Jón Dagur Thorsteinsson im Gespräch.
Profis | 16. August 2025, 09:56 Uhr

„Ich will künftig noch mehr Einfluss nehmen“

Nach Stationen in der isländischen Heimat, England, Dänemark und Belgien wagte Jón Dagur Thorsteinsson im August des vergangenen Jahres den Schritt nach Deutschland, um sich unserem Hauptstadtclub anzuschließen. Hinter dem 26-Jährigen liegen so ereignis- wie lehrreiche erste zwölf Monate an der Spree. „Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass ich hierherkomme und direkt alles funktioniert. Ich musste lernen, Geduld aufzubringen“, reflektiert unsere Nummer 24 im Interview mit Redakteur Erik Schmidt. Gleichzeitig betont der Offensivakteur, der bislang 22 Pflichtspiele mit der Fahne auf der Brust absolvierte, aber noch auf seinen Premierentreffer wartet: „Alles in allem bedeutet es mir nach wie vor viel, für Hertha auf dem Platz zu stehen. Ich genieße jeden Moment und will künftig noch mehr Einfluss nehmen!“ Außerdem sprach der Nationalspieler über sprachliche Herausforderungen, die Entwicklung des Frauenfußballs und das Verhältnis zu seinem Vater.

Jón Dagur, in den Räumlichkeiten der Geschäftsstelle lässt sich momentan immer wieder beobachten, dass du fleißig Deutsch lernst. Welche ist denn bislang deine Lieblingsvokabel?
Thorsteinsson: „Genau“, eindeutig (grinst)!

Du hattest dich schon bei der Hoteltour im Trainingslager mit Leon Jensen für dieses Wort begeistert.
Thorsteinsson: Ja, er hat es währenddessen die ganze Zeit gesagt. Aber auch in der Kabine bekomme ich es ständig zu hören (lacht).

Du kannst natürlich schon viel mehr als nur dieses eine Wort. Wie zufrieden bist du mit deinen sprachlichen Fortschritten?
Thorsteinsson: Ich habe zwei Mal in der Woche Unterricht und damit schon vor ein paar Monaten begonnen. Außerdem ist Deutsch natürlich die Sprache, die rund um die Mannschaft gesprochen wird. Auch da lerne ich einiges. Insgesamt würde ich sagen, dass es immer besser wird. Auf jeden Fall verstehe ich schon eine Menge – die fußballspezifischen Begriffe, die der Coach beispielsweise in seinen Ansprachen verwendet, sowieso. Hoffentlich kommt der Rest auch nach und nach. Ich probiere jedenfalls immer öfter, mit den Jungs auf Deutsch zu reden. Für eine normale Konversation benötige ich aber wohl noch etwas Zeit.

Jón Dagur Thorsteinsson bei einem Heimspiel im Olympiastadion mit Ball am Fuß.

Inzwischen bist du seit einem Jahr in Berlin und bei Hertha BSC. Wie blickst du auf die ersten zwölf Monate zurück?
Thorsteinsson: Natürlich war es auf dem Rasen etwas schwierig. Ich habe nicht so häufig gespielt und wenn, dann nicht auf dem Niveau, das ich selbst von mir erwarte. In der vergangenen Saison lief es aber auch für das gesamte Team nicht wie erhofft. Wir wollten in der Tabelle deutlich weiter oben abschneiden. Das gilt es nun besser zu machen. Alles in allem bedeutet es mir nach wie vor viel, für Hertha auf dem Platz zu stehen. Ich genieße jeden Moment und will künftig noch mehr Einfluss nehmen.

Gab es etwas, das dich nach deinem Wechsel besonders überrascht hat?
Thorsteinsson: Es herrscht generell eine etwas andere Kultur, als ich sie bislang gekannt habe. Darüber hinaus gab es für mich eben zum ersten Mal die Herausforderung mit der Sprache. Bei den Clubs, für die ich zuvor gespielt hatte, wurde Englisch gesprochen. An diese Sachen musste ich mich zunächst gewöhnen und gleichzeitig lernen, Geduld dafür aufzubringen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass ich hierherkomme und direkt alles funktioniert. Umso mehr kommt es darauf an, dass ich immer mein Bestes gebe.

Welche konkreten Ziele verfolgst du in der gerade gestarteten Spielzeit – sowohl für dich persönlich als auch mit dem Team?
Thorsteinsson: Ich möchte mehr Minuten als in der vergangenen Saison bekommen und diese noch besser nutzen. Als Mannschaft wollen wir natürlich heimstärker werden. Wir haben zu selten zu Hause gewonnen. Das Olympiastadion sollte ein Ort sein, an den andere Teams nicht gerne kommen. Außerdem ist es unser Ziel aufzusteigen. Zwar liefen die ersten beiden Auftritte nicht wie gewünscht, aber es kommen noch 32 weitere Partien – kein Grund also für Panik. Wir müssen weiter unser Ding durchziehen, um es in den nächsten Wochen besser zu machen.

Beim Duell mit dem Karlsruher SC warst du Teil eines besonderen Moments: Du kamst gemeinsam mit Kennet Eichhorn in die Partie, als dieser zum jüngsten Spieler der 2. Bundesliga aller Zeiten avancierte. Wie nimmst du ihn wahr?
Thorsteinsson: Ich glaube, dass ich noch nie einen Spieler gesehen habe, der in diesem Alter schon so gut ist. Das war bereits in der vergangenen Saison zu erkennen, als er noch nicht spielen durfte. Diese Ruhe am Ball, diese Ruhe unter Druck – ganz egal, ob im Spiel oder im Training: Man könnte meinen, dass er schon über 500 Einsätze absolviert hat. Er ist erst 16 Jahre alt, aber er wirkt schon deutlich reifer und besitzt zudem die richtige Mentalität, um so weit wie möglich zu kommen.

Jón Dagur Thorsteinsson lacht.

Lass uns ein wenig weg vom Thema Fußball gehen. Wie gut bist du abseits des Rasens in unserer Hauptstadt angekommen?
Thorsteinsson: Sehr, sehr gut! Meine Familie und ich mögen die Stadt total gerne. Sie hat alles zu bieten, was wir uns wünschen – für jede Stimmungslage etwas. Wir können beispielsweise entspannt spazieren oder essen gehen. Dafür müssen wir keinen langen Weg zurücklegen. Manchmal fühle ich mich auch wie ein Tourist. Es gibt so viele spannende Plätze, die ich noch nicht kenne. Insgesamt lässt sich Berlin ein bisschen mit London vergleichen. Aber als ich dort gelebt habe, hatte ich noch keine Familie. Umso mehr weiß ich das jetzt zu schätzen.

Was gefällt dir weniger?
Thorsteinsson: Tatsächlich mag ich diese klassischen Touristenattraktionen nicht so wirklich. Aber manchmal, wenn wir Besuch haben, muss ich eben dort hingehen (schmunzelt).

Was hast du schon alles gesehen?
Thorsteinsson: Natürlich das Brandenburger Tor, die Mauer, aber auch das Mahnmal Gleis 17 am Bahnhof Grunewald. Einige Dinge eben.

Welchen Platz hast du ganz besonders für dich entdeckt – abseits der bekannten Sehenswürdigkeiten?
Thorsteinsson: Ich mag es sehr dort, wo ich lebe: im Grunewald. Es ist grün, schön und irgendwie gemütlich – ein toller Ort! Außerdem gibt es einen großartigen Spielplatz für meine Tochter (strahlt).

Was willst du unbedingt noch sehen und erleben?
Thorsteinsson: Ich will auf jeden Fall mein Deutsch verbessern, das ist das Hauptziel! Immerhin kommt meine Kleine bald in den Kindergarten. Dann wird sie es auch lernen und vermutlich schon schnell besser als ich sein (lacht). Generell freue ich mich aber sehr darüber, dass meine Freundin und meine Tochter sich auch so wohlfühlen. Ansonsten habe ich keine großen Pläne abseits des Platzes. Ich will die Zeit einfach bestmöglich genießen. So gesehen gibt es auch keinen großen Unterschied zwischen dem Leben in Berlin und beispielsweise Reykjavík.

Du sprichst deine Heimat gerade an. Was vermisst du am meisten an ihr?
Thorsteinsson: Natürlich meine Familie und meine Freunde. Aber ich bin schon seit mehr als zehn Jahren weg. Daher habe ich mich daran auch irgendwie gewöhnt. Natürlich ist es mit Kind nochmal etwas anderes. Aber die Leute kommen dafür jetzt öfter zu Besuch, um die Kleine zu sehen. Außerdem vermisse ich die Golfplätze – ich spiele wirklich viel, wenn ich in Island bin. Nur das Wetter fehlt mir definitiv nicht (schmunzelt).

Warst du im Sommer dort? Was hast du darüber hinaus gemacht, um deine Akkus aufzuladen?
Thorsteinsson: Ja, ich war für zwei Wochen in Island und hatte eine gute Zeit. Das Wetter war allerdings mal wieder schrecklich – nicht mehr als 15 Grad Celsius. Dafür war ich aber zuvor in Marbella, da war es deutlich besser. Zwischendrin hatte ich auch noch Spiele mit der Nationalmannschaft in Schottland und Nordirland.

Jón Dagur Thorsteinsson liegt nach einem Schuss beim Training schräg in der Luft.

Als ihr hier bei unserer Alten Dame bereits die Vorbereitung aufgenommen hattet, begann die EM der Frauen. Dein Vater, Thorsteinn Halldórsson, war als Cheftrainer der isländischen Auswahl unmittelbar involviert. Wie intensiv hast du die Endrunde verfolgt? Wie zufrieden warst du mit dem Abschneiden deiner Landsfrauen?
Thorsteinsson: Ja, ich war schon wieder zurück in Berlin. Aber ich habe jedes Spiel des isländischen Teams geschaut. Meine Freundin und meine Tochter sind außerdem mit meiner Familie in die Schweiz gereist, um die Begegnungen vor Ort zu verfolgen. Das Ziel war es, die Gruppenphase zu überstehen. Das ist nicht gelungen, weswegen etwas Enttäuschung vorherrschte.

Wie fällt dein allgemeines Fazit zum Turnier aus?
Thorsteinsson: Es war sehr gut! Ich denke, dass der Frauenfußball nochmal ein höheres Level erreicht hat. Das sieht man auch daran, wie viele Menschen das Turnier zum einen insgesamt, zum anderen aber eben auch vor Ort in den Stadien verfolgt haben. Außerdem herrscht in vielen Ligen ein sehr hohes Niveau – beispielsweise in der Bundesliga. Alles in allem nimmt der Frauenfußball eine sehr positive Entwicklung.

Hast du dir hier in Berlin auch schon ein Spiel unserer 1. Frauen angesehen?
Thorsteinsson: Nein, bislang nicht. Aber das muss ich definitiv noch tun!

Zurück zu deinem Vater. Wie eng tauscht du dich mit ihm aus? Wer gibt wem Ratschläge?
Thorsteinsson: Er sagt mir nicht ständig, wie er meine Leistung einschätzt. Aber wenn ich ihn danach frage, verrät er mir natürlich seine Meinung. Wir haben insgesamt ein sehr enges Verhältnis und reden im Prinzip jeden Tag – meist auch über Fußball. Er war erst beim Karlsruhe-Spiel im Stadion und ist im Anschluss noch ein paar Tage geblieben. Es war auch nicht sein erster Besuch dort – er war schon fünf, sechs Mal da. Es gibt einen Direktflug, der nur rund drei Stunden dauert. Das macht es einfach. Auch wenn er nicht vor Ort sein kann, schaut er jedes Spiel von mir – das hat er schon immer getan.

Das nächste große Turnier der Männer steht im nächsten Sommer an. Was würde dir eine erfolgreiche Qualifikation mit Island bedeuten?
Thorsteinsson: Natürlich wollen wir uns unbedingt qualifizieren. Das letzte Mal war die Nationalmannschaft im Jahr 2018 bei einem großen Turnier dabei. Aber wir hatten nicht so viel Glück mit unserer Gruppe. Frankreich, die Ukraine und Aserbaidschan – das wird sehr schwierig. Nichtsdestotrotz gilt es, sich hohe Ziele zu setzen. Wir werden uns der Herausforderung stellen.

Schon Anfang September geht es im Pariser Prinzenpark gegen Frankreich. Wie blickst du auf das Aufeinandertreffen mit Spielern wie Kylian Mbappé?
Thorsteinsson: Natürlich ist das etwas Besonderes. Aber wenn man auf dem Spielfeld steht, denkt man darüber gar nicht so viel nach. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass man die Bedeutung solcher Spiele spätestens nach dem Karriereende so richtig realisiert und dann feststellt: Das war krass!

Und um den Bogen zum Einstieg zu spannen: Verrätst du uns abschließend noch eine isländische Vokabel, die Hertha-Fans unbedingt kennen sollten?
Thorsteinsson: Oh, sehr schwierig. „Blár hvítur“ heißt „blau-weiß“. Aber wenn ich mich mit Fans über Island unterhalte, sprechen sie eigentlich immer von ‚Jolly‘ Sverrisson. Alle kennen ihn. Vermutlich ist „Jolly“ ihr liebstes isländisches Wort (grinst).

von Erik Schmidt