
„Alles, was wir tun, muss Hertha BSC dienen“
Seit dem 1. September 2025 besteht die Geschäftsführung von Hertha BSC wieder aus einer Doppelspitze. Dr. Peter Görlich stieß zu Ralf Huschen und leitet gemeinsam mit dem gebürtigen Paderborner die Geschicke unserer Alten Dame. Die gegenseitige Wertschätzung ist groß, die Anzahl der Themen vielfältig. Grund genug für unsere Clubmedien, die beiden Entscheidungsträger zum Gespräch zu bitten. Im Interview mit Redakteur Konstantin Keller besprechen Görlich und Huschen thematische Schwerpunkte, die zahlreichen Eindrücke und gemeinsame Ziele.
Peter, Ralf, ihr arbeitet als Geschäftsführer inzwischen knapp vier Wochen zusammen. Wie gestaltet sich dabei die Aufgabenverteilung?
Huschen: Da ich klassisch aus dem Finanzbereich komme, bilde ich all die Aufgaben aus diesem Bereich ab: Finanzen, Personal, Recht, IT – diese Themenfelder verantworte ich.
Görlich: Bei mir sind es die übrigen Bereiche. Sport, Sponsoring, Fan- und Mitgliederwesen und Kommunikation. Allerdings gibt es kaum ein Thema, das ich nicht mit Ralf teile. So bekomme ich eine profunde Meinung und einen anderen Blick auf meine Welt. Ich halte es für sehr wichtig, diese Perspektivenvielfalt zuzulassen, und schätze unsere Zusammenarbeit deshalb sehr – menschlich wie fachlich. Wir haben uns vielleicht nicht bewusst gesucht, aber mit Sicherheit gefunden (lächelt).
Welche inhaltlichen Schwerpunkte sind aktuell besonders wichtig?
Görlich: Der Sport ist ganz klar im Fokus, gemeinsam mit Benjamin Weber, Stefan Leitl und dem Trainerteam. Darüber hinaus legen wir gerade auch ein großes Augenmerk auf die Kommunikation – ohne dabei andere Themenfelder außen vor zu lassen. Es gibt vieles, das wir revitalisieren können und die Tagesabläufe sind so sehr vollgepackt, aber auch sehr angenehm.
Peter, kannst du uns ein paar Einblicke in deine Eindrücke der ersten Arbeitswochen geben? Hat dich etwas besonders überrascht oder erfreut?
Görlich: Die Offenheit, mit der mir die Menschen entgegenkommen. Man spürt gleichzeitig ihre Erwartung, dass etwas passiert – und ich finde schön, dass sie diese Erwartungshaltung so offen formulieren. Das entspricht meinem Geist von Führung, denn wir werden an Ergebnissen gemessen. Man kann viel zuhören, muss Verständnis erlangen – aber am Ende des Tages muss alles, was wir hier tun, Hertha BSC dienen.
Du hast bei deiner Vorstellung drei Leitsätze angesprochen, die dich prägen. Der erste: „Gelerntes reicht nicht bis zum Lebensende.“ Was hast du in diesen ersten Wochen bei Hertha BSC gelernt?
Görlich: Ich habe gelernt, wie dieser Verein tatsächlich ist! Natürlich hatte ich ein Bild von Hertha, aber das trifft eben nicht alles, was den Club ausmacht. Wie bedeutsam der Berliner Weg für die gesamte Hertha-Familie ist, wissen beispielsweise die wenigsten. Er ist ein Schutzschirm um die gesamte Organisation, unter dem sich Kultur und Strategie, aber auch Pläne und Maßnahmen abbilden lassen. Das ist mein wichtigstes Learning, und dafür bin ich dankbar. Denn man muss einen Verein verstehen und erleben, um in seinem Sinne handeln zu können!

Die anderen beiden Leitsätze lauten: „Wir haben immer wieder neue Perspektiven einzunehmen.“ sowie „Menschen brauchen eine psychologische Sicherheit.“ Gerade letzteres ist in Phasen wichtig, in denen nicht alles so läuft, wie man sich das als Verein wünscht. Wie kannst du, wie könnt ihr den Mitarbeitenden diese Sicherheit geben oder sie auf dem Weg dorthin unterstützen?
Görlich: Ich glaube, psychologische Sicherheit benötigen Menschen nicht nur, wenn es mal nicht so gut läuft. Die größten Fehler macht man im Erfolg. Man darf sich mit Erreichtem nie zufriedengeben, sondern muss immer den nächsten Schritt gehen wollen. Aber: Fußball ist ein Fehlerspiel. Wenn alles nach Plan laufen würde, wäre es relativ langweilig. 80 Prozent sind geplant, schön und gut. Aber die ungeplanten 20 Prozent, im positiven wie im negativen Sinne, bringen uns ins Stadion und fesseln die Menschen. Dass einem für Fehler nicht sofort der Kopf abgerissen, sondern nur erwartet wird, dass man die richtigen Schlüsse zieht, bei sich bleibt und nicht den Kopf verliert – auch das hat mit psychologischer Sicherheit zu tun. Ich bin auch zutiefst überzeugt davon, dass ich Menschen, denen ich Verantwortung gebe, mit entsprechendem Handwerkszeug ausstatten muss. Die Sicherheit zu haben, sich an Grenzen heranzuwagen und sich selbst zu fordern wie auch zu fördern, ist wichtig. Ralf spricht gerne von kooperativer Führung…
Huschen: … Fehler machen zu dürfen, ist eines der wichtigsten Themen. Wir müssen Vertrauen geben, dass Fehler gemacht werden dürfen, aber gleichzeitig sicherstellen, dass aus diesen Fehlern gelernt wird und wir diese dann kein zweites Mal machen sollten. Kooperative Führung dreht sich um Zutrauen, Vertrauen und ein Miteinanderwirken. Ich freue mich sehr, gemeinsam mit Peter daran zu arbeiten.
Eure Aufgaben und Verantwortlichkeiten sind logischerweise breit gefächert – und enden nicht zwangsläufig im Kosmos unserer Alten Dame. Ralf, du bist auf der Generalversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) am 3. September wieder in den Aufsichtsrat gewählt worden, dem du bereits seit 2022 angehörst. Welche Ziele verfolgst du in dieser Rolle als nächstes?
Huschen: Der entscheidende Unterschied zwischen meiner Funktion in der DFL und bei Hertha liegt darin, dass ich dort als Vertreter einer der 36 Vereine gewählt worden bin. Das heißt, ich muss immer gesamtheitlich denken. Nicht nur für Hertha, sondern für alle Vereine, groß wie klein. Wir müssen zusammen wirken, um zusammen bestehen zu können. Dass alle 36 Clubs sich dabei in der DFL wiederfinden, ist die größte Herausforderung – gerade, weil die Fliehkräfte im Fußball immer größer werden.

Ein oft diskutiertes Thema ist in diesem Kontext auch die 50+1-Regel. Kannst du an dieser Stelle noch einmal die Haltung hierzu skizzieren?
Huschen: Als Verein haben wir eine Haltung dazu, als DFL natürlich auch. Das Kartellamt hat eine sehr klare Idee vorgegeben, in der wir uns als Club auch wiederfinden. Hertha BSC und die DFL stehen hinter 50+1 – und dahinter, dass diese Regel in der Umsetzung für alle Vereine gelten sollte. Das ist entscheidend!
Entscheidend auf unserem Berliner Weg ist und bleibt die Durchlässigkeit zur Profimannschaft. Wie kann man diese als Verein weiter erhöhen?
Görlich: Wir haben bei Hertha BSC eine historisch gewachsene gute Jugendarbeit. Aber wir müssen auch hier neue Perspektiven einnehmen. Es wird darüber diskutiert, dass wir in Fußballdeutschland zu wenig Talente hätten. Ich glaube nicht, dass das korrekt ist. Wir haben die gleiche Anzahl. Vielleicht finden wir sie zu spät, weil jugendliche Spielerinnen und Spieler in unterschiedliche Themenfelder abwandern können. Außerdem müssen wir uns von der Ergebnisorientiertheit lösen. Gute Resultate führen nicht dazu, dass sich die Durchlässigkeit in den Profibereich erhöht.
Was können wir stattdessen tun?
Görlich: In Deutschland haben wir im europäischen Vergleich die geringsten Einsatzzeiten von U23-Spielern. Wir zeigen mit Kennet Eichhorn und Boris Mamuzah Lum einen anderen Weg. Luis Greil, ein 14-jähriger Torhüter, spielt regelmäßig in der U17 und trainiert bei den Profis mit. Das erfordert Mut und Glaube an solche Jungs. Wir werden damit aber nur erfolgreich sein, wenn wir das Kollektiv ausbilden und gleichzeitig die Individualisierung voranstellen. Mit dem Thema Spieler- und Trainerentwicklung werden wir uns in den kommenden Monaten deshalb intensiv beschäftigen. In den jungen Jahrgängen brauchen wir die besten Trainer, und müssen auch Offenheit für Spieler haben, die vielleicht nicht auf den ersten Blick glänzen. Nicht jeder muss mit 16 Bundesliga spielen, das geht auch mit 18 oder 19. Auch das ist Bestandteil des Berliner Wegs: Die gute Akademiearbeit auf die nächste Stufe zu setzen, Scoutingprozesse auch nach innen wirken zu lassen, um den Weg in den Profifußball so einfach wie möglich zu machen.
Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir seit einigen Wochen auch eine neue Akademie-Leitung. Welche Rolle spielen Björn Müller und Sasan Gouhari bei diesem Prozess?
Görlich: Durchlässigkeit ist eine klassische Teamaufgabe, die nicht bei der Akademieführung endet. Das gesamte Umfeld muss die Weitsicht haben, jungen Spielerinnen und Spielern die Zeit zu geben, sich zu entwickeln. Da sind wir wieder bei der Fehlerkultur. Es kann nicht alles sofort funktionieren, wenn eine junge Person im Olympiastadion aufläuft. Sasan und Björn orchestrieren den gesamten Akademiebereich, aber wir alle haben eine Verantwortung für unsere Spielerinnen und Spieler, müssen ihnen die Möglichkeit geben, ihre Qualitäten auf den Platz zu bringen. Man braucht Geduld und einen langen Atem. Der Berliner Weg steht auch dafür, Menschen zu begleiten. Nicht jeder und jede kann 1. oder 2. Bundesliga spielen. Aber wir überfluten Fußballdeutschland mit Berliner Talenten – und das hat doch auch etwas.
Lasst uns abschließend noch auf die Frauen- und Mädchenteams blicken. Auch dort gab es in den vergangenen Monaten personelle Bewegungen und Veränderungen. Wie ordnet ihr den Status Quo der Herthanerinnen ein? Welche Schritte werden notwendig sein, um das Wachstum der Teams weiter voranzutreiben?
Görlich: Der Frauen- und Mädchenfußball ist ein fester, elementarer Bestandteil von Hertha BSC und geht gerade einen sehr interessanten, anderen Weg, als von der einen oder anderen Stelle vorgelebt wird. Dort werden monetäre Mittel reingeschossen und sich wenig Gedanken über den Aufbau gemacht. Diesem ‚höher, schneller, weiter‘ nicht automatisch nachzuhecheln, sondern einen eigenen Berliner Weg zu gehen, könnte ein Ansatz für uns sein: Dass wir uns zum Ziel setzen, auch im Frauenfußball die beste Akademie Deutschlands zu stellen und so ein anderes, organisches Wachstum zu generieren. Unser Einzugsgebiet, Stadt und Umland, schreien förmlich danach. Mädchen- und Frauenfußball boomt, also müssen wir Anreize schaffen, dass die jungen Spielerinnen zu uns kommen. Wir machen uns über mögliche Wege sehr intensiv Gedanken, das zeigt den Stellenwert. Frauen- und Mädchenteams, Juniorenteams, Lizenzspielerbereich – wir werden nicht alles zeitgleich auf eine Ebene setzen können. Aber es gibt viele gute Ideen, die es wert sind, diskutiert zu werden.