein Nachhausekommen“, sagt der blau-weiße Neuzugang im Interview mit Redakteur Erik Schmidt und fügt hinzu: „Ich habe nicht diesen typischen Karriereweg genommen, bin nicht ganz oben gestartet. Stattdessen musste ich mich hocharbeiten und durchbeißen. Das alles hat mich geerdet, ich habe die Dinge viel mehr zu schätzen gelernt.“ Außerdem sprach das Eigengewächs über Ziele, alte Bekannte und soziales Engagement.
Willkommen zurück, Leon! Worauf freust du dich in Berlin und bei unserem Hauptstadtclub am meisten?
Jensen: Danke! Es ist ein Nachhausekommen. Deswegen freue ich mich in Berlin am meisten auf Spontaneität mit meiner Familie und meinen Freunden – beispielsweise frühstücken zu gehen, ohne es langfristig planen zu müssen. Einfach die Möglichkeit zu haben, jederzeit meine engsten Leute sehen zu können. Außerdem freue ich mich, hier wieder auf dem Gelände zu sein. Ich kenne es seit 20 Jahren. Ich freue mich auf die altbekannten Abläufe, auf die Trainingsplätze. Und natürlich freue ich mich darauf, endlich im Hertha-Trikot im Olympiastadion spielen zu dürfen.
Wie kam dein Wechsel zustande? Warum hast du dich für diesen Schritt entschieden?
Jensen: Natürlich war mein aktueller Club mein erster Ansprechpartner. Aber ich habe schon häufiger gesagt, dass Hertha für mich, wenn alles passt, ein ganz besonderes Ziel darstellt. Es bestand aufgrund meiner Vergangenheit von vornherein ein Vertrauensverhältnis zu den Verantwortlichen – ich kannte Benny Weber schon, auch ‚Zecke‘. Deswegen verliefen die Gespräche weniger förmlich, sondern total offen. Sobald das Angebot vorlag, war für mich schnell klar, dass ich das machen will. Da brauchte es dann auch keine fünf weiteren Verhandlungsrunden.

Welche Erinnerungen schießen dir in den Kopf, wenn du an deine vergangenen Zeiten bei unserer Alten Dame denkst?
Jensen: Meine frühsten Erinnerungen reichen bis in die D-Jugend zurück, als ich zum allerersten Mal hier war – an die Trainingseinheiten und Spiele auf den Kunstrasenplätzen. Aber die entscheidendste Erinnerung ist natürlich der Gewinn des DFB-Pokals mit der A-Jugend in der Saison 2014/15. Das war schon ein ganz großes Highlight.
In der Saison 2015/16 hast du als Jungspund auch beim Training unserer Profis reingeschnuppert. Was ist von den Einheiten bei dir hängengeblieben? Wer oder was hat dich besonders beeindruckt?
Jensen: Vor allem ein Futsal-Turnier ist hängengeblieben. Da war ich unter anderem mit Jay Brooks und Marvin Plattenhardt in einem Team. Am Ende haben wir sogar gewonnen, glaube ich (grinst). Mit weiteren Spielern wie beispielsweise Mitchell Weiser und Salomon Kalou herrschte eine hohe Qualität. Das war für einen A-Jugendlichen schon beeindruckend.
In den vergangenen neun Jahren durftest du dann an vier verschiedenen Standorten lernen. Wie haben dich die einzelnen Stationen geprägt?
Jensen: Sehr! Ich habe nicht diesen typischen Karriereweg genommen, bin nicht ganz oben gestartet. Stattdessen musste ich mich hocharbeiten und durchbeißen, wie definitiv auch meine Stationen zeigen. Das alles hat mich einfach geerdet und macht mich umso glücklicher, wenn größere Sachen auf mich zukommen. Ich habe die Dinge dadurch viel mehr zu schätzen gelernt.
Bei F91 Düdelingen hast du unter Dino Toppmöller nicht nur in einem anderen Land, sondern auf europäischer Bühne gespielt. Was konntest du aus der Saison in Luxemburg mitnehmen?
Jensen: Extrem viel! Ich bin dorthin gewechselt, um in der Europa League aufzulaufen. Das waren – mit Partien im San Siro und anderen coolen Stadien – riesige Erlebnisse. Genauso prägend war die Tatsache, in eine Mannschaft gekommen zu sein, in der nicht hauptsächlich Deutsch gesprochen wird. Sich auch in der Hinsicht etwas umstellen zu müssen, war für mich als damals sehr junger Mensch eine richtig wertvolle Erfahrung. Unter dem Strich war es sportlich sicher nicht das tollste Jahr meiner Karriere, dafür aber äußerst wichtig und lehrreich.

Worin unterscheidet sich der damalige Leon von dem heutigen Leon am meisten?
Jensen: (schmunzelt) Ich glaube durch sehr viel Reife, die logischerweise über die Jahre dazugekommen ist. Darüber hinaus konnte ich meine Emotionalität in gute Bahnen lenken – bin ruhiger, rationaler und auch weitsichtiger geworden.
Spätestens in Karlsruhe hast du dich zum gestandenen Profi entwickelt. Wie blickst du auf deine Zeit bei unseren Freunden zurück? Wie emotional dürfte das Wiedersehen in der kommenden Spielzeit ausfallen?
Jensen: Es ging mit dem Kreuzbandriss natürlich katastrophal los – aber alles, was danach kam, war eine tolle und ausschließlich positive Zeit! Ich habe mich dort wirklich wie zu Hause gefühlt – im Verein, in der Mannschaft. Das Wiedersehen wird mit Sicherheit ungewohnt, aber auch schön. Obwohl ich bei solchen Anlässen immer einen Tick nervöser bin, freue ich mich jetzt schon darauf – auf die Leute aus der Kurve, auf die Leute um die Mannschaft herum, auf die Spieler.
Hoffentlich revanchierst du dich dann auch und triffst gegen den KSC genauso wie gegen uns…
Jensen: (lacht) Ja, das Tor war echt wichtig damals für uns…
Neben Torgefahr bringst du auch einiges an Erfahrung mit – wirst zeitnah 28 Jahre alt und hast bereits 74 Einsätze in der 2. Bundesliga absolviert. Was kannst du unserem Team– sowohl auf als auch neben dem Platz – geben?
Jensen: Ich hoffe, dass ich die jungen Spieler – auch durch meine Verbindung zur Stadt und dem Verein – etwas an die Hand nehmen und ihnen das mitgeben kann, was mir damals vielleicht gefehlt hat, um hier direkt Profi zu werden. Darüber hinaus bin ich selbst noch im besten Fußballeralter und sehr ehrgeizig – von daher möchte ich in jeder Trainingseinheit einhundert Prozent geben und vorangehen.
Welche Ziele hast du dir mit unserem Hauptstadtclub auf die Fahne geschrieben?
Jensen: Wenn es darum geht, Ziele laut auszusprechen, bin ich immer etwas abergläubisch. Wir wollen erstmal zusehen, dass wir eine stabile Saison spielen und uns einfach fernab von irgendwelchen Problemen befinden – alles andere kommt von selbst.
Was zählt in dieser anspruchsvollen Liga besonders?
Jensen: Sehr viel Widerstandsfähigkeit als Team und eine gewisse Konstanz – du musst nicht brillieren und 80 Prozent Ballbesitz haben, sondern in jedem Spiel auf ein ähnlich hohes Level kommen. Das geht nicht immer, aber das ist für mich der Schlüssel. Es wird immer wieder schwierige und eklige Aufgaben geben, wo du klar im Kopf bleiben musst.

In Marius Gersbeck hast du bereits einen alten Bekannten im neuen Team. Wie groß ist die Vorfreude darauf, dir künftig vielleicht wieder auf Reisen mit ihm das Zimmer zu teilen und seine Qualitäten als DJ genießen zu können?
Jensen: (grinst) Total groß! Marius und ich sind wirklich gut befreundet. Wir haben auch während der Zeit, als er in Berlin und ich in Karlsruhe war, sehr häufig miteinander geredet. Ich freue mich einfach, wieder mit ihm in einer Kabine zu sein und auch privat etwas machen zu können. Das wird cool!
Wen aus Mannschaft und Verein kennst du darüber hinaus gut?
Jensen: Ich kenne Palkó (Dárdai, Anm. d. Red) noch von damals, auch Dennis (Smarsch, Anm. d. Red.). Linus (Gechter, Anm. d. Red.) ebenfalls. Vielen anderen bin ich außerdem natürlich schon bei den direkten Duellen begegnet. Hinzu kommen noch die ganzen Leute aus der Akademie. Ich habe vorhin beispielsweise erst mit Andreas Thom, meinem ehemaligen Trainer, geredet.
Heiße Zitrone und Schach – ein Instagram-Post verriet kürzlich offenbar einige deiner Leidenschaften. Wie verbringst du deine Freizeit am liebsten?
Jensen: Leidenschaft ist ein großes Wort. Aber ich probiere, mich sozial zu engagieren und der Gesellschaft etwas zurückzugeben. In Karlsruhe mache ich deswegen gerade ein Praktikum im Kinder- und Jugendhaus – inspiriert auch durch viele Jungs, die ich in meiner Kindheit gesehen habe und denen es nicht ganz so gut ging. Ich will später auf jeden Fall in diese Richtung gehen.
Respekt! Das klingt sehr bemerkenswert. Aber mit Schach hast du also gar nichts am Hut?
Jensen: (lächelt) Doch, doch. Ich spiele auch gerne Schach. Es gibt aber tatsächlich nur einen echten Gegner für mich – einen meiner besten Freunde, der auch in Berlin wohnt. Das Schachbrett wird also künftig wieder etwas öfter zum Einsatz kommen.