
„Alte Schule zu vermitteln, ist wichtig“
Es gibt im aktuellen Kader unserer Alten Dame kaum einen Profi, der über einen derart großen Erfahrungsschatz wie Toni Leistner verfügt. 2009 lief unsere Nummer 37 erstmals im Herrenbereich auf, 2011 folgten die Debüts in Liga 3 und der 2. Bundesliga. Knapp 14 Jahre später kann der Verteidiger auf Stationen in England, Belgien und eben Deutschland sowie fast 450 Pflichtspiele zurückblicken. Um die gut vorbereitet angehen zu können, gehört harte Arbeit im Trainingslager dazu – das aktuelle in Kitzbühel ordnet der gebürtige Dresdner dabei in Sachen Intensität in seinen Top drei ein. „Wir haben wenig Freizeit und nutzen jede Einheit, jede Übung, um uns auf den allerbesten Stand zu bringen, damit wir am 1. August Vollgas geben können“, berichtet Leistner im Gespräch mit Redakteur Konstantin Keller. Der 1,90-Meter-Mann kommt dabei auch dank seiner Routine gut durch das eng getaktete Programm. „Ich weiß inzwischen, was ich für meine Topfitness brauche, muss niemandem etwas beweisen – außer in erster Linie mir selbst“, sagt der Rechtsfuß, der im Interview auch über die Arbeit mit Stefan Leitl und Andre Mijatović berichtet und dabei neben der Methodik auch die Pädagogik lobt: „Dem Team auch alte Schule in Sachen Ordnung und Disziplin zu vermitteln, ist aus meiner Sicht gerade für jüngere Spieler ganz wichtig.“ Zudem verrät der Defensivspezialist, welchen Job er wohl ohne den Fußball ergriffen hätte und plaudert über Fallschirmspringen mit der Familie sowie ein besonderes Duell in der kommenden Saison.
Toni, zum Einstieg: Wenn du nicht Profifußballer geworden wärst, welche Laufbahn hättest du dann wohl eingeschlagen?
Leistner: Puh, gute Frage… ich habe eine Ausbildung zum IT-Systemkaufmann gemacht. Da wäre ich aber eher nicht hängengeblieben, vermutlich wäre es irgendwas im kaufmännischen Bereich geworden. Da hätte ich dann spontan geschaut, welche Möglichkeiten sich eröffnen.
Also keine Karriere als Wasserballprofi, wie sie dir Julian Eitschberger bei der Frage der Woche zugetraut hätte…
Leistner: … wenn, dann vermutlich eher Rugby oder American Football in der Defense! Es war aber eigentlich sportlich gesehen immer alles auf den Fußball ausgelegt.
Als Profi liefern die Pflichtspiele vor vielen Menschen und mit etlichen Emotionen eine Menge Adrenalin. In der Sommerpause warst du mit deiner Familie Fallschirmspringen – auch als kleiner Adrenalin-Ersatz in der spielfreien Zeit?
Leistner: Für unsere Kinder auf jeden Fall – am meisten ist mein Puls hochgegangen, als meine mittlere, vierjährige Tochter mit dem Guide als erste gesprungen ist. Im Endeffekt habe ich dann alle vorgeschickt und bin als letzter gesprungen (schmunzelt). Wir wollen unseren Kindern vieles ermöglichen, haben gelesen, dass es ab vier Jahren möglich ist, und wollten das unbedingt ausprobieren, nachdem die Kinder auch Lust darauf hatten. Es hat extrem viel Spaß gemacht, aber mir hat der normale Flug schon fast gereicht. Weitere gechillte Sachen in gesicherter Höhe würde ich schon probieren, aber ungesichert Wände hochklettern oder sowas – das ist nix für mich.
Vom Klettern zum Ackern: Lass uns über eure Arbeit in Kitzbühel sprechen. Man erlebt euch sehr fokussiert bei der Arbeit, gleichzeitig kommt bei Formaten wie der Frage, kleinen Fehden mit dem Kollegen von HerthaTV und Werwolf-Spielen der Spaß nicht zu kurz. Wie nimmst du als ältester Profi die Stimmung im Team wahr?
Leistner: Die ist sehr gut, obwohl wir natürlich von den Einheiten in der Regel gut kaputt sind. Trotzdem versuchen wir, wenn einer von uns mal in ein Loch fällt, uns da gegenseitig wieder rauszuziehen. Mit Aufmunterung, gemeinsamen Spielen und so weiter. Bei der größten Runde Werwolf bisher waren wir 16 Spieler, das macht dann einfach Spaß und man lernt gerade auch die jüngeren Spieler mal von einer anderen Seite kennen. Matte Winkler ist sehr gut, Diego Demme, Fabi Reese kriegt es auch sehr gut hin. Niklas Hildebrandt und Kenny Eichhorn haben auch mal eine ganze Runde überlebt, am Dienstag sind vier Werwölfe durchgekommen, das ist dann schon krass (schmunzelt).
Dass die Atmosphäre gut und produktiv bleibt, ist ein Thema, um das du dich seit deiner Ankunft bei uns im Sommer 2023 von Anfang an gekümmert hast. Linus Gechter hat uns mal in einem Interview verraten, dass er versucht, sich von dir als Führungsspieler Dinge abzuschauen, weil ihm deine Art imponiert. Fallen dir Kollegen ein, die dich als jüngerer Profi in der Hinsicht beeindruckt oder inspiriert haben?
Leistner: Es gab eine Menge Spieler, von denen ich mir verschiedene Kleinigkeiten abgeschaut habe – oder auch Dinge, bei denen ich gesehen habe, dass ich das mal anders und besser machen möchte. Zu meiner Zeit als jüngerer Spieler ging es zum Beispiel oft ums Schuhe putzen der Älteren, um sich Respekt zu verdienen – ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich das niemandem antun möchte. Aber genaue Namen oder bestimmte Vorbilder nennen kann ich da jetzt nicht, es waren schließlich auch einige Kopfbälle dazwischen… (grinst)
Du hast in deinen Jahren im Geschäft auch schon einige Trainingslager hinter dich gebracht. Weißt du, wie viele es insgesamt waren?
Leistner: Es müssten mehr als 30 gewesen sein, da habe ich schon so einiges gesehen. Kurios war vergangenes Jahr. Am Walchsee hatte ich als Spieler von Dynamo Dresden mein allererstes Trainingslager, da war dann schon etwas Nostalgie dabei, zumal Hotel und Trainingsplatz immer noch die gleichen waren. Nur ich hatte mich als Mensch natürlich etwas verändert in der Zwischenzeit – und die Mitspieler hatten sich verjüngt (schmunzelt).

Welches Vorbereitungscamp war am härtesten?
Leistner: Das erste war schon mit das anstrengendste. Als junger Spieler habe ich vielleicht an der einen oder anderen Stelle überpaced, wollte mehr zeigen, als ich zu dem Zeitpunkt konnte und allen beweisen, dass ich mithalten kann. Das aktuelle Trainingslager ist aber auch extrem anstrengend, gerade für den Kopf. Hier muss jeder einzelne mitdenken, wir haben wenig Freizeit und nutzen jede Einheit, jede Übung, um uns auf den allerbesten Stand zu bringen, damit wir am 1. August Vollgas geben können. Dadurch ist das auch definitiv in meinen Top drei. Und: In Belgien habe ich mal Bernd Hollerbach als Trainer gehabt, da muss ich vermutlich nicht viel mehr zu sagen – gute, alte Magath-Schule mit vielen Medizinbällen.
Hat sich deine Herangehensweise an diese intensive Phase als erfahrener Spieler geändert?
Leistner: Ich komme extrem gut durch die Vorbereitung und habe jede Trainingseinheit bis jetzt mitgemacht. Inzwischen weiß ich, was ich für meine Topfitness brauche, muss niemandem etwas beweisen – außer in erster Linie mir selbst. Deshalb lasse ich dann beispielsweise mal eine Torschussübung weg. Erstens, weil ich das Tor sowieso nicht treffe (schmunzelt). Und zweitens, weil ich in dem Fall zuvor mal ein leichtes Zwicken gespürt und meinen Körper über die Jahre besser kennengelernt habe. Das sind Erfahrungswerte, die man so am Anfang nicht hat – das war bei mir als jüngerer Spieler genauso.

Erfahrungswerte sind ein gutes Stichwort: In deiner Laufbahn hast du auch schon unter sehr verschiedenen Trainertypen gearbeitet. Wie erlebst du die Arbeit mit Stefan Leitl und Andre Mijatović? Was zeichnet die beiden aus?
Leistner: Man merkt beiden als Trainer an, dass sie selbst lange im Profibereich aktiv waren. Sie wissen, was in der zweiten Liga benötigt wird, hatten dort schon Erfolg und sind aufgestiegen. Deshalb wissen sie auch, was wir als Team können und was wir brauchen, um den Aufstieg selbst zu schaffen. Darauf legen sie den absoluten Fokus und wir erarbeiten uns gerade viele Dinge, die wir benötigen werden, um die Gegner zu bespielen und zu schlagen.
Gibt es andere Coaches, die dich besonders geprägt haben?
Leistner: Olaf Janßen in Dresden! Das war der erste Trainer, der im Profibereich richtig auf mich gebaut hat. Jens Keller in meiner Zeit bei Union muss ich auch nennen, der wusste genau, wie er uns anzupacken hatte – genau wie Stefan jetzt. Dem Team auch alte Schule in Sachen Ordnung und Disziplin zu vermitteln, ist aus meiner Sicht gerade für jüngere Spieler ganz wichtig.
Lass uns nochmal einen Ausblick auf die näher rückende neue Saison wagen. Zwei große Namen haben die Liga verlassen, die auf dem Papier aber umkämpft und eng wie eh und je wirkt. Wie schätzt du die Ausgangslage ein?
Leistner: Es ist eine enge Liga, gefühlt will jeder hoch und investiert dafür viel. Das Ganze wird auf jeden Fall nicht an den ersten Spieltagen entschieden, ist ein Marathon, kein Sprint. Entscheidend wird sein, wer am konstantesten punktet und den längsten Atem hat.

Gibt es Partien, auf die du dich besonders freust oder auf die du besonders gespannt bist?
Leistner: Nach dem Video zur Verkündung von Paul Seguins Wechsel habe ich relativ viele unfreundliche Nachrichten bekommen – entsprechend freue ich mich schon auf das Auswärtsspiel auf Schalke. Und auf die Partie in Dresden, meiner Heimatstadt, in der ich lange nicht gespielt habe, freue ich mich auch extrem.
Du sprichst das Spiel schon an, bist bei Dynamo auch zum Profi geworden. Wie viele Nachrichten sind da seit dem Aufstieg der SGD schon hin und her geflogen?
Leistner: Im Sommer gar nicht so viele – als feststand, dass sie im November ins Olympiastadion kommen, wurden es schon mehr. Vor allem waren es Kartenanfragen. Aber erstmal muss ich ja die Familie mit Tickets versorgen und dann möchte ich auch nicht zu viel Schwarz-Gelbe, sondern lieber ganz viele Blau-Weiße im Stadion haben. Da muss sich der eine oder andere Dresdner seine Tickets dann selbst besorgen (grinst).
Zum Abschluss: Welche Überschrift würdest du im Sommer 2026 gerne auf den blau-weißen Kanälen lesen?
Leistner: Das ist einfach: Hertha BSC holt die Zweitligameisterschaft!