Unser Frauenteam wird von den Fans bei der Saisoneröffnung gefeiert.
Club | 27. Dezember 2023, 10:17 Uhr

„Ein absoluter Gewinn für den ganzen Verein!“

Es kommt nicht alle Tage vor, dass eine komplett neue Sparte bei Hertha BSC aus dem Boden gestampft wird. Vor allem keine, die aus dem Stand heraus über 200 Mitglieder umfasst. Genau das ist jedoch im vergangenen Sommer geschehen, als unser Hauptstadtclub eine eigene Mädchen- und Frauenabteilung in die blau-weiße Gemeinschaft integriert hat. „Wir sind alle sehr, sehr froh, dass es diese Abteilung gibt. Unseren Mitgliedern gebührt für ihr Engagement großer Dank. Umso glücklicher sind wir, dass inzwischen Mädchen und Frauen unsere Fahne auf dem Trikot tragen – und das erfolgreich. Die Abteilung ist ein absoluter Gewinn für den ganzen Verein!“, sagt Sofian Chahed, Leiter des Projekts Frauenfußball, mit Blick auf das Mitgliedervotum aus dem November 2022. Dieses hat den Grundstein dafür gelegt, dass neun Teams mit Fahne auf dem Trikot die erste Halbserie der Vereinsgeschichte gespielt haben.

Knappe sechs Monate, die Manuel Meister als Coach unserer 1. Frauen positiv bewertet. „Während der Vorbereitung habe ich gemerkt, dass wir als Gruppe großes Potenzial haben. Aber es war nicht davon auszugehen, dass wir nach der ersten Saisonhälfte mit dieser Punktzahl auf dem vierten Platz stehen würden“, erklärt der Berliner, dem es nicht nur um die sportliche Entwicklung geht, sondern auch um ein „positives Lernumfeld“. Im Gespräch mit herthabsc.com sprechen Chahed und Meister über die Herausforderungen der Integration, emotionale Höhepunkte und Ziele für die Zukunft.

herthabsc.com: Sofian, im November 2022 haben unsere Mitglieder auf der Mitgliederversammlung für eine blau-weiße Frauen- und Mädchenabteilung votiert. Seitdem hast du mit deinem Team im Hintergrund viel Arbeit investiert. Nun ist das erste Halbjahr in den Büchern: Wie blickst du auf die zurückliegenden Monate?
Chahed: Wir sind alle sehr, sehr froh, dass es diese Abteilung gibt. Unseren Mitgliedern gebührt für ihr Engagement großer Dank. Umso glücklicher sind wir, dass inzwischen Mädchen und Frauen unsere Fahne auf dem Trikot tragen – und das erfolgreich. Die Abteilung ist ein absoluter Gewinn für den ganzen Verein! Unser Präsidium war auf den Beschluss vorbereitet, dennoch war der Weg dahin herausfordernd, weil die Integration einer komplett neuen Abteilung sehr umfangreich ist. Wir mussten an viele Dinge aus unterschiedlichsten Bereichen denken. Mir ist wichtig hervorzuheben, dass der ganze Verein mit allen Abteilungen mitgearbeitet hat – und das, obwohl Hertha BSC durch die Sanierungs- und Restrukturierungsphase nebenbei noch die zentrale Aufgabe bewältigen musste.

herthabsc.com: Welche Bereiche hast du dabei im Kopf? Welche Schritte seid ihr gegangen?
Chahed: Die Integration fing beim Kooperationsvertrag mit Hertha 03 Zehlendorf und den Spielgenehmigungen an und ging beispielsweise weiter über Trikotbestellungen, Merchandising- und Ticketing-Themen. Bei manchen Sachen konnten wir auf unsere Erfahrungswerte aus dem Junioren- und Männerbereich aufbauen, wiederum andere ließen sich nicht ohne Weiteres auf den Mädchen- und Frauenfußball adaptieren. So mussten wir neue Strukturen und Abläufe schaffen. Aber das war und ist insgesamt ein laufender Prozess. Interessanter als diese Bereiche waren allerdings die juristischen Aspekte: Wie bekommen wir die Spielrechte für die Teams? Wie setzen wir den Kooperationsvertrag sauber um? Tipp unserer Rechtsabteilung: Ein guter Vertrag ist einer, von dem man nach Abschluss nie wieder etwas hört (grinst).

Die Trikots der blau-weißen Frauen vor dem Spiel gegen Karlsruhe.
Die Trikots der blau-weißen Frauen vor dem Spiel gegen Karlsruhe.

herthabsc.com: Denkwürdige Momente, die in die blau-weiße Historie eingehen werden, gab es in den vergangenen Monaten ganz gewiss. Hast du ein persönliches Highlight ausgemacht?
Chahed: Mir schießen immer wieder zwei Momente durch den Kopf. Als ich bei der Saisoneröffnung gegen den Karlsruher SC die Trikots in der Kabine hängen gesehen habe und die Spielerinnen aufs Feld liefen – das war etwas ganz Besonderes! Da habe ich an den ganzen Weg gedacht, den wir bis dahin gemeinsam gegangen sind und wie intensiv dieser war. Dazu kommt der Erfolg gegen den FC Viktoria 1889. Während der 90 Minuten war es extrem schön zu spüren, wie hart die Mädels arbeiten und dafür von den Fans gefeiert werden.

herthabsc.com: Manuel, auch dank dieser Partie liegst du mit deinem Team auf dem vierten Platz der Frauen-Regionalliga Nordost. Das ist eine deutliche Leistungssteigerung im Vergleich zur Vorsaison. Eine Verbesserung, die auch wegen des so niedrigen Altersdurchschnitts so nicht zu erwarten war?
Meister: Während der Vorbereitung habe ich gemerkt, dass wir als Gruppe großes Potenzial haben. Aber es war nicht davon auszugehen, dass wir nach der ersten Saisonhälfte mit dieser Punktzahl auf diesem Platz stehen würden. Insofern hätte ich das vermutlich im Sommer so unterschrieben – auch wenn ich als Trainer im Nachhinein denke, dass der eine oder andere Zähler mehr drin gewesen wäre (grinst). Unterm Strich ist es für mich ebenso entscheidend, dass wir Spielerinnen im Aufgebot haben, die sich entwickeln, mit denen wir etwas aufbauen. Einige von ihnen haben im Vorjahr noch gegen den Abstieg gespielt und sind jetzt einen Schritt weiter. Obwohl das Team so jung ist, freue ich mich über die Konstanz, die es schon an den Tag legt. Das spricht für den richtigen Weg.

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Wenn die Blau-Weißen spüren, dass das Team alles gibt, stehen sie bedingungslos dahinter. Und ich glaube, dass die Mädels es ganz gut schaffen, die Werte des Vereins und damit die Fahne auf der Brust zu repräsentieren.
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-Manuel Meister

Unser Frauenteam bejubelt den Treffer gegen den FCU.
Unser Frauenteam bejubelt den Treffer gegen den FCU.

herthabsc.com: Und welche Erinnerungen haben sich dir als Trainer eingebrannt?
Meister: Das erste Tor gegen Union. Auch wenn wir am Ende verloren haben, habe ich gesehen, dass die Mädels die Leidenschaft aus dem Training ins Spiel übertragen können. Die Leistung gegen Viktoria einige Wochen später war nochmal eine Steigerung. Es gibt aber auch viele Highlights im täglichen Training, wichtige Fortschritte. Und wenn die Mädels sagen, dass sie bei Hertha BSC Spaß am Fußball haben und der Wechsel zu uns der richtige Schritt war, sind wir selbstverständlich glücklich.

herthabsc.com: Wer nach den Partien mit dir spricht, weiß, wie wichtig dir diese klare Weiterentwicklung ist. In welchen Bereichen hat sich dein Team gesteigert, wo ist noch Luft nach oben?
Meister: Für mich ist es das Ziel, dass die Mädels weiter diesen Spaß am Fußball haben und sich so noch besser in einem positiven Lernumfeld entfalten können. Damit schaffen wir die Voraussetzungen, dass sich die Spielerinnen individuell, aber auch als Gruppe entwickeln. Mit Blick auf den Saisonauftakt freue ich mich, dass wir zusammengewachsen sind und uns extrem gesteigert haben. So gelingt es, die individuellen Fähigkeiten zum Wohle des Teams einzusetzen. Konkret fällt mir hier das Spiel mit dem Ball ein. Steigern können wir uns in puncto Kaltschnäuzigkeit im letzten Drittel. Das ist unser Ziel.

herthabsc.com: Die blau-weiße Familie hat von Beginn an gezeigt, wie groß das Interesse am Frauenfußball ist. Insgesamt ist die Fanszene sehr engagiert, hält u.a. mit Podcasts auf dem Laufenden. Bist du überrascht von diesem so starken Zuspruch?
Meister: Ehrlicherweise nicht. Als gebürtiger Berliner weiß ich, mit welcher Leidenschaft Hertha-Fans unterwegs sind. Wenn die Blau-Weißen spüren, dass das Team alles gibt, stehen sie bedingungslos dahinter. Und ich glaube, dass die Mädels es ganz gut schaffen, die Werte des Vereins und damit die Fahne auf der Brust zu repräsentieren. Schließlich sind im Team viele echte Hertha-Fans. Aber insgesamt ist es für alle etwas Besonderes, nach den Partien in die Kurve zu gehen, sich dort abzuklatschen oder sich darüber hinaus im Verein zu engagieren. Insgesamt ist das Potenzial groß, wenn wir zusammen weiterhin so arbeiten.
Chahed: Ich habe es mir erhofft, aber ein bisschen überrascht bin ich schon. Dass es einen Podcast gibt, eine eigene Fangruppierung, die zu jedem Heimspiel geht und auswärts mitfährt, das berührt mich. Ich bin sehr dankbar über jede Unterstützung und es freut mich sehr für die Mädels. Uns ist der Austausch mit den Fans wichtig. In einer eigenen Arbeitsgemeinschaft zum Mädchen- und Frauenfußball besprechen wir alle wesentlichen Themen.

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Als ich bei der Saisoneröffnung gegen den Karlsruher SC die Trikots in der Kabine hängen gesehen habe und die Spielerinnen aufs Feld liefen – das war etwas ganz Besonderes!
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-Sofian Chahed

herthabsc.com: Sofian, neben unserer Regionalliga-Auswahl sind acht weitere Teams – darunter die 2. Frauen und die U17-Junorinnen – im Einsatz. Wie sieht hier die Entwicklung aus?
Chahed: Grundsätzlich stimmt uns die Entwicklung bei allen Teams zuversichtlich, auch wenn wir glauben, dass in den einzelnen Altersstufen noch viel Potenzial liegt. Dabei meinen wir nicht nur die sportlichen Belange, sondern auch die ganze Organisation rund um den Spielbetrieb. Da hilft uns das Feedback der Trainer, Spielerinnen und Eltern enorm weiter. Hier wollen wir uns Schritt für Schritt verbessern. Das machen wir und ich freue mich, dass alle Beteiligten ihr Herzblut auf dem Platz lassen.

herthabsc.com: Im kommenden Sommer stellt der Deutsche Fußball-Bund die B-Juniorinnen-Bundesliga ein. Wie reagiert ihr auf diese Veränderungen?
Chahed: Wir hätten uns gewünscht, dass der Deutsche Fußball-Bund weiterhin auf eine U17-Bundesliga setzen würde. Aber auch so möchten und werden wir den Mädels Perspektiven bieten. Die eine oder andere Spielerin werden wir sicher in die 1. Mannschaft hochziehen. Aktuell loten wir in Absprache mit anderen Vereinen und dem Berliner Fußball-Verband Optionen aus, damit wir den Spielerinnen Wettkampfpraxis auf höchstem Niveau ermöglichen können. Dazu soll es weiterhin den DFB-Pokal geben. Wir denken in alle Richtungen und schauen, was das Beste für die Mädels ist.

herthabsc.com: Sofian, Manuel. Abschließend möchten wir wissen, was in der zweiten Saisonhälfte passieren muss, damit ihr von einer erfolgreichen Spielzeit sprechen würdet – sowohl sportlich als auch mit Blick auf die Infrastruktur?
Chahed: Wir würden uns natürlich freuen, wenn die sportliche Entwicklung so weitergehen würde und alle Teams Fortschritte machen. Das würde bedeuten, dass sich die Spielerinnen weiter verbessern. Außerdem ist es unser Ziel, ihnen hier sportlich und emotional eine langfristige Perspektive im Leistungsfußball zu zeigen. Schön ist auch, dass wir den höchsten Zuschauerschnitt in der Regionalliga aufweisen, den möchten wir halten!
Meister: Da schließe ich mich an. Sportlich müssen wir bestätigen, was wir gezeigt haben, aber gleichzeitig demütig bleiben. Ich erwarte, dass die Gegnerinnen uns anders wahrnehmen werden, das wird nicht weniger herausfordernd. Das hat man gegen Ende der Hinrunde schon gemerkt. Persönlich ist mir total wichtig, dass sich die Spielerinnen nicht nur sportlich, sondern auch im persönlichen Bereich weiterentwickeln. Wir möchten Werte vermitteln – und das in einem weiterhin so positiven Lernumfeld.

von Florian Waldkötter