Haris Tabaković blickt beim Jubel zwischen zwei Mitspielern hindurch.
Profis | 25. Mai 2024, 13:16 Uhr

(K)eine gewöhnliche Saison

Alles, außer gewöhnlich: Die Spielzeit 2023/24 wird allen Herthanerinnen und Herthanern noch lange in Erinnerung bleiben. Umjubelte Siege, zahlreiche blau-weiße Eigengewächse mit viel Einsatzzeit und dramatische Pokalfights gehören ebenso zur Geschichte der Saison wie schmerzhafte Rückschläge – auf wie neben dem Platz. „Wir haben eine bewegte Saison erlebt, die uns alle gefordert hat. Es gab viele schöne und auch einige schwierige Momente, die wir als Hertha-Familie gemeinsam bewältigt haben. Über allem steht, dass wir als Verein wieder zusammengewachsen sind und wir ein Team auf dem Platz haben, mit dem sich unsere Fans identifizieren können – mit talentierten Spielern aus unserer Akademie und Leistungsträgern, die zusammen für unseren Berliner Weg stehen“, unterstreicht Sportdirektor Benjamin Weber.

Kaderumbau und Konsolidierung

Doch der Reihe nach. Nach dem Abstieg stand ein wirtschaftlich wie sportlich notwendiger Kaderumbau im großen Stil an. Schon zuvor hatte unser Verein sich auch die Lizenz durch die Deutsche Fußball Liga (DFL) gesichert. „Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten unsere Hausaufgaben gemacht. Unser Prozess der wirtschaftlichen Konsolidierung, Restrukturierung und Sanierung wurde bereits vor Monaten gestartet und ist weiterhin in vollem Gange“, verdeutlichte Thomas E. Herrich im vergangenen Sommer. Unser Geschäftsführer skizzierte den anspruchsvollen blau-weißen Spagat. „Wir werden weiterhin intensiv daran arbeiten, wirtschaftlich zu gesunden und dabei gleichzeitig einen Kader zusammenzustellen, der wettbewerbsfähig ist!“

Thomas E. Herrich und Benjamin Weber im Berliner Olympiastadion.

Gesagt, getan: Benjamin Weber und seine Mitstreiter machten sich ans Werk. Schritt für Schritt, Personalie für Personalie und Transfer für Transfer stellten unser Sportdirektor und sein Team eine neue Mannschaft zusammen. „Hinter uns liegen intensive Wochen. Wir spüren die Aufbruchstimmung. Das, was wir hier wieder an Rückhalt erfahren, müssen wir aufsaugen. Die Fans sind das Fundament, auf dem wir unseren Verein weiter aufbauen“, unterstrich der gebürtige Berliner kurz vor Saisonstart. Beim sportlichen Wiederaufbau war indes bis zur Schließung des Transferfensters Geduld gefragt. „Wir haben Personalien im Hintergrund vorbereitet und abgesprochen. Am Ende war es eine Teamleistung, im Rahmen unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten auf der Zu- und Abgangsseite Wechsel realisiert zu haben. Die Sachen sind ein Stück weit so eingetreten, wie wir das schon vor Wochen gesagt haben“, blickte Weber anschließend auf die Transferaktivitäten.

Benjamin Weber im flutlichterleuchteten Olympiastadion.

Schwieriger Start – nach der Länderspielpause in Schwung gekommen

Logisch, dass die so umgebaute Auswahl noch ein wenig Zeit benötigte, um sich zu finden. Nach drei Liganiederlagen zum Auftakt ohne eigenes Tor fing sich unser Team, das im Pokal in Jena zwischenzeitlich weitergekommen war. Der deutliche 5:0-Sieg gegen Fürth half dabei, allmählich durchzustarten. „Wir haben den Kopf oben gehalten und nach vorne geschaut, um ein Fundament für die neuen Aufgaben zu legen. Nach der Länderspielpause im September war es ein gefühlter Neustart für uns. Seitdem sieht man die positive Entwicklung anhand der Ergebnisse sowie der Art und Weise, wie die Jungs gegen Widerstände kämpfen“, betonte Weber bei der Mitgliederversammlung im Oktober, nachdem die Blau-Weißen bei Schalke 04 zuvor den dritten Dreier aus den vergangenen vier Spielen eingefahren hatten.

Fabian Reese bejubelt sein Tor gegen Mainz.

Pokalkrieger

Der Trend gestaltete sich im Anschluss insgesamt positiv. Nach einer 1:3-Niederlage in Nürnberg am 10. Spieltag blieben unsere Berliner den Rest des Jahres ungeschlagen. Neben einem 5:1-Kantersieg gegen Elversberg gab es auch einige Punkteteilungen, dennoch kletterten die Herthaner bis zur Winterpause auf Rang 7. Und im Pokal? Da wurden unsere Hauptstädter zu „Pokalkriegern“, wie es die Ostkurve auf den Punkt brachte. Erst kegelte die Elf von der Spree den Bundesligisten Mainz 05 mit 3:0 aus dem Wettbewerb, ehe an Nikolaus der Hamburger SV im Achtelfinale wartete. Was folgte, wird kein blau-weißer Fan so schnell vergessen: Ausgleich Reese in der Schlussminute, 2:2 nach 90 Minuten. Ausgleich Kenny in der Schlussminute, 3:3 nach 120 Minuten. Elfmeterschießen, Sieg Hertha. Pure Emotionen. „Das ist eine Riesenfreude, es war ein unvergesslicher Abend für jeden, der hier war. Riesenkompliment an die Jungs, die bis zum Schluss gefightet haben, drangeblieben sind. Man of the Match? Alle, die ganze Mannschaft“, freute sich Benjamin Weber.

Unsere Mannschaft läuft geknickt durchs Olympiastadion.

Ein schrecklicher Verlust und geplatzte Träume

Dieses Saisonhighlight nährte die Hoffnungen auf einen erfolgreichen Start ins Jahr 2024 und ein erneutes Weiterkommen im DFB-Pokal im Heimspiel gegen Kaiserslautern. Doch der unerwartete Tod unseres Präsidenten Kay Bernstein am 16. Januar überschattete all das. Die Hertha-Familie trauerte um unser Cluboberhaupt und versuchte gleichzeitig, der Mannschaft bestmöglich den Rücken für die sportlichen Aufgaben zu stärken und seinen, unseren Berliner Weg gemeinsam weiterzugehen. Doch nach einem Punktgewinn gegen Fortuna Düsseldorf im so schwierigen ersten Spiel nach diesem Verlust unterlag Hertha drei Mal in Serie und musste sich gegen den FCK auch aus dem Cup verabschieden. Gerade dieses Resultat schmerzte. „Der Traum ist geplatzt. Es war eine tolle Atmosphäre, die wir leider nicht für uns nutzen konnten. Darüber dürfen wir uns an diesem Abend ärgern, müssen dann aber den Kopf wieder hochnehmen – auch, wenn es schwerfällt“, ordnete unser Sportdirektor das 1:3 ein.

Blau-weißes Faible für Drama

Und das taten unsere Jungs, so kamen die Blau-Weißen wieder ins Punkten. Gegen Fürth und Magdeburg gab es Siege, nach einem Remis in Braunschweig glich das seinerzeit zweitplatzierte Kiel bei einem turbulenten 2:2 erst in der achten Minute der Nachspielzeit im Olympiastadion aus. Das Faible für Drama und torreiche Partien begleitete diesen Hertha-Jahrgang weiterhin. Nachdem der damalige Spitzenreiter St. Pauli beim 0:2 eine Nummer zu groß gewesen war, bestätigten das 5:2 gegen Schalke 04 und die aufopferungsvolle Aufholjagd gegen den 1. FC Nürnberg den Trend. Beim 3:3 hatte unser Team zwei Mal bereits mit zwei Treffern zurückgelegen, biss sich aber ebenso wie beim 3:2 in Paderborn durch. Dort drehten die Männer mit der Fahne auf der Brust mit zwei Toren in den letzten Spielminuten erneut einen Rückstand. „Wenn man eine Partie so zieht, kann das auch einen Push geben. Die Mannschaft hat gekämpft, die Jungs, die reingekommen sind, haben Impulse gesetzt. Nun haben wir gegen Rostock ein Heimspiel vor der Brust, in dem wir nachlegen möchten“, blickte Weber voraus.

Haris Tabaković bejubelt sein Tor gegen Braunschweig.

Tabakovićs Jagd nach der Torjägerkanone

Das gelang – den Hanseaten ließ Hertha beim 4:0 keine Chance. Auch dort netzte wieder Haris Tabaković, der wenig später als erster Herthaner die 20-Saisontore-Marke knacken sollte. Das hatte seit Michael Preetz in der Saison 1998/99 kein Blau-Weißer mehr geschafft. Insbesondere im Zusammenspiel mit Fabian Reese, der ihm alleine sechs Tore direkt auflegte, erwies sich der Sommerneuzugang als brandgefährlicher Vollstrecker und heißer Anwärter auf die Torjägerkanone. „Das wäre insgesamt schön für den Verein und auch eine Auszeichnung für die gesamte Mannschaft, die Haris diese Tore ermöglicht. Er wird sich um die Kollegen kümmern, damit sie ihm helfen, dieses Ziel zu erreichen“, ahnte unser Sportdirektor schmunzelnd.

Im Kollektiv hatten unsere Jungs nach 29 absolvierten Ligapartien noch eine Resthoffnung auf den Aufstieg. Nach einem 2:3 im mit viel Vorfreude erwarteten Duell mit dem Karlsruher SC musste unser Hauptstadtclub diese jedoch ad acta legen. Im folgenden Heimspiel gegen Hannover verpassten die Berliner beim 1:1 durch einen Gegentreffer in der Nachspielzeit nur denkbar knapp den Heimsieg. „Wenn du das Tor wieder so spät bekommst, ist das ärgerlich. Aber wir haben es vorher schlichtweg einmal mehr versäumt, den zweiten Treffer zu erzielen“, legte Weber bei diesem unerfreulichen Déjà-vu den Finger in die Wunde. Beim erstmaligen Auftritt im saarländischen Elversberg (2:4) zeigte sich unser Team defensiv zum wiederholten Male zu anfällig. Gegen Kaiserslautern glückte beim 3:1 ein gelungener Abschluss vor heimischem Publikum, das Saisonfinale in Osnabrück ging mit 1:2 verloren. Immerhin: Tabakovićs Jagd nach der Torjägerkanone war von Erfolg gekrönt, 22 Treffer wies unser Angreifer am Ende auf und teilte sich die Trophäe mit Robert Glatzel vom Hamburger SV sowie Christos Tziolis von Fortuna Düsseldorf.

Unsere Mannschaft in der Ostkurve.

Ein klarer Auftrag

So bleibt die Erkenntnis vieler positiver Entwicklungen, aber auch das Bewusstsein für Verbesserungsmöglichkeiten. „Wir haben in Summe in einigen Spielen einfach Zähler liegen lassen. Die Anzahl der individuellen Fehler war insgesamt zu hoch – das ist ein Punkt, in dem wir uns in der kommenden Saison verbessern müssen“, erklärt der gebürtige Hauptstädter. Und die Prämisse für die Zukunft? Den eingeschlagenen Berliner Weg fortführen – Partie für Partie, Woche für Woche und über die abgelaufene Saison hinaus. „Junge Spieler zu entwickeln und auf den Platz zu bekommen, ist dabei eines der Kernthemen. Das Gerüst der Mannschaft ist vorhanden und hat sich über die Spielzeit schon gebildet und gefestigt“, sagt Weber und nennt weitere Eckpfeiler unseres gemeinsamen Weges. „Als Club müssen wir nahbar sein und bleiben. Mit Demut, aber auch mit Ambition ebenso hart wie transparent arbeiten. Es gilt, an all das weiter anzuknüpfen!“ Damit unser Team auch in der kommenden Spielzeit solch große Emotionen in der Hertha-Familie weckt – und noch mehr schöne und unvergessliche blau-weiße Geschichten für unsere Vereinschronik schreibt.

Beim abschließenden Heimspiel gegen Kaiserslautern, das ganz im Zeichen der 90er-Jahre stand, feierte auch unser legendäres Stadionmagazin „Wir Herthaner“ sein Comeback. Auch dieser Text erschien dort zuerst. Die Mehrzahl der gedruckten Exemplare ging bereits über die Ladentheken – doch wir haben noch eine geringe Stückzahl an Heften auf Lager, die ihr in allen Fanshops und bei der Mitgliederversammlung erstehen könnt. „Wir Herthaner“ kostet, passend zum Spieltagsaufhänger, 4 DM – also 2 Euro in heutiger Währung.

von Konstantin Keller