Niedergeschlagen nach Schlusspfiff: Kapitän Dedryck Boyata.
Profis | 20. Januar 2022, 09:56 Uhr

Das Ziel verfehlt

Frank Zander hallte mit unserer Hymne nach Abpfiff durch das weite Rund des Olympiastadions. Nur wenige Sekunden zuvor hatte Schiedsrichter Deniz Aytekin mit dem Schlusspfiff das Aus im Achtelfinale des DFB-Pokal besiegelt – mit 2:3 unterlag Hertha BSC dem 1. FC Union. Während unsere Blau-Weißen noch vor dem Refrain zu Boden sanken, aus ihrem Frust keinen Hehl machten, feierten die Gäste den Einzug ins Viertelfinale. Schmerzhafte Bilder, die sich tief in das Gedächtnis aller Herthanerinnen und Herthaner einbrennen werden und auch an Tayfun Korkut nicht spurlos vorbeigegangen sind. „Die Enttäuschung ist riesig. Aber wir hatten es letztendlich auch nicht verdient, die Partie zu gewinnen. Es tut uns vor allem für unsere Fans leid. Wir haben einiges zu besprechen“, fand unser Coach klare Worte auf der Pressekonferenz.

Beginn der Partie „verschenkt"

Dabei sollte es ein schöner Fußballabend für unsere Alte Dame werden. Das erste Pokalduell beider Teams und die Aussicht für unseren Hauptstadtclub, seit 2016 wieder einmal in die Runde der letzten Acht einzuziehen, sorgte trotz leerer Ränge für ein besonderes Kribbeln. Auf dem Platz entwickelte sich in der ersten halben Stunde dagegen eine Begegnung, in der bei uns nicht viel funktionierte. Schon in der ersten Minute musste Alexander Schwolow eingreifen, beim 0:1 von Andreas Voglsammer war unser Schlussmann wenig später chancenlos (11.). „Wir sind alles andere als gut in die Partie gekommen, Union hat uns früh unter Druck gesetzt“, bestätigte Maximilian Mittelstädt später und legte den Finger in die Wunde. „Wir haben nicht das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben.“ Hinten anfällig, vorne zu ungenau und in vielen entscheidenden Zweikämpfen zu spät. „Wir haben diese Phase verschenkt und viel zu lange gebraucht, um ins Spiel zu finden“, ärgerte sich Korkut.

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Die Enttäuschung ist riesig. Aber wir hatten es letztendlich auch nicht verdient, die Partie zu gewinnen. Es tut uns vor allem für unsere Fans leid. Wir haben einiges zu besprechen.
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-Tayfun Korkut

Viel Ballbesitz, wenig Zwingendes

Darüber täuschten phasenweise auch fast 70 Prozent Ballbesitz nicht hinweg. Erst nach knapp einer halben Stunde und den ersten blau-weißen Abschlüssen – inklusive einem zurückgenommenen Handelfmeter gegen Niklas Stark (32.) – schien ein kleiner Ruck durch unsere Spreeathener zu gehen. „Da sind wir auf unser Niveau gekommen und haben unsere Momente erspielt“, resümierte Korkut. Und wer weiß, wie es gelaufen wäre, wenn Ishak Belfodils Oberkörper beim vermeintlichen 1:1 von Suat Serdar nicht hauchdünn im Abseits gewesen wäre (45.+1). Wie dem auch sei: „Bis zum Pausenpfiff“, so hielt Mittelstädt unterm Strich fest, „haben wir zu selten den Weg nach vorne gefunden.“

Auf den Anschluss folgt der Rückschlag

Mit Wiederanpfiff sollte vieles besser werden und um ein Haar hätte Vladimír Darida ausgeglichen (47.), nach nicht einmal sechs Zeigerumdrehungen folgte allerdings die kalte Dusche, die irgendwie passte zu diesem Abend. Dedryck Boyata rutschte aus, Niklas Stark bugsierte den Ball in die eigenen Maschen (50.). „In der Halbzeit haben wir gesagt, dass die nächsten 15 Minuten sehr wichtig werden würden. Dann habe ich geschlafen, das tut weh“, räumte unser Kapitän selbstkritisch ein. Doch aufgeben wollte unsere Mannschaft nicht: Nach dem Anschlusstreffer, den Suat Serdar mithilfe von Rani Khedira erzwang (54.), keimte bei unseren Spreeathenern Hoffnung auf. Allerdings nur für 60 Sekunden, ehe Union den alten Abstand wieder herstellte (55.). „Wir haben wieder so einen dummen Fehler gemacht – so wie am Anfang der Saison. Wir müssen es einfach alle besser machen, da fasse ich mir an die eigene Nase“, ärgerte sich unser Belgier, der mit seinen Kollegen bei einer Standardsituation nicht auf der Höhe war. „Wir haben die Momente nicht im Griff, die Gegentore waren zu einfach – das ist uns nicht zum ersten Mal passiert“, kritisierte unser Übungsleiter, dem das Defensivverhalten schon vor dem 0:1 nach einem Einwurf und einem langen Ball missfallen war.

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Wir müssen es einfach alle besser machen, da fasse ich mir an die eigene Nase.
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-Dedryck Boyata

Aufarbeitung nach der Enttäuschung

Den Willen konnte man unseren Jungs nicht absprechen. Die Korkut-Elf steckte nach wie vor nicht auf, blieb wie Boyata richtig sagte „mutig am Ball“ und kam auch zu Abschlüssen. Sein Bestes gab auch der junge Linus Gechter, der für den angeschlagenen Stark ins Spiel kam und mit seinen 17 Jahren eine souveräne Leistung bot – wenn auch letztlich vergebens. „Wir sind enttäuscht, können einfach nicht zufrieden sein“, gestand unser Eigengewächs. Denn der Lohn für die Bemühungen war in Form von Serdars erneutem Anschlusstreffer in der letzten Minute der Nachspielzeit (90.+5) zu wenig: Raus aus dem Pokal. „Es ist natürlich eine große Ernüchterung. Wir wollten unbedingt gewinnen, wir müssen uns alle hinterfragen, warum das nicht geklappt hat. Ich kann den Frust der Fans verstehen“, fasste Arne Friedrich die blau-weiße Gefühlswelt punktgenau zusammen.

Und apropos Fans. Nachdem sich unser Team nach Abpfiff gegenseitig wieder auf die Beine geholfen hatte, ging es Richtung Tribüne. Nicht einfach, aber selbstverständlich das Mindeste. „Wir sind zu ihnen gegangen, denn wir sind dankbar für alle, die uns unterstützen. Das ist nicht selbstverständlich“, betonte Gechter, der, so schwer es auch fiel an diesem Abend, den Blick nach vorne richtete. „Wir müssen den Mund abputzen, der volle Fokus liegt nun auf der Bundesliga.“ Und in dieser gastiert am Sonntag (23.01.22, 17:30 Uhr) der FC Bayern München an der Spree.

von Florian Waldkötter