Paul Seguin hält die Arme in die Luft.
Profis | 17. November 2025, 16:00 Uhr

Der Taktgeber

Über zehn Jahre liegt der Tag, an dem Paul Seguin seine Premiere im Profifußball gefeiert hat, inzwischen zurück. An jenem 4. März 2015 hatte der gebürtige Magdeburger mit dem VfL Wolfsburg in Leipzig zum Pokal-Achtelfinale gastiert. Der damals 19-Jährige war kurz vor Schluss für einen gewissen Kevin De Bruyne in die Partie gekommen. Seitdem erfuhr die Laufbahn des Herthaners sowohl Höhen als auch Tiefen, die ihn zu dem werden ließen, der er mittlerweile ist. „In schwierigen Zeiten lernt man am meisten“, erzählt unsere Nummer 30 im Gespräch mit Redakteur Erik Schmidt und fügt hinzu: „Ich hatte durchaus einige davon.“ Nicht zuletzt im vergangenen Sommer.

Familie als Anker

Nachdem sich Seguin nämlich unserem Hauptstadtclub angeschlossen hatte, folgte die bislang längste Leidenszeit seiner Karriere. Aufgrund einer komplizierten Verletzung verpasste der Mittelfeldspieler die ersten neun Pflichtspiele dieser Saison. Während das Team als Ganzes ebenfalls in einer herausfordernden Phase gesteckt hatte, stellte der Neuzugang zwangsläufig noch nicht die erhoffte Unterstützung dar. „Ich war brutal ungeduldig. Meine Tochter und meine Frau mussten mich oft mit weniger guter Laune ertragen. Aber sie waren währenddessen mein Anker, haben mir Halt und Kraft gegeben“, verrät der Familienvater.

Paul Seguin geht in ziviler Kleidung durch das Olympiastadion.

Ohne Anlauf ein Antreiber

Mitte Oktober kehrte Seguin schließlich auf den Rasen zurück – und konnte in der Auswahl von Stefan Leitl endlich so richtig ankommen. „Ich bin abseits des Platzes eher ein zurückhaltender Typ, aber die Jungs haben mich gut aufgenommen. Außerdem wusste ich, was der Trainer von mir erwartet“, betont der Mittelfeldspieler, der sich bei seinen ersten Einsätzen weniger zurückhaltend gezeigt und sogleich eine tragende Rolle übernommen hatte. Der 30-Jährige gab aber nicht nur Kommandos, sondern ging auch mit Leistung voran und tat das, was er am liebsten tut: „Ich habe gerne oft den Ball und mag es einfach, den Takt vorzugeben. Gerade im 4-2-3-1 bekomme ich viele Optionen, um mich anzubieten. In dieser Formation fühle ich mich sehr wohl“, unterstreicht der blau-weiße Organisator, der Toni Kroos sein Vorbild nennt und dessen Vater Wolfgang in den 60er- sowie 70er-Jahren als rustikaler Abräumer zur Legende beim 1. FC Magdeburg avancierte.

Paul Seguin bei einer Trainingsübung.

Seguin junior weiß sich zwar ebenfalls robust in Zweikämpfen zu behaupten, bevorzugt ansonsten aber den gepflegten Spielstil im Zentrum des Geschehens. Immer wieder holt sich der 1,86-Meter-Mann das runde Kunstleder ab, um es strategisch klug zu verteilen: Ein kurzer Pass hier, eine raumgewinnende Seitenverlagerung da. „Ich glaube, dass ich ein ganz gutes Gespür für das Spiel habe“, sagt der Strippenzieher. Daran hatte sich auch nach der mehrmonatigen Abstinenz nichts geändert. Im Gegenteil.

Mit Kopf und Körper

Der Mittelfeldspieler profitiert inzwischen natürlich auch von seiner großen Erfahrung. „Im Vergleich zum 20-jährigen Paul ist heute vor allem der Kopf deutlich weiter“, sagt der Herthaner über sich selbst und schiebt hinterher: „Ich kenne meine Aufgabe und kann mit Drucksituationen viel besser umgehen.“ Gleichzeitig bereitet Fußball dem Routinier noch immer eine ganz besondere Freude. „So eine lange Pause macht dich irgendwie auch juckig. Ich habe aktuell unglaublich viel Spaß, unternehme eine Menge für meinen Körper und komme immer besser in den Rhythmus“, erklärt Seguin. Die Resultate, die der Stratege jüngst mit seinen Mannschaftskameraden eingefahren hat, tragen selbstverständlich zum Hochgefühl bei. „Im Endeffekt handelt es sich um einen Ergebnissport. Ich möchte gewinnen und da ist es mir mittlerweile egal wie“, stellt der frühere deutsche U21-Nationalspieler trotz seiner Begeisterung für sehenswerte Kombinationen unmissverständlich klar.

Paul Seguin mit Ball am Fuß.

„Wir haben einiges vor“

Nach bislang fünf Pflichtspieleinsätzen mit der Fahne auf der Brust stehen vier Zu-Null-Siege einer Niederlage gegenüber. Mit Blick auf den positiven Lauf zementiert unsere Nummer 30 ihre vorherige Aussage noch einmal: „Die Basis ist das Spiel gegen den Ball. Wir akzeptieren es, wenn der Gegner in bestimmten Situationen die Kugel laufen lässt, werden deswegen aber nicht unruhig oder passiv, sondern treten umso kompakter auf. Offensiv verfügen wir über so viel Qualität, dass wir immer ein Tor machen können.“ Daran wollen unsere Jungs nach der Länderspielpause schon im Heimauftritt gegen Eintracht Braunschweig (Fr., 21.11.25, 18:30 Uhr, Tickets hier) anknüpfen. Standardschütze Seguin gibt die Richtung vor: „Wir müssen weiterhin hart arbeiten und dürfen nicht denken, dass jetzt alles von allein läuft. Denn wir haben in dieser Saison einiges vor.“ Sowohl in der 2. Bundesliga als auch im DFB-Pokal, wo einst für unseren Herthaner alles begonnen hatte.

Damals – im besagten Duell mit Leipzig – war der Debütant übrigens auch als Kontrahent auf Diego Demme getroffen. Jener Demme gehört nun bekanntlich zu den Teamkollegen des Rechtsfußes, der bei unserem Hauptstadtclub seine persönliche Geschichte als Taktgeber im Mittelfeld weiterschreiben möchte.

von Erik Schmidt