Unsere Berliner Meister von 1926.
Historie | 12. Juni 2021, 08:27 Uhr

#HerthaMuseum: Erster blau-weißer Flirt mit der Viktoria

Im dritten Anlauf möchte der Berliner Meister Hertha BSC endlich sein großes Ziel, das Endspiel um die deutsche Fußball-Krone, erreichen. Nachdem der spätere Titelträger VfB Leipzig den BFC Hertha 92 nach der erstmaligen Hauptstadtmeisterschaft im Jahre 1906 im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft stoppt, werden bei den folgenden Titelgewinnen 1915, 1917 und 1918 kriegsbedingt keine nationalen Meisterschaften ausgetragen. Nach dem Zusammenschluss mit dem Berliner Sport-Club 1923 scheitert unsere 'Alte Dame' 1925 erneut im Semifinale, diesmal nach Verlängerung am FSV Frankfurt. Im folgenden Spieljahr soll der große Wurf endlich gelingen.

Klangvolle Namen – die Mannschaft

Unsere Blau-Weißen qualifizieren sich als Sieger der Staffel A der VBB-Oberliga in den beiden Endspielen gegen Norden-Nordwest 98 mit 7:0 und 2:1 als Berliner Meister für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Für das gesteckte Ziel stehen zwölf Spieler zur Verfügung. Die beiden Torhüter Alfred 'Fredy' Götze und Philipp Gawenda, die Verteidiger Emil Domscheidt und Max Fischer, die Mittelläufer Otto Leuschner, Karl 'Kaiser' Tewes und Willi 'Bubi' Völker, die Angreifer Hans Grenzel, Erich Gülle, Willi Kirsei sowie die beiden erst im Verlauf bzw. vor der Saison zu den Blau-Weißen gewechselten deutschen Nationalspieler Hans 'Hanne' Ruch und Johannes 'Hanne' Sobek – klangvolle Namen unserer Vereinshistorie.

Siege gegen Königsberg, Frankfurt und Hamburg – die Endrunde

Zum Auftakt gastiert am 16. Mai 1926 der VfB Königsberg an der Spree. Unsere Herthaner haben das Geschehen im Griff. Der famose Paul Gehlhaar im Tor der Königsberger, der später selbst zum Leistungsträger an der Spree wird, avanciert aber zum besten Akteur auf dem Spielfeld. So bringt 'Bubi' Völker unsere Spreeathener erst zwanzig Minuten vor Spielende mit einem Doppelschlag auf die Siegerstraße, ehe 'Hanne' Sobek und Erich Gülle den 4:0-Endstand herausschießen.

Zwei Wochen später wollen sich unsere Berliner im Viertelfinale auf neutralem Platz gegen den FSV Frankfurt für die knappe Vorjahres-Niederlage revanchieren. Im Zerzabelshof, der Heimat des 1. FC Nürnberg, können die Hessen zwar frühzeitig mit 1:0 in Führung gehen, doch nach einer halben Stunde kommt die Berliner Tormaschine unaufhaltsam in Gang. Völker per Elfmeter, Willi Kirsei, 'Hanne' Ruch, Hans Grenzel sowie erneut Kirsei sorgen mit dem 5:1 bereits zur Halbzeitpause für die Vorentscheidung. In der zweiten Spielhälfte lassen es unsere Mannen in den weißen Trikots gemächlicher angehen. Ruch erzielt den ersten Treffer der zweiten Spielhälfte, bevor Kirsei mit seinen Treffern drei und vier den Berliner Torreigen abschließt. Der Schlusstreffer des FSV ist lediglich Ergebniskosmetik, mit 8:2 zieht Hertha BSC triumphal ins Halbfinale ein.  

Hier wartet der Hamburger SV als letzte Hürde auf dem Weg ins Endspiel um den Meistertitel. Der DFB vergibt die Partie gegen die Norddeutschen überraschenderweise nach Berlin, so dass unsere Blau-Weißen den Heimvorteil genießen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer im Grunewaldstadion werden Zeuge des bis dahin größten Erfolges unserer Vereinsgeschichte. Nach den beiden Berliner Torerfolgen zum 1:0 durch Grenzel und 2:0 durch Kirsei kann Hamburgs 'Tull' Harder zwar noch vor der Pause verkürzen, doch ein Doppelschlag von Sobek und Ruch zum 4:1 stellt die Weichen in Richtung Frankfurt am Main, wo eine Woche später der Meister gekürt wird. Daran ändert auch der erneute Anschlusstreffer des zweifachen HSV-Torschützen Harder nichts mehr. Die technisch versierte Spielweise unserer Elf hat sich gegen den auf britische Tugenden ausgelegten Fußball der Hanseaten durchgesetzt. Im Endspiel treffen Sobek & Co. auf die Spielvereinigung Fürth, die sich den Finaleinzug nach Siegen gegen den FC Viktoria Forst, den Breslauer SC sowie gegen Holstein Kiel verdient hat.

Die elf Herthaner fürs Endspiel 1926.
Die elf Herthaner fürs Endspiel 1926.

Großer Kampf, bittere Niederlage – das Endspiel

Einen Tag vor dem großen Endspiel reist unsere Mannschaft mit zahlreichem Anhang im Zug an den Main. Am Finaltag, dem 13. Juni 1926, ist der Himmel grau. Es regnet bis eine Stunde vor dem auf 17:00 Uhr festgelegten Spielbeginn unaufhörlich. Trotzdem ist das erst vor 13 Monaten neu eröffnete Waldstadion mit 40.000 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllt. Unsere Berliner gelten durch die überzeugenden drei Siege in der Endrunde als Favorit gegen die 'Kleeblätter'.

Und unsere Herthaner scheinen dieser Einschätzung gerecht zu werden. Von Beginn an drängt die Mannschaft von der Spree auf den Führungstreffer, den Sobek dann auch nach einer Freistoß-Hereingabe mit einem über Torwart Hörgreen platzierten Schuss neun Minuten nach Anpfiff erzielt. Kaum ein Fan glaubt in den folgenden Minuten, dass dies der letzte Berliner Treffer sein könnte, doch fortan sind es die Fürther, die auf den Ausgleich drücken. Zunächst verwehrt Schiedsrichter Spranger die Anerkennung eines Fürther Treffers wegen eines vermeintlichen Handspiels. Eine gute Viertelstunde nach dem Führungstor ist es Seiderer, der den mittlerweile verdienten Ausgleich für die Mittelfranken erzielt. Nur acht Minuten später geht die Spielvereinigung sogar in Führung, als 'Fredy' Götze einen Abschluss von Seiderer zwar parieren, aber nicht festhalten kann, und Auer den freien Ball über die Torlinie des Berliner Gehäuses drückt. Nur 180 Sekunden später scheint die Partie entschieden, als Domscheidt den Ball zu Torhüter Götze zurückspielen will, der sich in diesem Moment aber nicht in seinem Gehäuse befindet und der Ball ungehindert zum 1:3 die Torlinie überquert.

Mit Beginn der zweiten Hälfte zeigt sich der Wille unserer Blau-Weißen, das Ruder noch einmal herumzureißen. Die Überlegenheit unseres Teams wird immer deutlicher, zeitweilig sehen sich die Fürther komplett in die eigene Hälfte zurückgedrängt. Unsere Herthaner verfehlen einige Male mit gefährlichen Abschlüssen das Ziel oder scheitern am gegnerischen Torhüter Hörgreen. Mit viel Glück überstehen die Grün-Weißen die Berliner Drangperiode und können nach und nach das Spiel wieder offener gestalten. Gut zwanzig Minuten vor Spielende muss Götze einen unhaltbaren Schuss von Ascherl zum vierten Fürther Treffer passieren lassen. Trotz dieses vorentscheidenden Gegentores bleibt die Moral der Elf um Mannschaftskapitän Kirsei ungebrochen – bis zum Schlusspfiff liefert sie einen großartigen Kampf im verlorenen Duell.

Der Beginn einer blau-weißen Ära

Mit dieser ersten Endspiel-Teilnahme begründet Hertha BSC die erfolgreichste Ära der Vereinsgeschichte. In den folgenden fünf Jahren erreichen unsere Blau-Weißen ebenfalls das Meisterschaftsfinale. Während unser Hauptstadtclub von 1927 bis 1929 zunächst noch gegen den 1. FC Nürnberg, den Hamburger SV und erneut die Spielvereinigung Fürth den Kürzeren zieht, erringt der Meister von der Spree in den Jahren 1930 gegen Holstein Kiel und 1931 gegen 1860 München schlussendlich zwei lang ersehnte deutsche Titel und bringt die prestigeträchtige Viktoria-Trophäe nach Berlin.

von Frank Schurmann